Année politique Suisse 1994 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen / Arbeitnehmer
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Organisation und Mitgliederbewegung
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hatte im Herbst den altershalber zurücktretenden Präsidenten Walter Renschler zu ersetzen. Als Favoriten zeichneten sich bald die Vorsitzenden der beiden grössten Einzelgewerkschaften, Christiane Brunner (SMUV) und Vasco Pedrina (GBI), ab. Doch beide liessen vorerst keine Ambitionen erkennen, dieses ehrenamtlich auszuführende Mandat zu übernehmen. Nationalrätin Brunner (sp, GE), weil sie auf jeden Fall die Leitung der Metallarbeitergewerkschaft behalten wollte, Pedrina, weil er wenig Chancen sah, die von ihm als notwendig erachtete Neuausrichtung des SGB durchzusetzen. Diese Zurückhaltung hat sicher dazu beigetragen, dass sich der SGB auf die Suche nach einem anderen Modell der Verbandsführung machte. Im April erklärten sich Brunner und Pedrina bereit, das SGB-Präsidium gemeinsam zu übernehmen. Opposition gegen dieses Job-sharing - von dem er einen Verlust an Schlagkraft befürchtet - meldete der drittgrösste Einzelverband, derjenige der Eisenbahner an. Am SGB-Kongress vom 3.-5. November in Montreux (VD) stimmten die Delegierten der Doppelbesetzung des Präsidiums mit Brunner und Pedrina zu [14].
Die Frauen befinden sich unter den Gewerkschaftsmitgliedern immer noch deutlich in der Minderheit und konnten ihren Anteil in den letzten zehn Jahren nur geringfügig verbessern (von rund 12% auf 15,4% beim SGB). Bei den Führungspositionen vermochten sie aber ihre Stellung weiter auszubauen. Im Berichtsjahr übernahmen sie nicht nur das Co-Präsidium des SGB. Nachdem bereits die zweitgrösste Einzelgewerkschaft (SMUV) von einer Frau geleitet wird, wählte nun auch die viertgrösste Organisation (VPOD) mit Doris Schüepp eine Frau zur geschäftsleitenden Sekretärin [15].
Die Mitgliederzahl des SGB ist 1994 um 0,5% auf 429 024 gesunken. Ohne den Beitritt des rund 3800 Mitglieder zählenden Posthalterverbandes wäre der Rückgang noch stärker ausgefallen. Den absolut grössten Mitgliederschwund wiesen der SMUV (-2724) und der VPOD (-1063) auf [16].
Die bisher vor allem im Bau und in der Chemie verankerte GBI will vermehrt auch in den Dienstleistungssektor vordringen, da es hier mit der gewerkschaftliche Organisation - vor allem auch der Frauen - am schlechtesten bestellt ist. Ein ausserordentlicher Verbandskongress beauftragte am 25. Juni die Leitung, bis 1996 Vorschläge für eine diesbezügliche Gesamtstrategie und konkrete Aktionen auszuarbeiten [17]. Die traditionellerweise im Dienstleistungssektor tätige Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport und Lebensmittel (VHTL) reagierte sofort und heftig auf diese Absichtserklärung. Ihrer Meinung nach sei es nicht zumutbar, dass die seit der Rezession im Baugewerbe unter Mitgliederschwund leidende GBI versuche, den anderen, ebenfalls im SGB organisierten Gewerkschaften die Mitglieder abzujagen [18].
 
[14] Kanidaturen: TA, 1.2.94; BZ, 21.3. und 22.4.94. Eisenbahner: BüZ, 29.6.94. Kongress: Presse vom 3.-7.11.94.14
[15] NZZ, 13.6.94.15
[16] SGB-Pressedienst, 4.5.95; 24 Heures, 10.9.94 (Posthalter).16
[17] Bund, NZZ und SGT, 27.6.94.17
[18] NZZ, 28.6.94. Vgl. allgemein dazu auch SHZ, 21.7.94.18