Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Bürgerrecht
Der im Vorjahr vom Parlament mit klaren Mehrheiten verabschiedete neue Verfassungsartikel über die erleichterte Einbürgerung für
in der Schweiz aufgewachsene jugendliche Ausländerinnen und Ausländer kam im Juni zur Volksabstimmung. Mit diesem Artikel sollte die Grundlage für eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, die - analog zur Einbürgerung von ausländischen Ehepartnern - die Anforderungen in bezug auf Aufenthaltsdauer und Kosten reduziert und vereinheitlicht hätte. Gemäss dem bereits vorbereiteten Gesetzesentwurf hätten davon Personen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren profitiert, welche entweder in der Schweiz geboren sind oder fünf Jahre die Schule besucht und seit ihrer Einreise hier gelebt haben. Von praktischer Bedeutung für die zur Zeit rund 140 000 Betroffenen wäre vor allem der Passus gewesen, der die geforderte Wohndauer in der Einbürgerungsgemeinde, welche heute in vielen Kantonen fünf Jahre beträgt, auf zwei Jahre gesenkt hätte
[12].
Obwohl die Medien wie gewohnt über die Vorlage informierten, fand - im Schatten der gleichzeitig stattfindenden Entscheidung über die Schaffung schweizerischer UNO-Blauhelmtruppen - praktisch
keine Abstimmungskampagne statt. Von den meisten politischen Parteien wurde der Verfassungsartikel ebenso unterstützt wie von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden und den kirchlichen Organisationen. Für sie bedeutete es eine Selbstverständlichkeit, diesen gut eingelebten und in der Schweiz ausgebildeten Personen den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu erleichtern. Nicht zuletzt läge eine vollständige Integration dieser Jugendlichen und die Schaffung von Anreizen zum dauerhaften Verbleib in unserem Land auch im Interesse der Schweiz. Opposition kam nur von den Parteien der äusseren Rechten (SD, FP und Lega). Diese argumentierten, mit der doppelten Anrechnung der zwischen dem 10. und 20. Altersjahr in der Schweiz verbrachten Jahre und der Zulassung der Doppelbürgerschaft seien die Einbürgerungsbedingungen für diese Jugendlichen schon heute sehr liberal. Zudem verdächtigten sie die Befürworter, mit Masseneinbürgerungen die politischen Widerstände gegen die weitere Zuwanderung von Ausländern brechen zu wollen
[13].
Erleichterte Einbürgerung (BV)
Abstimmung vom 12. Juni 1994
Beteiligung: 46,8%
Nein: 994 457 (47,2%) / 11 4/2 Stände
Ja: 1 114 158 (52,8%) / 9 2/2 Stände
Parolen:
- Nein: FP, SD, Lega.
- Ja: FDP, SP, CVP, SVP (2*), GP, LP, LdU, EVP, PdA, EDU; Vorort, SGV, SBV, SGB, CNG.
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen
In der Volksabstimmung sprach sich zwar
eine Mehrheit von 52,8% für den neuen Verfassungsartikel aus, er
scheiterte aber
am
fehlenden Ständemehr. Am stärksten war die Zustimmung in der französischsprachigen Schweiz (ohne Wallis); in der deutschen Schweiz überwogen zwar gesamthaft ebenfalls die Ja-Stimmen, positive Standesstimmen gab es jedoch nur in Zürich, Bern, Zug, den beiden Basel und Graubünden. Abgelehnt wurde die Vorlage nicht nur in den ländlichen Kantonen der Innerschweiz, sondern auch in stark urbanisierten Kantonen des Mittellandes wie Luzern, Solothurn, Aargau, und St. Gallen sowie im Tessin. Die Vox-Befragung nach der Abstimmung ergab zudem, dass Frauen, jüngere Personen und besser Ausgebildete dem neuen Verfassungsartikel am deutlichsten zugestimmt hatten. Die Gegner hatten häufig keine genaue Vorstellungen über den Inhalt der Vorlage und wollten mit dem Nein vor allem ihrem Unmut über die hohe Ausländerzahl Ausdruck geben
[14].
Mehrere
Kantone hatten bereits in den vergangenen Jahren die Einbürgerungsbestimmungen für in der Schweiz aufgewachsene junge Ausländer vereinfacht. Die Regierungen der französischsprachigen Kantone (ohne das Wallis) und Berns unterzeichneten als Reaktion auf den gescheiterten Verfassungsartikel eine Konvention, worin sie sich verpflichteten, die nötigen Schritte zu unternehmen, um die vom geplanten Bundesgesetz vorgesehenen Erleichterungen in ihren Kantonen einzuführen
[15].
Der Bundesrat zeigte sich hingegen in seiner Stellungnahme zur parlamentarischen Initiative Ducret (cvp, GE) vom negativen Ausgang der Volksabstimmung beeindruckt. Er sprach sich mit dieser Begründung gegen die von Ducret angestrebte Halbierung der für die ordentliche Einbürgerung erforderlichen Wohnsitzdauer auf sechs Jahre aus
[16].
[12]
NZZ, 29.4.94. Vgl.
SPJ 1993, S. 21. Für einen internationalen Vergleich der Vorschriften siehe
Lib., 26.5.94.12
[13] Presse von Mitte April bis 11.6.94. Pro: siehe v.a.
NZZ, 5.5. und 7.5.94. Contra: siehe v.a.
NZZ, 5.5.94 (NR Steffen, sd, ZH);
AT, 11.5.94 (NR Keller, sd, BL).13
[14]
BBl, 1994, III, S. 1251 ff.; Presse vom 13.6.94; B. Wernli / P. Sciarini / J. Barranco,
Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 12.Juni 1994, VOX Nr. 53, Adliswil/Bern 1994.14
[15]
BZ, 8.7.94;
TA, 9.7.94;
Bund, 19.12.94. Vgl. auch
BaZ, 22.11. und 30.12.94. Siehe auch unten, Teil II, 1c.15
[16]
BBl, 1995, I, S. 493 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 21.16
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