Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Staatsschutz
Im März legte der Bundesrat die Botschaft für ein neues Gesetz über "Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit" vor; auf den noch in der Vernehmlassung verwendeten Titel "Staatsschutzgesetz" verzichtete er, da dieser "vorbelastet" sei. Dieses Gesetz regelt primär die vorbereitende, d.h. vor der Aufnahme einer Strafverfolgung einsetzende Informationsbeschaffung der Polizeibehörden. Diese soll nur in Bereichen möglich sein, wo Ereignisse unvermittelt auftreten können, die eine ernsthafte Gefährdung der inneren Sicherheit darstellen. Grundsätzlich verboten ist dabei die Bearbeitung von Daten über legale politische Aktivitäten von Bürgern und Bürgerinnen. Nach der Kritik im Vernehmlassungsverfahren wurde auf die ursprünglich vorgesehene Möglichkeit der geheimen Informationsbeschaffung (z.B. Telefonabhörung oder verdeckte Fahndung) verzichtet. Welche Aktivitäten die innere Sicherheit ernsthaft gefährden können, wird in der Botschaft nicht genau definiert; erwähnt werden Terrorismus, Spionage, gewalttätiger Extremismus und organisiertes Verbrechen. Wegen dem Fehlen von präzisen Kriterien ist es nach Ansicht des Bundesrats wichtig, die Informationsbeschaffung politisch zu führen. Diese Kontrolle will er mittels regelmässig an neue Gegebenheiten anzupassende Lagebeurteilungen und der Genehmigung der Liste der zu observierenden Ereignisse, Personen und Organisationen sicherstellen. Ein Einsichtsrecht in die Datensammlungen soll gemäss dem Entwurf nur erhalten, wer ein begründetes Interesse nachweisen kann.
Das Gesetz enthält im weiteren Bestimmungen über die Sicherheitsüberprüfung von Personen, welche für bestimmte Funktionen in der Bundesverwaltung oder in der Armee vorgeschlagen sind, sowie über den Schutz von Personen und Gebäuden des Bundes, ausländischer Staaten und internationaler Organisationen.
All diese Aufgaben möchte der Bundesrat einem
neuen Bundesamt für Innere Sicherheit übertragen. Dieses Amt soll aus der heutigen Bundesanwaltschaft hervorgehen, sobald die Trennung dieser Stelle in eine Anklagebehörde des Bundes und eine Polizeibehörde, wie sie die 1993 dem Parlament unterbreitete Teilrevision des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege vorsieht, in Kraft tritt
[21].
In derselben Botschaft begründete der Bundesrat auch seine Ablehnung der
Volksinitiative "S.o.S. Schweiz ohne Schnüffelpolizei". Seiner Ansicht nach erfüllt das vorgeschlagene neue Gesetz die Forderungen nach einer Abschaffung der politischen Polizei und dem Verbot der Überwachung von Personen, die ihre politischen Rechte wahrnehmen
[22].
Die Reaktionen auf den Entwurf des Bundesrates fielen gemischt aus. Sowohl die SP als auch das Komitee, welches die Volksinitiative eingereicht hatte, sahen darin einen
Rückfall hinter die Zeit des "Fichen-Skandals". Einiges Aufsehen erregte eine Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten Guntern, der kritisierte, dass sowohl bei dieser als auch bei anderen vom EJPD ausgearbeiteten Vorlagen die Belange des Datenschutzes zuwenig berücksichtigt würden
[23].
Die zuständige
Ständeratskommission begrüsste das neue Gesetz und folgte weitgehend den Anträgen des Bundesrates
[24].
Der Nationalrat stimmte einem Postulat Grendelmeier (ldu, ZH) zu, welches den Bundesrat auffordert, periodisch einen
Bericht über die Entwicklung auf dem Gebiet des gewalttätigen politischen Extremismus vorzulegen
[25].
Die Bundespolizei nahm im Sommer ihr neues
elektronisches Informationssystem ISIS, welches die alte Fichen-Papierkartei ablöst, in Betrieb. Eine vom EJPD vorgenommene Kontrolle ergab, dass die in den letzten Jahren neu angelegten Fichen den geltenden Weisungen entsprechen
[26].
[21]
BBl, 1994, II, S. 1127 ff.; Presse vom 15.3.94. Vgl.
SPJ 1991, S. 28.21
[22]
BBl, 1994, II, S. 1127 ff. (v.a. 1199 ff.). Vgl.
SPJ 1991, S. 28.22
[23] SP und Komitee:
LNN, 15.3.94; vgl. auch
BaZ und
TA, 5.9.94. Guntern:
BZ und
LNN, 15.3.94; Presse vom 21.6.94;
NZZ, 7.7.94 (Replik des EJPD). Vgl. auch oben, Datenschutz. Siehe auch die Kritik von Prof. Kreis in
NZZ, 26.4.94 und von Th. Weichert in
Plädoyer, 1994, Nr. 6, S. 17 ff. Zum Fichen-Skandal siehe
SPJ 1989, S. 22 ff.23
[24]
NZZ, 4.7.94 (ISIS);
Bund, 13.8.94 (Kontrolle).24
[25]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 595. Zum letzten Extremismusbericht siehe
SPJ 1992, S. 27.25
[26] Presse vom 25.5.94.26
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