Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
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Organisiertes Verbrechen
Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit den im Vorjahr von der Regierung vorgeschlagenen ergänzenden Massnahmen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, welche insbesondere die Beteiligung an einer kriminellen Organisation strafbar machen und die Möglichkeiten zur Einziehung von deliktisch erworbenem Vermögen verbessern wollen. Nachdem Eintreten unbestritten war, gab in der Detailberatung die Umschreibung der kriminellen Organisation am meisten zu reden. Die SP befürchtete von diesen neuen Bestimmungen eine Gesinnungsjustiz und verlangte deshalb eine genaue Definition. Ihr Antrag, dass darunter nur auf Dauer angelegte Organisationen zu verstehen sind, welche bereits konkrete, mit Gewaltanwendung oder Bestechung verbundene Delikte begangen haben, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. In der Minderheit blieb ebenfalls ein Antrag der SP und der GP, bei suspekt erscheinenden Geldtransaktionen nicht bloss ein Melderecht, sondern eine -pflicht für das Bankpersonal einzuführen. Diese Pflicht möchte der Bundesrat - bei ernsthaftem Tatverdacht - in das Finanzaufsichtsgesetz, welches er im Frühjahr in die Vernehmlassung gegeben hat, aufnehmen. Nachdem die Referendumsfrist ungenutzt verstrichen war, setzte der Bundesrat die neuen Bestimmungen auf den 1. August in Kraft [36].
In Erfüllung eines im Vorjahr vom Nationalrat überwiesenen Postulats der CVP-Fraktion legte der Bundesrat eine Zusatzbotschaft vor, in welcher er die Schaffung einer kriminalpolizeilichen Zentralstelle zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens beantragte. Eigene Ermittlungen soll diese allerdings nicht anstellen dürfen, da dies - mit Ausnahme der Drogen- und Sprengstoffdelikte - Sache der Kantone ist. Sie soll die Arbeit der für die Strafverfolgung zuständigen kantonalen Behörden koordinieren und zudem - unter Einhaltung von präzisen Datenschutzregeln - auch Informationen beschaffen und verwalten sowie den Kontakt mit ausländischen Stellen pflegen. Zur Erfüllung dieser letzten Aufgabe ist u.a. vorgesehen, schweizerische Polizeibeamte als fixe Verbindungsleute nach Lyon (Interpol) und nach Washington zu entsenden. Beim Datenschutz orientierte sich der Bundesrat am deutschen Modell, das für die Gewährung von Einsichtsrechten ein besonderes Interesse und den Hinweis auf konkrete Sachverhalte, die zu einem unrechtmässigen Eintrag hätten führen können, verlangt [37].
Der Ständerat anerkannte die Berechtigung und die Dringlichkeit des Begehrens. Aus rechtstechnischen Gründen folgte er aber - mit Einverständnis von Bundesrat Koller - seiner Kommission, die beantragte, die erforderlichen Bestimmungen nicht ins StGB einzubauen, sondern eine neues, vom Kommissionspräsidenten Zimmerli (svp, BE) konzipiertes Bundesgesetz über kriminalpolizeiliche Zentralstellen zu schaffen. Dieses könnte später den gesetzlichen Rahmen für weitere Zentralstelle bilden. In der politisch heikelsten Frage, der Regelung des Datenschutzes, entschied sich der Ständerat für eine restriktivere Lösung, die sich an der britischen Praxis orientiert. Um zu verhindern, dass Kriminelle herausfinden können, ob über sie überhaupt Informationen vorhanden sind, sollen keine Einsichtsgesuche in die Datensammlung der Zentralstellen gestellt werden können. Der Datenschutzbeauftragte soll Interessierten auf Anfrage lediglich mitteilen, dass er selbst Einsicht genommen habe und dass er - falls Daten vorhanden gewesen wären - die korrekte Bearbeitung allfällig falsch bearbeiteter Daten angeordnet hätte [38].
Der Nationalrat schloss sich der kleinen Kammer an. Ein nur von der SP unterstützter Rückweisungsantrag, der die Verfassungsmässigkeit der Vorlage bezweifelte, und der zudem die Einschränkungen der Datenschutzvorschriften kritisierte und die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens verlangte, unterlag mit 96 zu 30 Stimmen. In der Detailberatung lockerte der Rat die Datenschutzbestimmungen insofern, als ein nachträgliches Dateneinsichtsrecht besteht, wenn ein Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und kein begründetes Interesse an der Geheimhaltung vorliegt. Das Differenzbereinigungsverfahren konnte noch im Berichtsjahr abgeschlossen werden [39].
Der Nationalrat überwies darüber hinaus eine Motion seiner Kommission für Rechtsfragen, welche die Ausarbeitung von rechtlichen Grundlagen für die Ausweitung des Aktivitätsbereichs dieser Zentralstelle auf eigene Ermittlungen und den Einsatz von verdeckten Fahndern (sog. V-Männer) verlangt. Der Bundesrat opponierte dagegen mit den Argumenten, dass er aufgrund eines früheren Postulat Danioth (cvp, UR) bereits eine Arbeitsgruppe zum Problem der V-Leute eingesetzt habe und zudem abgeklärt werden müsse, ob es für die Ermittlungstätigkeit der Zentralstelle einer Verfassungsänderung bedürfe. Sein Antrag auf Umwandlung in ein Postulat vermochte sich erst im Ständerat durchzusetzen [40].
 
[36] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 55 ff. und 664 f.; Amtl. Bull. StR, 1994, S. 374; BBl, 1994, II, S. 274 ff.; NZZ, 1.7.94 (Inkraftsetzung). Vgl. SPJ 1993, S. 27. Kritisch dazu siehe Lit. Roulet und Vest.36
[37] BBl, 1994, I, S. 1145 ff.; Presse vom 13.1.94. Vgl. SPJ 1993, S. 27.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 717 ff.38
[39] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1423 ff., 1473 ff. und 1965; Amtl. Bull. StR, 1994, S. 947 und 1074; BBl, 1994, III, S. 1850 ff.; Presse vom 28.9.94. Zum Datenschutz siehe auch oben und TA, 17.6.94; NZZ, 21.6.94.39
[40] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1487 ff.; Amtl. Bull. StR, 1994, S. 947 f. Postulat Danioth: SPJ 1992, S. 30.40