Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Parlament
Das im Vorjahr beschlossene
elektronische Abstimmungssystem für den Nationalrat konnte in der Frühjahrssession in Betrieb genommen werden. Die neuen Möglichkeiten zur Verbesserung der Transparenz wurden rege genutzt. So fanden in dieser Session mehr als doppelt so viele Abstimmungen unter Namensaufruf statt als im Sessionsdurchschnitt der vorangegangenen Jahre
[25]. Das Büro beantragte die Bestätigung der 1993 provisorisch für ein Jahr beschlossenen Bestimmungen über die Anwendung des elektronischen Abstimmungssystems. Namenslisten sollen demnach weiterhin lediglich bei Gesamt-, Schluss- und Dringlichkeitsklauselabstimmungen sowie auf Verlangen von 30 Parlamentariern veröffentlicht werden; neuerdings soll dies - die Wissenschaft wird es dankbar zur Kenntnis nehmen - nicht bloss in gedruckter, sondern auch in elektronischer Form geschehen
[26].
Nationalrat Blocher (svp, ZH) demonstrierte - nach eigener Aussage in Unkenntnis des Verbots der Stellvertretung bei Abstimmungen -, dass es trotz aller technischer Sicherungen möglich ist,
für eine Banknachbarin oder einen Nachbarn zu stimmen. Nach der ausführlichen Behandlung des Falls in den Medien ersuchte Bundesanwältin del Ponte das Parlament um die Aufhebung der Immunität Blochers, um ein Strafverfahren wegen Wahlfälschung einzuleiten. Diesem Gesuch gab der Rat jedoch nicht statt, da er es für sinnvoller erachtete, die Einhaltung seiner Reglemente selber sicherzustellen. Blocher entschuldigte sich und wurde von der Ratspräsidentin im Namen des Büros für sein reglementswidriges Verhalten verurteilt. Anschliessend überwies der Nationalrat ein Postulat für strengere Sanktionsmittel bei zukünftigen Verstössen
[27]. Das Büro des Nationalrats reagierte sofort und reichte im Herbst eine parlamentarische Initiative für eine
Teilrevision des Geschäftsreglements ein. Diese sieht vor, dass das Büro bei schwerwiegenden Verstössen gegen die parlamentarischen Verhaltensregeln (insbesondere bei Abstimmungen und bei der Wahrung des Sitzungsgeheimnisses für Kommissionsmitglieder) einen Verweis aussprechen kann. Weitergehende Sanktionen wie etwa den Ausschluss von Sitzungen oder die Verweigerung von Sitzungsgeldern lehnte es ab
[28].
Der Ständerat beschloss gegen den Antrag seines Büros demonstrativ (mit 29 zu 1 Stimme), das im Vorjahr vom Nationalrat beschlossene elektronische
Personensuchsystem nicht anzuwenden und auf die Ausgabe von 40 000 Fr. für die persönlichen Empfänger zu verzichten
[29].
[25]
TA, 1.3.94. Insgesamt wurde in der Frühjahrssession für 67 Abstimmungen das Votum namentlich registriert, davon 23mal auf Verlangen von mindestens 30 Parlamentsmitgliedern (
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1185 f.). Vgl.
SPJ 1993, S. 38.25
[26]
BBl, 1995, I, S. 642 ff. Zu den Namensabstimmungen des Berichtsjahres siehe unten, Anhang Tabellen.26
[27]
LNN, 19.3.94;
SoZ, 20.3., 27.3. und 1.5.94;
BaZ, 8.4.94;
LZ, 6.5.94;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1012 ff. und 1018 (Postulat); Presse vom 15.6.94. Der StR hob die Immunität ebenfalls nicht auf (
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 712 ff.).2
[28]
BBl, 1995, I, S. 642 ff.28
[29]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 431 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 38 sowie
BaZ, 30.11.94.29
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