Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Gerichte
Trotz der 1991 beschlossenen Massnahmen zur Entlastung (v.a. organisatorische Änderungen und zusätzliche Hilfsrichterstellen) ist das Bundesgericht offenbar immer noch überlastet. Bei der Vorstellung des Geschäftsberichts 1993 sprach das Bundesgericht von einem nicht mehr bewältigbaren Pensum und rief nach Sofortmassnahmen. Wie diese aussehen sollten, liess es freilich offen; es riet nur von einer Erhöhung der Richterzahl ab, da dies die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gefährden würde [33].
Die GPK des Ständerats liess sich von diesem Ratschlag aber nicht beeindrucken und beantragte mit einer parlamentarischen Initiative eine Erhöhung der Richterzahl um maximal sechs. Mit dieser Aufstockung soll eine dritte öffentlichrechtliche Abteilung geschaffen werden, um sicherzustellen, dass es auch in der Zeit bis zum Inkrafttreten der angestrebten Totalrevision des Gesetzes über die Bundesrechtspflege zu keinen verfassungswidrigen Verzögerungen der Rechtssprechung kommt. Die entstehenden Kosten sollen kompensiert werden durch eine Reduktion der Zahl der nebenamtlichen Richter, deren quantitative Leistung nach Ansicht des Bundesgerichts heute ohnehin nicht in allen Fällen befriedigend ist [34].
Das Bundesgericht reagierte auf diesen Vorschlag negativ. Es bestätigte - freilich nur dank dem Stichentscheid des Präsidenten - seine Gegnerschaft zu einer Erhöhung der Richterzahl und schlug stattdessen eine Heraufsetzung der Streitwertgrenzen und die Einführung von Vorprüfungsinstanzen vor - also genau jene Punkte, welche 1990 zum Scheitern der Gesetzesrevision in der Volksabstimmung geführt hatten [35]. Der Bundesrat sprach sich in seiner Stellungnahme aus politischen Gründen gegen diese Vorschläge der Bundesrichter aus. Er lehnte aber auch die von der GPK beantragte personelle Aufstockung ab, da diese "Bequemlichkeitslösung" den Weg für eine umfassende Strukturreform verbauen würde. Als einzige Sofortmassnahme schlug er vor, auf dem Budgetweg zusätzliche juristische Assistentenstellen zu bewilligen [36]. Der Ständerat liess sich davon nicht überzeugen; er trat auf die parlamentarische Initiative seiner GPK ein und erhöhte die gesetzlich festgelegte Richterzahl von 30 auf maximal 36 [37].
 
[33] Gesch.ber. 1993, Teil 3, S. 3 f.; Presse vom 17.3.94 (v.a. BaZ); NZZ, 18.3.94. Vgl. SPJ 1991, S. 45.33
[34] BBl, 1994, III, S. 1240 ff.; NZZ, 28.3. und 27.5.94. Vgl. SPJ 1993, S. 40.34
[35] NZZ, 12.7.94; BBl, 1994, V, S. 391 f.; Gesch.ber. 1994, Teil 3, S. 4. Zur Volksabstimmung siehe SPJ 1990, S. 43 f.35
[36] BBl, 1994, V, S. 388 ff. (Zitat S. 394) sowie Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1040 ff.; NZZ, 28.9.94.36
[37] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1033 ff.37