Année politique Suisse 1994 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik / Wettbewerb
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Öffentliches Beschaffungswesen
In Anbetracht der neuen Situation, welche durch die erfolgreich abgeschlossenen GATT-Verhandlungen entstanden war, beschloss der Bundesrat im März, die Revision der Submissionsverordnung, zu welcher er im Vorjahr eine Vernehmlassung eröffnet hatte, einzustellen und gleich ein neues Gesetz vorzulegen [34].
Das ab dem 1. Januar 1996 geltende neue Welthandelsabkommen (GATT-WTO) wird - unter dem Vorbehalt der Gewährung von Gegenrecht - auch eine Liberalisierung des Submissionswesens zur Folge haben. Es dehnt namentlich den Geltungsbereich auf staatliche Unternehmen im Bereich Energie, Wasser- und Verkehrsinfrastrukturen (staatliche Bahn- und Telecom-Betriebe sind allerdings im WTO-Abkommen ausgeklammert) und auf die Kantone aus. Zudem regelt es detailliert das Vorgehen bei der Ausschreibung und der Vergabe und schreibt die Einrichtung einer Rekursstelle vor. Um die nötigen gesetzlichen Anpassungen zu vollziehen, legte der Bundesrat parallel zur Ratifikation des Abkommens den Entwurf für ein neues Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen des Bundes vor. Dieser Entwurf enthält auch Bestimmungen über die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen, um sozial negative Auswirkungen für die inländischen Arbeitnehmer und Konkurrenznachteile für schweizerische Firmen infolge der Gleichbehandlung der Offerten ausländischer Firmen zu verhindern. Diese Bedingungen sollen den am Ort der Leistungserbringung üblichen arbeitsschutzrechtlichen, gesamtarbeitsvertraglichen und anderen Abmachungen entsprechen - sie sind also lediglich für die in der Schweiz ausgeführten Arbeiten verbindlich. Analog dazu wurde auch festgehalten, dass nur Unternehmen von der Liberalisierung profitieren können, welche - bei in der Schweiz erbrachten Leistungen - auf geschlechtsspezifische Diskriminierungen verzichten [35].
Beide Kammern des Parlaments behandelten das neue Gesetz in der Dezembersession. Die Vorlage wurde grundsätzlich nicht bekämpft, war aber in einigen Punkten recht umstritten. Der Ständerat beschloss, auf die explizite Erwähnung der Gleichbehandlung von Mann und Frau zu verzichten, da dieser Rechtsgrundsatz in der Verfassung und zukünftig wohl auch im Gleichstellungsgesetz rechtlich verankert ist und seiner Ansicht nach nicht in jedem Spezialgesetz noch gesondert aufgeführt werden muss. Als wettbewerbspolitisch umstrittenster Artikel erwies sich die vom Bundesrat beantragte Einführung von Verhandlungen mit den Anbietern, wenn kein Angebot als das wirtschaftlich günstigste evaluiert werden kann (sog. Angebotsrunden). Solche Gespräche sind in der Privatwirtschaft üblich und vom WTO-Vertrag für öffentliche Aufträge erlaubt, aber nicht vorgeschrieben. Sie gestatten den Anbietern, ihre in der Offerte genannten Preise nachträglich nach unten zu korrigieren, und verschärfen damit den Konkurrenzkampf. In der Vernehmlassung waren sie vom Gewerbeverband und vom Vorort bekämpft worden. Der Ständerat lehnte zwar das von der Kommissionsmehrheit beantragte Verbot einer Verhandlungsrunde über Preise ab, wollte solche aber bloss unter restriktiven Bedingungen (vorherige Ankündigung oder beim Verdacht auf Absprachen unter den Anbietern) zulassen [36].
Im Nationalrat wurde die explizite Erwähnung des Verbots von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen von einer aus der SP, der GP, der LdU/EVP-Fraktion und der CVP gebildeten Mehrheit wieder in das Gesetz aufgenommen; allerdings mit der von Sandoz (lp, VD) eingebrachten Präzisierung, dass sich dieses Verbot auf die Entlöhnung beschränkt. In der Frage der Angebotsrunden bei gleichwertigen Offerten setzte sich gegen den Widerstand der FDP, der LP und der FP der Vorschlag des Bundesrates durch, solche generell zuzulassen. In der Differenzbereinigung schloss sich der Ständerat in allen wesentlichen Punkten dem Nationalrat an; bei den Angebotsrunden brauchte er dazu allerdings zwei Anläufe. In der Schlussabstimmung stimmte der Nationalrat mit 142 zu 35 zu; die Gegenstimmen kamen vor allem aus den Fraktionen der FDP und der FP. Im Ständerat passierte die Vorlage mit 34:5 Stimmen [37].
Mit dem Einverständnis des Bundesrats überwies der Ständerat eine Motion Bisig (fdp, SZ), welche verlangt, dass neben den bestehenden Wohnbaupreisindizes auch solche für Verwaltungs- Gewerbe- und Tiefbauten erstellt werden. Der Motionär erhofft sich davon Kosteneinsparungen für die öffentliche Hand, da seiner Meinung nach die heute in Offerten und Voranschlägen übliche automatische Anwendung des Wohnbaupreisindexes der Stadt Zürich die effektive Kostenentwicklung nicht korrekt spiegelt [38].
 
[34] NZZ, 15.3.94. Vgl. SPJ 1993, S. 106.34
[35] BBl, 1994, IV, S. 1149 ff. Zur WTO siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales). Vgl. auch SPJ 1993, S. 106 sowie SHZ, 28.4.94. Die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens ist auch ein Thema der im Dezember eröffneten bilateralen Verhandlungen mit der EU (siehe dazu oben , Teil I, 2, Europe: EEE et UE).35
[36] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1166 ff.36
[37] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1314 ff., 1323 ff. und 1360; Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2276 ff., 2358 f. und 2541 f.; BBl, 1994, V, S. 1119 ff.37
[38] Amtl. Bull. StR, 1994, S. 105 f.38