Année politique Suisse 1994 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Bevölkerungsentwicklung
Die Bevölkerungzahl der Schweiz hat 1994 erstmals die Grenze von sieben Millionen überschritten. Die ständige Wohnbevölkerung (ohne internationale Funktionäre, Saisonniers, Kurzaufenthalter und Asylbewerber) nahm im Berichtsjahr um 56 600 Personen auf 7 021 200 zu. Die Zuwachsrate von 0,8% lag unter derjenigen der sechs Vorjahre. Die Zunahme ergab sich zu 40% aus einem Geburtenüberschuss und zu 60% aus einem - gegenüber 1991 allerdings um rund 50% geringeren - Einwanderungsüberschuss. Insgesamt 13 Kantone vermeldeten einen Bevölkerungszuwachs über dem Mittel. Voran lagen die Innerschweizer Kantone Zug (2,0%) und Schwyz (1,8%). Überdurchschnittliche Zunahmen verzeichneten auch Freiburg und Nidwalden (je 1,6%) sowie Thurgau und Tessin (je 1,5%). Am schwächsten war die Wachstumsrate in Basel-Stadt (0,1%) und Bern (0,3%) [1].
Die Herausforderung einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung kann gemäss verschiedenen, vom Bundesamt für Konjunkturfragen in Auftrag gegebenen Studien kurz- und mittelfristig bewältigt werden. Voraussetzung dafür sind aber die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft, eine Gesundung der Staatsfinanzen sowie eine Qualitätssicherung im Bildungswesen [2].
Nach Bukarest 1974 und Mexico-City 1984 fand im September in Kairo die dritte von der UNO organisierte Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung statt. Die Schweizer Delegation, welcher neben dem stellvertretenden Chef der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) auch Nationalrätin Elisabeth Caspar-Hutter (sp, SG) als Repräsentantin der Nichtregierungsorganisationen (NGO) angehörte, wurde von Bundesrätin Ruth Dreifuss angeführt. Das offizielle Mandat des Bundesrates für die Schweizer Delegation fusste auf der Überzeugung, dass eine Reduktion der Bevölkerungszuwachsraten sehr stark von Bildungsmöglichkeiten für Mädchen, vom Vorhandensein von bezahlter Arbeit für Frauen und vom Zugang zu medizinischer Grundversorgung für alle abhängt. Die Schweizer Delegation sprach sich für eine breite Sicht der Bevölkerungsthematik aus, welche ökologische Gesichtspunkte ebenso einbezieht wie demographische. Sie erachtete spezifische Massnahmen zur Geburtenregelung als unentbehrlicher Bestandteil jeder Entwicklungspolitik, betonte aber, dies dürfe nur unter Rücksichtnahme auf die Würde und Freiheit der Betroffenen geschehen. In der sehr kontroversen Frage der Abtreibung unterstützte die Schweiz die Absicht, dieses Thema nicht im Konferenztextabschnitt über die Familienplanung, sondern in jenem über die Gesundheit der Mütter und mit deutlicher Reverenz gegenüber den nationalen Gesetzgebungen unterzubringen [3].
Im Anschluss an die Konferenz beantragte Nationalrätin Bär (gp, BE), der Bundesrat solle in einem Bericht und mit einem Zeitplan darlegen, wie er die an der Kairoer Konferenz verabschiedeten Programme umzusetzen gedenke. Der Bundesrat war bereit, das Postulat entgegenzunehmen, doch wurde es von Nationalrat Dreher (fps, ZH) bekämpft und damit der Diskussion vorderhand entzogen [4].
 
[1] Presse vom 29.3.94.1
[2] Presse vom 21.10.94.2
[3] Presse vom 30.3.94; NZZ, 7.4.94. Zu Diskussionen über die Zusammensetzung der Delegation an dieser Konferenz siehe Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1448.3
[4] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2472 f.4