Année politique Suisse 1994 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Fürsorge
Auf Anregung des EDI setzte die Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren eine Arbeitsgruppe ein, die einen massnahmenorientierten
Bericht zur neuen Armut ausarbeiten soll. Dieser wird sich im wesentlichen auf die Ergebnisse der bisher vorliegenden Armutsstudien sowie die aktuellen Entwicklungen in den Kantonen im Bereich Sozialhilfe stützen und soll bis Ende 1995 vorliegen
[48].
Gemäss einer Pilotstudie zu einer nationalen Sozialhilfestatistik werden gesamtschweizerisch
zwischen 100 000 und 150 000 Personen von den Fürsorgebehörden materiell unterstützt. Die Bruttoleistungen dürften bei etwa einer Milliarde Fr., die Nettoleistungen bei 600 bis 700 Mio. Fr. pro Jahr liegen. Hauptbezüger der Sozialhilfe sind mit 34% Arbeitslose, gefolgt von Suchtabhängigen (19%) sowie Alleinerziehenden und AHV/IV-Rentnern mit je 14%. In den letzten Jahren mussten grössere Gemeinden Steigerungsraten von jährlich bis zu 35% verkraften. Aufgrund der bei 30 Sozialhilfestellen in der Deutschschweiz erhobenen Daten lässt sich im Fürsorgebereich ein
klarer Stadt-Land-Unterschied erkennen. Die Zahl der unterstützten Personen und Familien liegt in städtischen Gemeinden weitaus höher als in ländlichen Regionen. Zudem ist das Stadt-Land-Gefälle bei der Sozialhilfe ausgeprägter als bei den Armutsquoten und widerspiegelt damit eine restriktivere Sozialhilfe auf dem Land. Aus den Daten ging weiter hervor, dass nur ein Teil der wirtschaftlich Bedürftigen öffentliche Sozialhilfe bezieht. Die Fürsorgequoten liegen im Vergleich zu den Armutsquoten sehr viel tiefer, bei den kleinsten Gemeinden rund vierzigmal, bei den Städten mit über 300 000 Einwohnern immerhin noch rund siebenmal. Laut Schätzungen beziehen je nach Gemeinde zwischen fünf und 30% der einkommensschwachen Wohnbevölkerung Fürsorgegelder
[49].
Die
Umsetzung des seit Anfang 1993 in Kraft stehenden Opferhilfegesetz verläuft nach wie vor
schleppend und uneinheitlich, da die Kantone die Vollzugspraxis mehr oder weniger mühsam erarbeiten müssen. Die Konferenz der kantonalen Fürsorgedirektoren will deshalb gesamtschweizerische Richtlinien erarbeiten lassen. Ihrer Ansicht nach müsste die Opferhilfe einheitlicher und grosszügiger gehandhabt werden
[50].
Mit einer Motion wollte Nationalrätin Goll (sp, ZH) die Landesregierung verpflichten, Bundesbeiträge an die heute bestehenden 13
Frauenhäuser der Schweiz auzurichten. Der Bundesrat anerkannte ausdrücklich die immense Aufbau-, Betreuungs- und Öffentlichkeitsarbeit, welche die Frauenhäuser und Notaufnahmestellen für Kinder und Jugendliche seit den siebziger Jahren vollbracht haben. Für die Frage der Finanzierung verwies er aber auf das Opferhilfegesetz (OHG), welches es den Kantonen ermöglicht, während den ersten sechs Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes Bundesbeiträge für den Aufbau der Opferhilfe auszulösen. Einige Kantone - so etwa Schaffhausen - hätten die Frauenhäuser bereits als Beratungsstellen nach OHG anerkannt. Nach diesen Ausführungen wurde die Motion auf Antrag des Bundesrates nur als Postulat überwiesen
[51].
Eine Motion von Felten (sp, BS) über die erleichterte alleinige Wohnungszuweisung an einen noch nicht in richterlich festgesetzten Trennung lebenden Ehegatten im Fall von psychischer oder physischer Misshandlung wurde, da der Bundesrat auf bereits bestehende Eheschutzmassnahmen verweisen konnte, vom Nationalrat lediglich als Postulat angenommen
[52].
Das Schweizerische Rote Kreuz beschloss, 1995 im Raum Bern ein gesamtschweizerisches
Ambulatorium für Folteropfer einzurichten. Mit der Ratifizierung der UNO-Konvention gegen Folter hat sich die Schweiz verpflichtet, den Folteropfern eine Rehabilitation zu ermöglichen. Anders als beispielsweise in Dänemark, Schweden, Holland und Frankreich gibt es jedoch bisher in der Schweiz kein spezifisches Therapieangebot für die rund 8000 hier lebenden Folteropfer. An der für die Startphase zur Vefügung stehenden Summe von 1,4 Mio Fr. beteiligen sich der Bund mit 300 000 Fr. und der Kanton Bern mit 100 000 Fr. Mehr als 800 000 Fr. wurden über private Spenden aufgebracht. Der Bundesrat will im Rahmen der Asylgesetzrevision die Möglichkeit prüfen, jährliche Beiträge an die Betriebskosten des Ambulatoriums zu leisten
[53].
[48]
Gesch.ber., 1994, I, S. 26.48
[49]
Lit. Höpflinger / Wyss; Presse vom 29.3.94. Siehe auch
Soziale Sicherheit, 1994, Nr. 2 (Schwerpunktthema Armut - Sozialversicherung - Sozialhilfe).49
[50]
NZZ, 18.6. und 14.11.94;
LZ, 6.1.95. Vgl.
SPJ 1993, S. 213.50
[51]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 581 f.51
[52]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1884 f.52
[53]
WoZ, 17.6.94; Presse vom 11.11.94. Siehe auch
SPJ 1993, S. 213.53
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