Année politique Suisse 1994 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Stellung der Frau
Eine parlamentarische Initiative Bär (gp, BE), welche verlangte, beiden Geschlechtern sei eine
angemessene Vertretung im Bundesrat zu garantieren, wurde mit 93:53 Stimmen recht deutlich abgelehnt. Frau Bär erachtete ihren Vorschlag als die "Zauberformel der Zukunft" und verwies auf die Akzeptanz anderer "Quoten", wie etwa partei-, sprach- oder regionalpolitische. Mit dieser Argumentation erhielt sie aber nur gerade die Unterstützung ihrer eigenen Partei sowie jene der SP- und der LdU/EVP-Fraktion. Die Mehrheit des Rates stellte sich hinter die Erwägungen ihrer staatspolitischen Kommission, welche den Vorschlag der Berner Grünen als eine weitreichende Beeinträchtigung des aktiven und passiven Wahlrechts erachtete. Sie befand, gerade angesichts der von Bär ins Feld geführten Vorgaben bei Bundesratswahlen sollte die Bundesversammlung ihre Wahlfreiheit nicht noch zusätzlich einschränken
[22].
Unter der Führung von Gret Haller (sp, BE), die im Berichtsjahr als Nationalratspräsidentin höchste Schweizerin war, und von Bundesrätin Ruth Dreifuss wurde das
Solidaritätsnetz der politisch verantwortlichen Frauen weiter ausgebaut. Ende März trafen sich auf Einladung Hallers rund 120 nebenamtliche Präsidentinnen von Gemeinde- und Kantonsräten in Bern, um über ihre politischen Erfahrungen zu diskutieren. Im Mai lud Dreifuss jene Frauen zu einem Gedankenaustausch ein, die hauptamtlich ein Exekutivamt bekleiden. Im September schliesslich folgten die Parlamentspräsidentinnen von Deutschland, El Salvador, Grenada, Finnland, Island, Italien, Japan und Südafrika der Einladung Hallers zu einer internationalen Konferenz. Die Politikerinnen befassten sich mit der Rolle der Frau in der Politik, aber auch mit Fragen der Nord-Süd-Solidarität und des Minderheitenschutzes
[23].
Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS), welche die Resultate der Frauen bei den Nationalratswahlen von 1971 bis 1991 verglich, hat sich die Frauenvertretung seit den 70er Jahren sowohl in parteipolitischer wie regionaler Hinsicht stark verändert. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts teilten sich FDP, CVP und SP vorerst zu ungefähr gleichen Teilen in die Frauensitze. Der Frauenanteil der bürgerlichen Bundesratsparteien stagnierte aber ab den 80er Jahren; 1991 war ihre Frauenvertretung im Nationalrat mit 12 Mandaten zusammen nur noch gleich gross wie jene der SP allein. Seit 1983 stammen 55 bis 60% aller in die grosse Kammer gewählten Frauen aus den Reihen der SP und den Allianzen von POCH und Grünen, obwohl diese Parteien dort nur 26 bis 28% der Sitze halten. Noch nie seit Einführung des Frauenstimmrechts wurde eine Frau der EVP, der nationalistischen Rechtsparteien oder der Autopartei (heute Freiheitspartei) in den Nationalrat gewählt.
Die Unterscheidung nach
Sprachregionen wies eine deutliche Verschiebung der Frauenvertretung von der Romandie in die Deutschschweiz nach. In den 70er Jahren war der Anteil der in den Nationalrat gewählten Frauen in den französischsprachigen Kantonen deutlich grösser (8,9%) als in den deutschsprachigen (4,1%). Während danach der Frauenanteil in der Deutschschweiz kontinuierlich anstieg und 1991 21,5% erreichte, sank er in der Westschweiz seit 1983 und kam 1991 mit 8,3% auf seinen Tiefststand. In den kantonalen Parlamenten lassen sich hingegen keine sprachregionalen Unterschiede feststellen, die Führungsrolle wechselt hier immer wieder von einem Landesteil zum andern
[24].
Für die Resultate der Frauen bei kantonalen und kommunalen Wahlen siehe oben, Teil I, 1e sowie die Tabellen im Anhang.
[22]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1853 ff. Zu der im Vorjahr lancierten Quoteninitiative siehe
WoZ, 6.5.94;
Bund, 8.10. und 11.11.94;
DAZ, 22.12.94. Vgl. auch oben, Teil I, 1c (Regierung).22
[23] Presse vom 26.3., 15.5. und 15.9.94.23
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