Année politique Suisse 1994 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
Ende 1993 deponierte der Waadtländer PdA-Abgeordnete Zisyadis eine Motion, mit welcher er den Bundesrat aufforderte, eine Fachstelle für Religionsfragen zu schaffen, die beobachtet, wo die Kirchen, aber auch Sekten und andere Religionsgemeinschaften stehen und wie und in welchem Mass sie die gesellschaftliche Entwicklung prägen und beeinflussen. In seiner schriftlichen Stellungnahme zur Motion, welche im Berichtsjahr noch nicht vom Plenum behandelt wurde, lehnte der Bundesrat die Schaffung einer deratigen Stelle aus Gründen der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen ab. Nach dem Sektendrama von Cheiry (FR) und Granges-sur-Salvan (VS), bei dem in einer Art Endzeitaktion 48 Mitglieder eines obskuren Sonnentemplerordens ihr Leben verloren, doppelte Zisyadis mit einer Interpellation nach. In seiner Antwort bedauerte der Bundesrat diese Tragödie, vertrat aber die Ansicht, dass auch ein Bundesamt für Religionsfragen ein solches Geschehen nicht hätte verhindern können. Aus diesem Grund sah er keine Veranlassung, auf seine ursprüngliche Stellungnahme zurückzukommen [40].
Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragte dem Kantonsrat, die vor Jahresfrist eingereichte Volksinitiative zur Trennung von Kirche und Staat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Zuvor hatten sich schon die katholische Zentralkonferenz und die protestantische Synode dezidiert gegen die Initiative ausgesprochen. Im Kanton Aargau lehnten Regierung und Kirchen eine analoge Motion der SD ebenfalls ab [41].
Die Diskussion über den Bistumsartikel in der Bundesverfassung kam erneut in Gang. Angesichts der Arbeitsüberlastung der Schweizer Bischöfe, welche immer häufiger zu gesundheitsbedingten vorzeitigen Rücktritten führt, forderte der Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz eine baldige Restrukturierung vor allem der drei grossen Diözesen Basel, Chur und Freiburg-Lausanne-Genf. Bereits 1982 hatte eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Projektkommission die Schaffung von drei neuen Bistümern mit Sitz in Genf, Zürich und Luzern vorgeschlagen, was bei den anderen Konfessionen teilweise kritisch aufgenommen worden war. Gemäss Verfassung (Art. 50 Abs. 4) muss der Bund die Errichtung neuer Bistümer auf schweizerischem Gebiet genehmigen. Diese Bestimmung, welche auf die vom Kulturkampf geprägte Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 zurückgeht, wird von den Katholiken als diskriminierende Anomalie empfunden, weshalb der Präsident der Bischofskonferenz erneut die baldige Abschaffung des Bistumsartikels verlangte.
Aber auch Politiker wurden in dieser Richtung aktiv. Bereits zwei Monate vor dem Appell der Bischofskonferenz hatte Nationalrat Leuba (lp, VD) den Bundesrat in einer Interpellation aufgefordert, die Abschaffung des Bistumsartikels voranzutreiben. Leuba argumentierte, der Artikel widerspreche dem von den Stimmbürgern am 25. September angenommenen Anti-Rassismusgesetz, das ausdrücklich auch die Diskriminierung aus Gründen der Religionszugehörigkeit unter Strafe stellt. In seiner Antwort bestritt der Bundesrat zwar, dass der Bistumsartikel einen Fall von Diskriminierung im Sinn der internationalen Konvention gegen den Rassismus darstelle. Er räumte aber ein, dass diese Bestimmung mit der Regelung der konfessionellen Konflikte an Bedeutung verloren habe, weshalb er sich bereit erklärte, bei einer Totalrevision der Bundesverfassung die Aufhebung des Artikels zu beantragen, wie dies bereits eine überwiesene Motion des Nationalrates von 1972 verlangt hatte [43].
Nach den Auseinandersetzungen um die Ernennung des Churer Bischofs Wolgang Haas kam der Wahl eines neuen Bischofs in der Diözese Basel - mit 10 Kantonen und 1,1 Mio Katholiken das grösste Schweizer Bistum - besondere Bedeutung zu. Aufgrund des Konkordates von 1828, welches dem Domkapitel und den Regierungen der betroffenen Kantone weltweit einmalige Rechte bei der Wahl eines Bischofs zugesteht, konnte davon ausgegangen werden, dass sich so umstrittene Vorkommnisse wie bei der Einsetzung von Haas nicht wiederholen würden. Die Wahl verlief denn auch ungestört und ohne laute Töne. Gewählt - und vom Papst bestätigt - wurde der Stadtberner Pfarrer und Dekan Hansjörg Vogel, der in Kirchenkreisen als profiliert und aufgeschlossen gilt [44].
Überraschend trat im Herbst auch der Oberhirte des Bistums St. Gallen, Otmar Mäder zurück. St. Gallen ist wie Basel eine der wenigen Diözesen der Welt, in denen der Bischof nicht von Rom ernannt, sondern von einem lokalen Gremium gewählt wird, wobei allerdings - anders als in Basel - die Kandidaten bereits vor der Wahl der Zustimmung des Vatikans bedürfen. Bis zur Bestellung des neuen Bischofs wurde die Diözese einem Administrator unterstellt [45].
Bischof Haas spaltete mit seiner Personalpolitik und seiner Verweigerung jeglichen Dialogs weiterhin das Bistum Chur. Die Bündner Kirchenbasis reagierte auf die unerfreuliche Situation mit der Einberufung einer Tagsatzung, an der 100 der 131 katholischen Kirchgemeinden Graubündens vertreten waren. Anders als Haas, der jede Zusammenarbeit mit der Tagsatzung ablehnte, stellte sich Weihbischof Vollmar voll hinter deren Zielsetzung, im Bistum Chur wieder Frieden und Einheit herzustellen. Aber auch ausserhalb Graubündens ging die Kirchenbasis immer weiter auf Distanz zu Haas. Der Entscheid der Urschweizer Landeskirchen, welche seit Jahren Haas den Bistumsbeitrag verweigern, das gesperrte Geld teilweise freizugeben, allerdings nicht, um es an Chur abzuliefern, sondern ausdrücklich zur Schaffung eines Urschweizer Generalvikarensekretariats, wurde allgemein als erster Schitt in Richtung einer Abspaltung von der Diözese Chur gewertet [46].
 
[40] Verhandl. B.vers., 1994, IV, S. 139; Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2489; Presse vom 6.10.-10.10.94.40
[41] NZZ, 2.3., 11.3., 30.3., 1.7. und 20.8.94; BaZ, 22.3.94. Siehe auch SPJ 1993, S. 265.41
[43] Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2488 f. Siehe SPJ 1972, S. 16 f. Nicht bis zu einer Totalrevision der BV möchte der Aargauer StR Huber (cvp) warten. In der Wintersession reichte er eine parl. Initiative für eine ersatzlose Streichung von Art. 50 Abs. 4 BV ein (Verhandl. B.vers., 1994, IV, S. 37).43
[44] Ww, 6.1. und 10.1.94; LNN, 12.1.94; TA, 13.1.94; Presse vom 14.1., 15.1., 4.2., 5.4. und 6.7.94; LZ, 19.1.94; SZ, 14.4.94. Siehe auch SPJ 1993, S. 265 f. Gleichzeitig mit der Bestätigung Vogels ernannte der Papst den eher als traditionalistisch eingeschätzten Walliser Priester Pierre Burcher zum neuen Weihbischof des Bistums Freiburg-Lausanne-Genf (Presse vom 4.2. und 14.3.94).44
[45] Presse vom 26.9. und 6.10.94; SGT, 29.9., 12.10., 31.10., 10.11. und 12.11.94; NQ, 30.9.94.45
[46] Presse vom 8.2.94; TA, 21.5.94; BüZ, 25.5., 26.5., 31.5., 4.6., 6.6., 7.11. und 25.11.94; LNN, 23.11.94. Immer wieder auftauchende Gerüchte, wonach Papst Johannes Paul II zur Einsicht gelangt sei, die Ernennung von Haas sei ein Fehler gewesen, weshalb er ihm den Rücktritt nahelege, wurden von Chur, dem päpstlichen Nuntius im Bern und vom Vatikan stets dementiert (BüZ, 15.3.94; Presse vom 21.5., 31.5. und 7.6.94). Siehe SPJ 1993, S. 265.46