Année politique Suisse 1995 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Zu Beginn des Jahres verabschiedeten die Delegierten der SVP ein neues Schwerpunktprogramm, das programmatische Flügelkämpfe zwischen dem konservativen und dem liberalen SVP-Lager beilegen sollte. In den Mittelpunkt stellte die SVP, wie die CVP, die Erhaltung und Förderung des Mittelstandes. Zur Nagelprobe geriet aber die Europafrage: Mit der Formulierung "ein Beitritt zur EU ist kein Ziel der schweizerischen Aussenpolitik" setzte sich mit 131 zu 111 Stimmen der konservative Zürcher Flügel durch, während sich die Westschweizer, Berner, Bündner und die SVP-Frauen sowie Bundesrat Ogi mehrheitlich für das Offenhalten aller Optionen ausgesprochen hatten. Deutlich setzte sich bei den Delegierten eine repressive Haltung in der Drogenfrage durch. So wurde der Verzicht auf staatliche Heroinabgabe und Fixerstuben mit klarer Mehrheit - aber gegen die SVP-Frauen und die Berner Sektion - abgesegnet. Ein Antrag, die Abschaffung der direkten Bundessteuer ins Programm aufzunehmen, hatte keine Chance [28].
Zu einem ernsthaften Streit innerhalb der SVP kam es um die Neat. Der Zürcher Exponent Christoph Blocher forderte im Februar eine zweite Neat-Abstimmung und den Verzicht auf die Lötschberglinie. Damit stellte er sich klar in Gegensatz zu den Bernern, Westschweizern und SVP-Bundesrat Ogi, die den Neat-Vollausbau gemäss Volksentscheid realisieren wollen. Die Partei wies den Vorschlag von Blocher zurück [29].
Auch auf andere Eskapaden von Christoph Blocher reagierte die Partei empfindlich. Im Mai liess sich das SVP-Aushängeschild von der von ihm präsidierten Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) einen Freipass für drei Referenden ausstellen - gegen Konzessionen bei den bilateralen Verhandlungen, gegen die europäische Sozialcharta und gegen neue Staatssekretäre. Die SVP, die eine immer stärkere Vermischung mit der Auns befürchtet, forderte Blocher daraufhin auf, die Positionen von SVP und Auns klar voneinander zu trennen. Anlässlich der Grosskundgebung "Ja zur Schweiz - Nein zum EWR/EU-Beitritt", die Ende September unter dem Patronat von Christoph Blocher in Zürich stattfand, traten die SVP Zürich und die Auns zum Ärger der SVP-Parteizentrale allerdings in einer gemeinsamen Trägerschaft auf [30].
Dem Vorwurf insbesondere der CVP und der FDP, dass die SVP als Regierungs- und gleichzeitige Oppositionspartei ein Doppelspiel betreibe, begegnete die SVP mit einem Parteitag in Holziken (AG) unter dem Titel "Zukunft der SVP - Opposition oder Regierungspartei?". Dabei sprach sie sich klar für ein Verbleiben in der Regierung aus [31].
Der Präsident der SVP, Hans Uhlmann, gab nach achtjähriger Tätigkeit seinen Rücktritt auf Ende Januar 1996 bekannt [32].
Bereits bei den kantonalen Wahlen setzte die SVP mit 15 Sitzgewinnen zum Siegeszug an, wobei sie allein in Luzern, wo sie zum ersten Mal antrat, 11 Sitze holte. Bei den eidgenössischen Wahlen gehörte die SVP mit fünf Mandatsgewinnen und einem Wählerzuwachs von 3% (neu: 14,9%) dann ebenfalls zu den Siegern, wobei sich die Wählerschaft klar für den aggressiven Stil des konservativen Parteiflügels entschied. Gewählt wurde keine einzige zusätzliche Frau. Die SVP-Frauen schlugen deshalb ungewohnt radikale Töne an und forderten eine professionelle parteiinterne Frauenförderung. Aus Protest auf daraufhin herablassende Voten zur Stellung der Frau innerhalb der SVP trat SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti aus der Berner Kantonalsektion aus [33].
 
[28] Presse vom 23.1.95. Vgl. SVP, Schwerpunktprogramm '95, Bern 1995. Die Berner SVP sprach sich später offiziell für die laufenden Heroinabgabeversuche und Fixerräume aus (Bund, 10.3.95). Zu den SVP-Flügelkämpfen siehe auch SPJ 1994, S. 325.28
[29] Presse vom 1.2.95. Vgl. auch oben, Teil 1, 6b (Chemins de fer).29
[30] SoZ, 14.5.95; Sonntags-Blick, 9.7.95. Die Auns zählt über 20 000 Mitglieder, darunter gehören nicht wenige auch der SVP an. Zur Auns siehe "In den Schuhen des Fischers" in Ww, 21.9.95. Zur Anti-EU-Kundgebung sowie zu den "Stiefel-Inseraten" der SVP Zürich und ihrem Präsidenten Christoph Blocher vor den eidgenössischen Wahlen siehe oben, Teil I, 1e (Eidg. Wahlen). Vgl. auch Lit. Hartmann.30
[31] Presse vom 20.8.95.31
[32] Presse vom 3.11.95.32
[33] NZZ, 4.11.95; SoZ, 5.11. und 17.12.95.33