Année politique Suisse 1995 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Landwirtschaft
Wenig erfolgreich war der Schweizerische Bauernverband (SBV) bei den eidgenössischen Volksabstimmungen. Am 12. März wurden alle drei von ihm unterstützten Agrarvorlagen (Landwirtschaftsartikel, Solidaritätsbeiträge und Milchwirtschaftsbeschluss) abgelehnt. Federführend bei den Gegnern waren neben der Vereinigung kleiner und mittlerer Bauern (VKMB) die Umweltschutzverbände, die Parteien der Linken und der Grünen sowie die Biobauern. Damit war der Weg für einen neuen, ökologischer ausgerichteten Agrarartikel vorgezeichnet. Die Bauernvertreter lieferten anlässlich der Beratung dieses neuen Artikels im Parlament zwar noch einige Rückzugsgefechte, namentlich gegen eine zwingende Verknüpfung der Direktzahlungen mit ökologischen Auflagen. Angesichts der Abstimmungsniederlage vom März und den zwei hängigen Volksinitiativen für eine noch marktorientiertere und ökologischere Landwirtschaftspolitik musste sich der SBV aber mit dem vom Parlament verabschiedeten neuen Agrarartikel abfinden [5].
Erfolgreicher fielen für den SBV die eidgenössischen Wahlen vom Oktober aus, obwohl im Vorfeld angesichts des Rücktritts von rund einem Drittel der Landwirtschaftsvertreter eher mit Einbussen gerechnet worden war. Verbandsdirektor Melchior Ehrler schaffte - im zweiten Anlauf - den Einzug in den Nationalrat auf der Liste der aargauischen CVP; Verbandspräsident Marcel Sandoz gelang dasselbe auf der waadtländischen FDP-Liste. Neu zogen - neben vielen anderen Landwirten - auch der Präsident des Bernischen Bauernverbandes Fritz Oehrli (svp) sowie der St. Galler Landwirt Toni Brunner (svp) - mit 21 Jahren jüngster je gewählter Nationalrat - in das Parlament ein [6].
Die im Vorjahr eingeleiteten organisatorischen Reformen beim SBV wurden in kleinen Schritten vorangetrieben. Die Delegiertenversammlung vom November beschloss eine Reduktion der Mitgliederzahlen der Leitungsgremien. Der in Landwirtschaftskammer umbenannte Grosse Vorstand zählt statt 170 noch 100 Personen, und der an die Stelle des Leitenden Ausschusses tretende Vorstand noch maximal 20 Personen [7]. Die finanziellen Mittel der landwirtschaftlichen Organisationen könnten in Zukunft eingeschränkt werden. Im Anschluss an die negativ verlaufene Volksabstimmung über die Solidaritätsabgaben reichte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats eine Motion ein. Darin verlangte sie die Aufhebung der gesetzlichen Bestimmungen, welche die Erhebung von Solidaritätsbeiträgen für die Vermarktung von Produkten in den Bereichen Käse und Früchte erlauben. Nur mit knapper Mehrheit lehnte das Plenum diesen Vorstoss ab [8].
Die schwierige wirtschaftliche Lage der Landwirte und die zunehmend protektionismusfeindliche Entwicklung der Landwirtschaftspolitik begünstigen das Aufkommen von Bauernorganisationen, welche in Opposition zur Leitung des SBV stehen. Die vor allem im Kanton Bern tätigen "Bäuerlichen Komitees" sowie die in der Nordostschweiz aktive "Neue Bauern-Koordination" scheiterten zwar beim Versuch, gegen den WTO-Vertrag ein Referendum einzureichen. Im Sommer beschlossen sie aber, gemeinsam mit der "Zentralschweizerischen Bauern-Interessengemeinschaft" eine Dachorganisation mit dem Namen "Bäuerliches Zentrum Schweiz" zu gründen [9]. Gegen Jahresende kam es zu massiven Protestaktionen von Landwirten gegen die sinkenden Fleischpreise. An den Blockaden von Verteilerzentren und Grossmetzgereien beteiligten sich auch prominente Bauernpolitiker (u.a. der Zürcher SVP-Nationalrat Maurer); der SBV selbst bekundete zwar Verständnis für die Aktionen, unterstützte sie jedoch - im Gegensatz zu einzelnen kantonalen Sektionen - nicht [10].
 
[5] Vgl. dazu oben, Teil I, 4c (Politique agricole) sowie SPJ 1994, S. 333.5
[6] Vgl. dazu oben, Teil I, 1e (Eidg. Wahlen). Siehe auch LZ, 18.10.95.6
[7] BüZ, 16.3.95; LZ, 16.11.95; SBV, 98. Jahresbericht 1995, Brugg, S. 25. Vgl. SPJ 1994, S. 333.7
[8] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1584 f.8
[9] BZ, 25.7.95. Vgl. SPJ 1994, S. 333. Der SBV lehnte eine Unterstützung des WTO-Referendums auch nach der Ablehnung des Agrarartikels ab (BZ, 14.3.95).9
[10] Siehe oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen) und 4c (Production animale). Offiziell unterstützt wurden die Aktionen z.B. von der Sektion Freiburg des SBV sowie von der Union des producteurs suisses (Lib., 22.12.95).10