Année politique Suisse 1995 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
Am 1. März legte der Bundesrat seine Botschaft über die Gestaltung und Finanzierung des
Jubiläums 150 Jahre Schweizerischer Bundesstaat - 200 Jahre Helvetische Republik im Jahr 1998 vor. Bei dem Jubiläum stehe die Frage des nationalen Zusammenhalts und die Auseinandersetzung mit Werden und Zukunft der modernen Schweiz im Vordergrund. In dieser Hinsicht sei prioritär der Gründung des Bundesstaats von 1848 zu gedenken, doch habe auch die Helvetische Republik von 1798 den Übergang zur heutigen Schweiz eingeleitet, weshalb sie in die Bundesfeierlichkeiten aufzunehmen sei. Wegzulassen sei im Sinne des Jubiläums hingegen das Gedenken an den Westfälischen Frieden von 1648, durch welchen die Alte Eidgenossenschaft ihre formale Unabhängigkeit vom Staatenkonglomerat des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation erhalten hatte
[17].
Als erste Kammer behandelte der Nationalrat Botschaft und Beschlussentwürfe des Bundesrats. Nachdem der von Maspoli (lega, TI) im Namen der Fraktion von SD und Lega vorgebrachte Antrag auf Nichteintreten mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden war, gab in der Detailberatung über Teil A des Bundesbeschlusses, die eigentliche Rechtsvorlage also, zunächst die Frage, welche Anlässe 1998 zu feiern seien, zu Diskussionen Anlass. Die Kommissionsmehrheit hatte sich - mit ausdrücklicher Zustimmung von Bundesrätin Dreifuss - darauf geeinigt, das Datum von 1798 aus dem Titel des Bundesbeschlusses zu streichen und es nurmehr nachgeordnet im Ingress zu erwähnen. Eine von Schmied (svp, BE) vertretene Kommissionsminderheit beantragte, auch die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück aus dem Jahr 1648 als Festanlass aufzunehmen. Die LdU/EVP-Fraktion dagegen wollte die Vorlage des Bundesrats unverändert belassen. Explizite Unterstützung erhielt der Beschluss der Kommissionsmehrheit von den Fraktionen der LP, der CVP und der FDP. Die Fraktion von SD und Lega schloss sich dem Minderheitsantrag von Schmied (svp, BE) an, wobei ihr Sprecher Maspoli (lega, TI) mit dem Referendum drohte, sollte die Vorlage der Kommissionsmehrheit angenommen werden. Mit Zweidrittelmehrheit beschloss der Rat im Sinne der Mehrheit seiner Kommission. Keinen Erfolg hatte ein Antrag Steinemanns (fp, SG), der die Kompetenz, über die Ausgestaltung der Projekte zu entscheiden, dem Parlament anstelle des EDI zugestehen wollte. Teil A der Gesamtvorlage wurde von der Kammer mit 118 gegen 12 Stimmen, bei zwei Enthaltungen, angenommen.
Bei Teil B, der
Finanzierung der Bundesjubiläen, beantragte die Mehrheit der Kommission, den Kredit für die Errichtung von anderthalb Hilfskräftestellen für die Koordination der Festivitäten zu streichen. Trotz des Plädoyers von Bundesrätin Dreifuss, welche sich erfolglos für die im Vergleich zu den 700-Jahr-Feiern bescheidenen bundesrätlichen Forderungen einsetzte, folgte der Rat seiner Kommission. In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf ebenso deutlich wie Teil A der Bundesvorlage angenommen
[18].
Der Ständerat ging in der Herbstsession auf die Vorlage ein. Auch hier forderte die Lega dei Ticinesi durch ihren Repräsentanten Morniroli, nicht auf das Geschäft einzutreten. Dieser Ansicht konnte sich freilich keiner der weiteren Redner anschliessen. Uneinig waren sich diese dagegen, ob die Helvetik als Festanlass in die Bundesfeierlichkeiten mit einzubeziehen sei. Die Kommission hatte mit Stichentscheid ihres Präsidenten, Carlo Schmid (cvp, AI), vorgeschlagen, sich auf die Gründung des Bundesstaates zu beschränken und statt der Erwähnung der Helvetischen Republik in Artikel 1 des Ingresses - wie es der Nationalrat beschlossen hatte - allgemein der Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung des schweizerischen Gemeinwesens zu gedenken. Für diese Lösung setzten sich in der Debatte insbesondere die Redner und Rednerinnen aus der Innerschweiz ein, welche wie Schallberger (cvp, NW) darauf hinwiesen, dass die Helvetik diesen Ständen vor allem die Leiden der französischen Okkupation gebracht habe. Die Vertreter des Freisinns und der SP sahen in dem Jahr 1798 hingegen vor allem die soziale und politische Befreiung vom Obrigkeits- und Untertanenstaat des Ancien Régime. Nur Büttiker (fdp, SO) ging allerdings soweit, von Bundesrätin Dreifuss die ausdrückliche Wiederaufnahme der Helvetik in die Bundesvorlage zu forden.
In der Detailberatung wurde, nachdem der Antrag Mornirolis (lega, TI) auf Nichteintreten deutlich abgelehnt worden war, die Formulierung der Kommission angenommen, nach welcher die Helvetik nicht mehr explizit in die Bundesfeierlichkeiten aufgenommen wird. In der
Gesamtabstimmung passierte der rechtliche Teil der Bundesbeschlüsse - Teil A - glatt, mit nur einer Gegenstimme. Teil B über die Finanzierung des Jubiläums erbrachte keine weiteren Diskussionen. Allen Veränderungen, die der Nationalrat hier angefügt hatte, wurde zugestimmt
[19].
Der Nationalrat stimmte anlässlich der
Differenzbereinigung in der Herbstsession auf Antrag seiner Kommission und ohne Diskussion der vom Ständerat gefundenen offenen Formulierung des Ingresses zu und nahm die Bundesbeschlüsse zum 150. Geburtstag des Schweizerischen Bundesstaates und dessen Finanzierung in der Schlussabstimmung mit grosser Mehrheit an. Die Kantonskammer ihrerseits folgte ihm darin in der Herbstsession
[20].
Ende November bestimmte der Bundesrat neun verwaltungsexterne Personen unter der Leitung der Bellinzoneser Anwältin Francesca Gemnetti als
Expertengremium für die Gestaltung des Bundesjubiläums. Der definitive Entscheid über die Auswahl der Projekte liegt beim EDI
[21].
Im Zusammenhang mit den Bundesfeierlichkeiten von 1998 hatte sich der Nationalrat mit einem Postulat von Gross (sp, ZH) zu befassen, das finanzielle Hilfen zur
Förderung von Forschungsarbeiten und Quelleneditionen verlangte, durch welche die geschichtlichen Ereignisse zwischen 1798 und 1848 der Bevölkerung näher gebracht werden könnten. Mit dem Einverständnis des Bundesrats wurde das Postulat überwiesen
[22].
Steffen (sd, ZH) wollte von Bundesrätin Dreifuss in einer parlamentarischen Anfrage wissen, ob des
Westfälischen Friedens von 1648 aus integrationspolitischen Gründen nicht gedacht werde bzw. welche Gründe zum Ausschluss dieses Datums geführt hätten. Die Vorsteherin des EDI beantwortete die erste Frage mit einem klaren Nein. Die Ereignisse von 1648 beträfen die Alte Eidgenossenschaft und nicht den modernen Bundesstaat, der im Zentrum der Feiern von 1998 stehe. Der Bundesrat, so Dreifuss, habe das thematisch ohnehin schon reich befrachtete Jubiläum nicht noch mit einem zusätzlichen Thema und einer weiteren Geschichtsepoche belasten wollen
[23].
[17]
BBl, 1995, II, S. 942 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 16.17
[18]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1159 ff.18
[19]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 810 ff. Zum Stichentscheid vgl.
BaZ, 12.4.95.19
[20]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1996 und 2293 f.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1063;
BBl, 1995, IV, S. 553 f.20
[21] Presse vom 22.11.95.21
[22]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1603.22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 530.23
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