Année politique Suisse 1995 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Staatsschutz
Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit der Volksinitiative "SoS. Schweiz ohne Schnüffelpolizei" und dem vom Bundesrat im Vorjahr als indirekten Gegenvorschlag vorgelegten neuen Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit. Ein Antrag Onken (sp, TG), auf eine präventive polizeiliche Tätigkeit grundsätzlich zu verzichten, deshalb die Initiative zur Annahme zu empfehlen und das Gesetz zur gründlichen Überarbeitung an die Regierung zurückzuweisen, unterlag mit 32:2 (Initiative) resp. 31:3 Stimmen (Gesetz).
In der Detailberatung beantragten Danioth (cvp, UR) und Plattner (sp, BS), die präzise Definition der Aufgabenbereiche bei der vorbeugenden Informationsbeschaffung (Art. 2) sowie der Bereiche, in denen eine präventive Informationsbeschaffung nicht erfolgen darf (Art. 3), bereits im Gesetz und nicht erst in der Verordnung vorzunehmen. Im ersten Fall (Terrorismus, Spionage, verbotener Handel mit Waffen und strategisch wichtigen technologischen Gütern) blieben sie in der Minderheit, bei den nicht zulässigen Überwachungsbereichen (Ausübung politischer Rechte) konnten sie sich knapp gegen den Bundesrat und die Kommissionsmehrheit durchsetzen. Heftig umstritten war ein von Béguin (fdp, NE) und Danioth vorgelegter Antrag, im Rahmen der präventiven Informationsbeschaffung auch eine Überwachung des Telefon- und Postverkehrs sowie den Einsatz von Abhörgeräten anordnen zu können. Dieser Beschluss entsprach einer von Bundesanwältin Del Ponte mit Nachdruck vertretenen Forderung; eine ähnliche Gesetzesbestimmung wurde gleichzeitig in Deutschland unter dem Titel "der grosse Lauschangriff" heftig debattiert. Die Verwendung derartiger Mittel ausserhalb von Strafuntersuchungen ist in der Schweiz seit Oktober 1990 mangels gesetzlicher Grundlagen nicht mehr zugelassen. Obwohl sich sowohl die Kommissionsmehrheit - auch gestützt auf die Empfehlung von Experten - als auch Bundesrat Koller dagegen aussprachen, stimmte der Rat dem Antrag im Verhältnis 21:14 zu. Die Massnahme soll vom Direktor des neuen Bundesamtes für innere Sicherheit angeordnet werden können, bedarf allerdings einer Genehmigung durch den Vorsteher des EJPD.
Die neuen Vorschriften über die
Sicherheitsüberprüfungen für bestimmte Personenkategorien im öffentlichen Dienst und der Armee waren nicht bestritten. In Abweichung von der bundesrätlichen Vorlage beschloss der Ständerat aber, nur eine einzige, für Armee und Verwaltung zuständige Stelle mit dieser Aufgabe zu betrauen. Auch die Vorschläge über den
Personen- und Gebäudeschutz passierten ohne wesentliche Abänderungen. In der Gesamtabstimmung verabschiedete der Ständerat das neue Gesetz mit einer Gegenstimme
[13].
Die
Rechtskommission des Nationalrats trat auf die Vorlage ebenfalls ein. Sie sprach sich aber für einen eingeschränkten Aktionsraum des präventiven Staatsschutzes aus. Ihrer Meinung nach soll sich dieser auf die klassischen Bereiche (Terrorismus, Spionage) beschränken und - im Gegensatz zum bundesrätlichen Antrag - den Kampf gegen das organisierte Verbrechen den Strafverfolgungsbehörden überlassen
[14].
Da das Gesetz über die innere Sicherheit noch nicht verabschiedet werden konnte, musste das Parlament die
Behandlungsfrist für die Volksinitiative "SoS. Schweiz ohne Schnüffelpolizei" um ein Jahr verlängern
[15].
[13]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 567 ff.; Presse vom 14.6.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 25 f. Für eine Kritik an den Beschlüssen des StR, v.a. in bezug auf Abhörgeräte, siehe NR Rechsteiner (sp, SG) in
SP-Pressedienst, 1995, Nr. 417, S. 6.13
[14]
Bund, 14.11. und 16.11.95.14
[15]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 973 f.;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2076.15
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