Année politique Suisse 1995 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Gerichte
Der Nationalrat befasste sich mit der im Vorjahr vom Ständerat auf Antrag seiner Staatspolitischen Kommission beschlossenen Erhöhung der Zahl der Bundesrichter um maximal sechs. Lediglich die Fraktionen der SP, der GP und LdU/EVP konnten sich für diesen Vorschlag erwärmen. Von den Gegnern wurde einerseits das Ansteigen der Geschäftslast in Frage gestellt und auf die Rationalisierungsmassnahmen verwiesen, welche das Gericht ergriffen hat. Andererseits wurde betont, dass das Problem der Qualitätssicherung der Rechtssprechung nicht über einen Personalausbau, sondern über Zugangsrestriktionen gelöst werden müsste. Der Rat beschloss mit 93:48 Stimmen Nichteintreten [52].
Eine Expertenkommission des EJPD präsentierte in einem Zwischenbericht zwei Varianten zur Eindämmung der Geschäftslast. Die eine sieht eine Vorprüfung vor, welche offensichtlich aussichtslose Klagen abweist; die andere ein Annahmeverfahren, welches von vorneherein nur bestimmte Klagen zulässt. Der im Sommer in die Vernehmlassung gegebene Entwurf für eine Totalrevision der Bundesverfassung schlägt vor, die Möglichkeit von Zugangsbeschränkungen explizit in der Verfassung zu erwähnen [53].
In der Dezembersession kam es zu einer der sehr seltenen Abwahlen aus einem eidgenössischen Gericht. Dem vom LdU unterstützten Hans Willi, Richter am Versicherungsgericht, war angesichts seines Alters von 68 Jahren von den Fraktionen der FDP, der SP und der CVP vergeblich der Verzicht auf die Kandidatur für eine weitere Amtsperiode von sechs Jahren nahegelegt worden. Obwohl er schriftlich zugesichert hatte, nicht über sein siebzigstes Altersjahr hinaus im Amt bleiben zu wollen, erhielt er von der vereinigten Bundesversammlung bei einem absoluten Mehr von 105 nur 85 Stimmen [54].
 
[52] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 249 ff. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1995, S. 41. Vgl. SPJ 1994, S. 41. Zur Überlastung des Bundesgerichts siehe auch den Bericht der GPK-NR in Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1489 f.; NZZ, 24.1. und 28.3.95; LNN, 1.2.95; Ww, 11.5.95.52
[53] Experten: NZZ, 9.6. und 10.8.95; TA, 10.8.95. Verfassung: Presse vom 27.6.95; vgl. auch oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung).53
[54] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2767 f.; TA, 13.12.95; NZZ, 13.12., 20.12. und 23.12.95; Presse vom 21.12.95. Eine gesetzliche Altersgrenze besteht für Bundesrichter ebensowenig wie für Bundesräte.54