Année politique Suisse 1995 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau / Territorialfragen
Die im Vorjahr instaurierte
Assemblée interjurassiennne tagte regelmässig und beschloss dabei mehrere Resolutionen zuhanden der Regierungen der Kantone Bern und Jura. Die Forderungen betrafen namentlich Fragen der Verkehrsverbindungen und der Kooperation im Tourismusbereich
[13].
Vor dem Bundesstrafgericht in Lausanne fand der Prozess gegen den ehemaligen Leiter des Bélier, Daniel Pape, sowie zwei weitere Ex-Mitglieder dieser Organisation statt, die 1993 wegen
Besitz von Sprengstoff resp. Anschlägen verhaftet worden waren. Das Urteil von 2 (für Pape) resp. 15 und 18 Monate bedingt wurde von der Presse als milde bezeichnet und in einen Zusammenhang mit der Entspannung der politischen Situation im Berner Jura gebracht
[14].
Die Stimmberechtigten des Kantons Bern hiessen am 12. März den
Wechsel der Gemeinde Vellerat zum Kanton Jura mit einem Ja-Stimmenanteil von 85% gut. Auch die drei bernjurassischen Bezirke stimmten zu, allerdings mit etwas weniger deutlichen Mehrheiten. Im Kanton Jura unterstützte das Parlament den Kantonswechsel ebenfalls, und auch das Volk gab mit 92% Ja-Stimmen sein Einverständnis
[15].
Nachdem damit die beiden beteiligten Kantone grünes Licht gegeben hatten,
beantragte der Bundesrat dem Parlament, den Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat
zu sanktionieren. In seiner Botschaft führte er aus, dass das Verfahren für den Kantonswechsel einer Gemeinde in der Bundesverfassung nicht geregelt sei. Obwohl es sich bei Vellerat um eine Kleinstgemeinde mit weniger als 100 Einwohnern handle, wolle er dasselbe Verfahren anwenden wie bei der Gründung des Kantons Jura und dem Kantonswechsel des Bezirks Laufen. Gestützt auf die Meinung massgeblicher Staatsrechtslehrer hielt er fest, dass dieser Kantonswechsel nicht als blosse technische Grenzbereinigung betrachtet werden kann, sondern - weil die Verfassung das Territorium der Kantone garantiert (Art. 1 und 5 BV) - der Zustimmung von Volk und Ständen bedarf
[16].
Der
Nationalrat lehnte - bevor er auf den Vorschlag des Bundesrates eintrat - zuerst eine parlamentarische Initiative Zwahlen (cvp, BE) ab, welche den Verzicht auf die Durchführung einer eidgenössischen Volksabstimmung verlangte. Dann hiess er den Kantonsübertritt Vellerats diskussionslos bei drei Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung aus dem Lager der Schweizer Demokraten gut. Der
Ständerat verabschiedete den Beschluss einstimmig
[17].
In seinem Ende Juni in die Vernehmlassung gegebenen
Entwurf für eine Totalrevision der Bundesverfassung regte der Bundesrat an, Änderungen im Bestand der Kantone weiterhin von Volk und Ständen gutheissen zu lassen. Für Gebietsveränderungen wie im Fall Vellerat soll hingegen das Parlament zuständig sein, dessen Beschluss freilich dem fakultativen Referendum unterstehen würde. Voraussetzung für eine Genehmigung bliebe auf jeden Fall die Zustimmung der direkt betroffenen Bevölkerung und der beteiligten Kantone. Der Kanton Jura reichte eine ähnliche Standesinitiative ein, möchte allerdings auf das fakultative Referendumsrecht verzichten
[18].
[13]
Bund und
QJ, 19.10.95. Siehe
SPJ 1994, S. 48 f. Vgl. auch
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 259 ff. und 2200 sowie
QJ, 1.4. und 11.11.95.13
[14] Presse vom 12.6.-14.6. und 17.6.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 49. Zur aktuellen Situation des Bélier siehe auch
TA, 17.6.95.14
[15] BE:
Bund, 25.2. und 13.3.95. JU:
QJ, 23.3. und 26.6.95. Die Gemeinde Vellerat selbst stimmte am 18.6. in einer separaten Abstimmung einstimmig zu (
QJ, 19.6.95). Vgl.
SPJ 1994, S. 49.15
[16]
BBl, 1995, III, S. 1432 ff.; Presse vom 17.8. und 18.8.95.16
[17]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2132 f. (Zwahlen), 2133 ff. und 2731 f.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1175 ff. und 1295;
BBl, 1996, I, S. 228.17
[18] Verfassung: Presse vom 27.6.95 sowie oben, Teil I, 1a (Totalrevision der Bundesverfassung); vgl. dazu auch BR Koller in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2135. Jura:
Verh. B.vers, 1995, V, Teil I, S. 20.18
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