Année politique Suisse 1995 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik / Wettbewerb
Das im Vorjahr präsentierte neue
Binnenmarktgesetz wurde noch im Berichtsjahr
angenommen. Obwohl der Grundsatz des Abbaus von Handels- und Mobilitätsschranken zwischen den Kantonen an sich unbestritten war, beantragte im Nationalrat eine aus rechtsbürgerlichen Parlamentariern gebildete Kommissionsminderheit Nichteintreten. Sie hielten das Gesetz für staatspolitisch bedenklich, weil es die Kompetenzen der Kantone tangiere, und zudem für überflüssig, weil die Kantone in der Zwischenzeit die wichtigsten Liberalisierungsschritte vollzogen und in Konkordaten verallgemeinert hätten. Sie wurden von den Fraktionen der SVP und der FP sowie einer FDP-Minderheit unterstützt, unterlagen aber mit 110:28 Stimmen. In der Detailberatung stimmte eine knappe, aus einer Koalition von Linken und Gewerbevertretern gebildete Mehrheit dem Antrag des Liberalen Eymann (BS) zu, dass es bei öffentlichen Aufträgen zulässig sein soll, bei der Erbringung von Leistungen die Einhaltung der ortsüblichen Arbeitsbedingungen zu verlangen. Diese Barriere gegen ein mögliches
Sozialdumping, welche der in der EU diskutierten Entsenderichtlinie entspricht, wurde von der kleinen Kammer mit dem Argument gestrichen, dass dies eine Benachteiligung von Anbietern aus wirtschaftlichen Randgebieten darstellen würde, welche ihre Standortnachteile mit niedrigeren Löhnen kompensieren müssen. Der Nationalrat schloss sich in der Differenzbereinigung gegen den Widerstand der SP und der GP mit 81:49 Stimmen diesem Entscheid an. Auf Antrag von Ständerat Zimmerli (svp, BE) nahm das Parlament zudem die Bestimmung auf, dass die Kantone eine von der Verwaltung unabhängige Instanz schaffen müssen, welche Rekurse gegen die Vergabe von Aufträgen behandelt. In der Schlussabstimmung über das neue Gesetz gab es im Nationalrat zwei und im Ständerat eine Gegenstimme
[31].
Als dritten Schwerpunkt der Liberalisierung des Binnenmarktes neben der Kartellgesetzrevision und dem Binnenmarktgesetz legte der Bundesrat im Februar den Entwurf für ein neues
Bundesgesetz über technische Handelshemmnisse vor. Technische Handelshemmnisse bedeuten eine Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs im internationalen Warenverkehr, insbesondere durch unterschiedliche technische Anforderungen an die Produkte, divergierende Messverfahren sowie Nichtanerkennung von ausländischen Produkteprüfungen und -zulassungen. Soweit die angestrebten Vereinheitlichungs- und Deregulierungsmassnahmen in den Kompetenzbereich des Bundesrates fallen, hatte er bereits im Anschluss an die EWR-Abstimmung von Ende 1992 ein erstes Aktionspaket verabschiedet. Das
Parlament genehmigte die Vorlage noch in der Herbstsession. Zum Inhalt des Gesetzes und zur Ratsdebatte siehe oben, Teil I, 2 (Politique économique extérieure)
[32].
Der Nationalrat überwies mit dem Einverständnis des Bundesrats eine Motion David (cvp, SG) für die reibungslose Zulassung von im Ausland (namentlich EU, USA und Japan) erworbenen Motorfahrzeugen (sogenannte
Parallelimporte). Konkret verlangt die Motion eine sofortige Änderung von Art. 12 des Strassenverkehrsgesetzes. Auch die Kartellkommission kritisierte die wettbewerbsbehindernde Auswirkung der vorgeschlagenen neuen Homologisierungsverordnung
[33].
[31]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1143 ff., 2052 ff. und 2299;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 870 ff., 931 ff. und 1065;
BBl, 1995, IV, S. 548 ff.;
NZZ, 17.5. und 7.6.95;
SGT, 21.9.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 102. Zu den kantonalen Konkordaten siehe
NZZ, 20.7.95. Siehe auch L. Wasescha, "Die Reform des öffentlichen Beschaffungswesens in der Schweiz", in
Die Volkswirtschaft, 69/1996, Nr. 2, S. 40 ff.31
[32]
BBl, 1995, II, S. 521 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 772 ff., 1014 f. und 1066;
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2057 ff. und 2300;
BBl, 1995, IV, S. 535 ff. Zum 1. Aktionspaket siehe
SPJ 1993, S. 102.32
[33]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2185 f. Kartellkommission:
NZZ, 17.3.95. Siehe dazu auch
TA, 10.1., 21.6., 28.7. und 9.8.95 (Leserbrief);
SHZ, 6.4.95;
BZ, 6.12.95.33
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