Année politique Suisse 1995 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen / Voranschlag 1996
print
Sanierungsmassnahmen 1994
Das bereits im Vorfeld als "konzeptlos" und "zu einnahmenlastig" heftig kritisierte dritte Sanierungspaket erlitt teilweise Schiffbruch, nachdem beide Räte gewichtige Brocken des Pakets, welches das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts von 4 Mia Fr. bis 1997 weitestgehend beseitigen sollte, ablehnten. Der Bundesrat hatte Ausgabenkürzungen von gut 2,3 Mia Fr. und Mehreinnahmen von rund 1,3 Mia Fr. vorgesehen, wobei er auch 23 gezielte Abbaumassnahmen - drei auf Verfassungs- und 20 auf Gesetzesstufe - von insgesamt rund 500 Mio Fr. vorschlug [37].
Als Erstrat verweigerte jedoch der Nationalrat dem Bundesrat in der Januar-Sondersession das Kernstück der Sanierungsvorlage, eine höhere Besteuerung der fossilen Energieträger im Wert von gut 1 Mia. Fr [38]. Eine bürgerliche Ratsmehrheit machte mit 110:58 bzw. 109:59 Stimmen geltend, dass nach einer Erhöhung der Treibstoffpreise im Jahre 1993 um 20 Rappen eine weitere Verteuerung zum heutigen Zeitpunkt untragbar sei. Auch auf die Einführung eines Proportionaltarifs von 9,8% für juristische Personen bei der direkten Bundessteuer bei gleichzeitiger Anrechnung der Kapitalsteuer an die Ertragssteuer trat der Nationalrat nicht ein. Der Bundesrat hatte die Mehrerträge aus dieser Massnahme auf 300-400 Mio Fr. geschätzt, wobei dem Bund unter Berücksichtigung des Kantonsanteils an den Bundeseinnahmen 200-300 Mio Fr. verblieben wären. Nein sagte der Nationalrat mit 94:69 Stimmen auch zur Erweiterung der Zweckbindung der Treibstoffzölle und verhinderte damit, dass aus den Erträgen der Treibstoffzölle künftig auch die Bahninfrastruktur finanziert werden kann. Er stimmte lediglich einer Reform der Tabaksteuer zu, die zusätzliche 75 Mio. Fr. in die AHV-Kasse fliessen lassen wird. Neben dem Grossteil der beantragten Mehreinnahmen verwarf der Nationalrat auf der Ausgabenseite auch zahlreiche der gezielten Sparvorschläge. So wurde die Änderung des Mischindexes bei AHV und IV mit 164 zu 8 Stimmen wuchtig abgelehnt. Der Bundesrat hatte sich von der Anpassung der Renten an die Teuerung (und nicht mehr auch an den Lohnindex) eine Einsparung von 90 Mio Fr. erhofft. Eine Kürzung des Bundesbeitrags an die AHV von 120 Mio Fr. nahm der Nationalrat an, lehnte aber die Erhöhung des AHV/IV/EO-Beitragssatzes für Selbständigerwerbende von 7,8% auf 8,4% (96 Mio), welche die Bundesbeitragskürzung hätte kompensieren sollen, knapp ab. Deutlich verworfen wurde eine Streichung der IV-Viertelsrenten (7 Mio). Auf eine Einsparung von jährlich rund 48 Mio Fr. verzichtete der Nationalrat bei Beiträgen des Bundes an Bauten für die Berufsbildung; linke und gewerbefreundliche Kreise brachten diese Massnahme gemeinsam zu Fall. Vertreter der Landwirtschaft und des öffentlichen Verkehrs setzten ausserdem durch, dass die Rückerstattung des Treibstoffzolles für die Bauern und die konzessionierten Verkehrsbetriebe im Umfang von 125 Mio Fr. aufrechterhalten wird. Fest hielt die grosse Kammer auch an den Ausgleichzahlungen für Gemeinden, die wegen des Natur- und Landschaftsschutzes auf die Nutzung der Wasserkraft verzichten (1 Mio); Schweizer Radio International verschonte sie von einer Kürzung um 2 und später 6 Mio. Fr. Angenommen wurden hingegen vom Rat die reduzierten Beitragssätze im Bereich der Nationalstrassen (75 Mio) und Deregulierungen im öffentlichen Verkehr, wie auch drei Verfassungsänderungen, die den Bund von Beiträgen für Bahnhofparkinganlagen (24 Mio) und vom Ankauf von Brennapparaten und der Übernahme von Branntwein (3,5 Mio) entheben sowie die Beschaffung der persönlichen Armeeausrüstung zentralisieren sollen (15 Mio) [39].
Zu Beginn der Frühjahrssession zog der Bundesrat die Anträge zur Zweckerweiterung der Treibstoffzölle auf die Bahninfrastruktur und zu einer Benzinzollerhöhung zurück. Bundesrat Stich begründete diesen Rückzieher mit den neuen Plänen der Landesregierung, einen befristeten Benzinzollzuschlag allenfalls für die direkte Sonderfinanzierung der Neat zu erheben. An der Erhöhung des Heizöl- und Gaszolls hielt der Bundesrat fest. Der Ständerat, der sich ebensowenig sparfreudig wie der Nationalrat zeigte, lehnte aber auch diese mit 22 zu 9 Stimmen ab. Auf der Einnahmenseite nahm er nur gerade die Reform der Tabaksteuer an. Auf der Ausgabenseite schuf der Ständerat einige Differenzen zum Nationalrat, indem er insbesondere der Streichung von Bundesbeiträgen an Bauten der Berufsbildung zustimmte. Der Nationalrat folgte ihm in der Differenzbereinigung. Dafür akzeptierte der Ständerat in einer zweiten Runde die Zentralisierung der Beschaffung der persönlichen Armeeausrüstung. Beide Räte hiessen ausserdem eine für die Jahre 1993-1995 beschlossene Verlängerung der linearen zehnprozentigen Beitragskürzung für die Jahre 1996 und 1997 gut, wobei die Räte das Sparziel des Bundesrates von 250 Mio Fr. auf mindestens 300 Mio Fr. verschärften [40].
Insgesamt bewilligte das Parlament Verbesserungen von rund 600 Mio Fr. Davon entfallen die Hälfte auf die linearen Kürzungen. Rund 200 Mio Fr. blieben nach den Beratungen im Parlament bei den gezielten Kürzungen übrig. Als Mehreinnahmen konnte das dritte Sanierungspaket anstelle der ursprünglich vorgeschlagenen 1,3 Mia Fr. nur gerade die 75 Mio Fr. für die Tabaksteuerreform verbuchen. Zu den vom Parlament bewilligten Verbesserungen kommen rund 1,3 Mia Fr., die der Bundesrat in eigener Kompetenz beschliessen konnte. Insgesamt wird der Bundeshaushalt mit dem dritten Sanierungsprogramm ab 1996 um rund 2 Mia Fr. entlastet, womit das Ziel klar verfehlt wurde [41].
Zusätzlich zu den Spar- und Einnahmenbeschlüssen setzte der Bundesrat eine ganze Reihe von Überprüfungen und strukturellen Reformen in Gang, welche zu einer nachhaltigen Sanierung des Bundeshaushaltes beitragen sollen. Dazu zählen die Überprüfung der Normen und Standards im Hoch- und Strassenbau sowie sämtlicher Finanzhilfen und Abgeltungen des Bundes gemäss dem Subventionsgesetz und eine Neugestaltung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen. Im weiteren wird geprüft, wie die Bestimmungen über die Haushaltsführung in Bundesverfassung und Gesetzen griffiger gestaltet werden können. Schliesslich gehören auch die Arbeiten an der Regierungs- und Verwaltungsreform sowie die konsequente Umsetzung des Verursacherprinzips in der Umweltschutzgesetzgebung in diesen Rahmen [42].
Noch bevor das dritte Sanierungsprogramm für die Bundesfinanzen verabschiedet wurde, verpflichtete der Ständerat den Bundesrat gegen dessen Willen per Motion seiner Finanzkommission einstimmig dazu, bis Mitte 1996 ein viertes Sanierungsprogramm vorzulegen. Dieses soll bis zum Jahr 2000 eine Ausgabenreduktion von wenigstens 80% des strukturellen Defizits, mindestens aber von 2,5 Mia Fr. durch die Neustrukturierung, den Abbau und den Verzicht auf Staatsaufgaben bringen, wobei jedes Departement einen Beitrag von in der Regel 3% des Haushaltsvolumens leisten soll. Der Motionstext nahm die bereits in anderen Vorstössen geäusserte Forderung einer verfassungsmässigen Schranke auf, die ab dem Jahr 2001 ein Wachstum der Staatsausgaben, das über das Wachstum des Bruttoinlandprodukts hinausgeht, verhindern soll. Der Nationalrat, der vorläufig auf punktuelle Sanierungsmassnahmen verzichten will, überwies die Motion in der Herbstsession aber lediglich als Postulat [43].
Bereits vorher hatte der Nationalrat mit 104 zu 45 Stimmmen aber eine Motion seiner Finanzkommission überwiesen, die vom Bundesrat bis Ende 1998 ein Anschlussprogramm zur Beseitigung des strukturellen Defizites verlangt. Die Motion setzt ausschliesslich auf ausgabenseitige Massnahmen und verlangt in erster Linie eine Verminderung der laufenden Ausgaben durch eine Vereinfachung der Verwaltungsorganisation und von Normen und Standards sowie eine Reform des Finanzausgleichs und Teilprivatisierungen. Der Ständerat folgte der grossen Kammer entgegen dem Willen des Bundesrates oppositionslos [44].
 
[37] BBl, 1995, I, S. 89 ff.37
[38] Der Grundzoll auf Treibstoffen (inkl. Dieselöl) sollte um 15 Rappen pro Liter, der Heizölzoll von 30 Rappen auf 4 Fr. je 100 kg Heizöl bzw. beim Erdgas auf 2,50 Fr. pro 100 kg brutto erhöht werden. In einer mündlichen Konsultation wendeten sich FDP, CVP, SVP, LP, LdU, SD, die Wirtschaftsverbände und die FDK zum jetzigen Zeitpunkt gegen zusätzliche Mehreinnahmen zur Sanierung des Bundeshaushaltes (BBl, 1995, I, S. 101 bzw. 106).38
[39] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1 ff., 28 ff., 56 ff., 84 ff., 582 ff., 717 f. und 1011 ff.; Presse vom 24.1.-26.1.95. Vgl. SPJ 1994, S.133 f.39
[40] BBl, 1995, II, S. 398 ff. und 456; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 159 ff., 186 ff., 217 ff., 312 ff. und 440; Presse vom 8.3.-10.3.95. Differenzbereinigung: Amtl. Bull. NR, 1995, S. 582 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 312 ff. Im August hat der BR die Ausnahmen von der linearen Beitragskürzung festgelegt: AHV, EL, IV, ALV, Krankenkassen, Nationalstrassen, Butter- und Käseverwertung, Direktzahlungen, Entwicklungs- und Osthilfe, Immobilienstiftung für internat. Organisationen in Genf, Pro Helvetia, Schweizerische Volksbibliothek, Jubiläum 1998, Historisches Lexikon der Schweiz, Berglandwirtschaft, Schweiz Tourismus, die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der SBB und versch. Ausgaben in Bildung und Forschung. Kürzungen von nur 5%: Friedenserhaltende Aktionen, Kultur und Sprache in Graubünden und Tessin, wissenschaftliche Akademien, berufliches Bildungswesen (NZZ, 24.8.95).40
[41] SGT, 17.3.95; NZZ, 30.11.95.41
[42] BBl, 1995, I, S. 92.42
[43] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 228 ff.; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1946 f.; Presse vom 10.3.95.43
[44] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 590 ff.; Amtl. Bull. StR, 1995, S. 316 f.; BaZ, 15.3.95.44