Année politique Suisse 1995 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Arbeitszeit
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Feiertage
Als Erstrat stimmte die kleine Kammer dem Bundesfeiertagsgesetz zu, das im wesentlichen die vom Bundesrat auf den 1. Juli 1994 in Kraft gesetzte Übergangsverordnung übernimmt und damit auch die Lohnzahlungspflicht festschreibt. Obgleich dies im Vorfeld der Beratungen von Unternehmerseite heftig bestritten worden war, passierte die Vorlage dennoch deutlich mit 15:5 Stimmen [30].
Im Nationalrat setzte sich dann eine arbeitgeberfreundliche Linie durch, welche für den Bundesfeiertag keine Sonderregelung wünschte, sondern diesen den allgemeinen Sonn- und Feiertagen gleichsetzen wollte, wodurch die automatische Lohnfortzahlungspflicht entfällt. Vergeblich erinnerte Bundesrat Delamuraz an den Wortlaut der vom Souverän gutgeheissenen Volksinitiative, wonach der Nationalfeiertag grundsätzlich für alle Bürgerinnen und Bürger gelten und Näheres in einem speziellen Bundesgesetz geregelt werden soll. Falls dem Parlament der Grundsatz von Treu und Glauben noch etwas gelte, so dürfe es hier vom erteilten Verfassungsauftrag nicht abweichen. Gegen den Widerstand der Fraktionen von SP, LdU/EVP und SD/Lega wurde die Vorlage ganz knapp, mit 75:71 Stimmen an den Bundesrat zurückgewiesen mit der Auflage, den 1. August in die bestehenden Bundesgesetze einzubauen und damit die Frage der Lohnfortzahlung den sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen zu überlassen [31].
In der Differenzbereinigung wollte die Mehrheit der vorberatenden Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Ständerates dem Antrag des Nationalrates folgen. Eine Minderheit Maissen (cvp, GR), zu der auch WAK-Präsidentin Rosmarie Simmen (cvp, SO) gehörte, beantragte hingegen, am ursprünglichen Beschluss festzuhalten. Sie argumentierte weniger mit sozialpolitischen Überlegungen als vielmehr mit der Frage der Glaubwürdigkeit der Behörden gegenüber dem Stimmbürger. Parlament und Bundesrat seien im Vorfeld der Abstimmung ganz klare Verpflichtungen eingegangen; würden diese jetzt hier zurückgenommen, so werde ein weiterer Schritt in Richtung Entfremdung von Volk und "classe politique" getan. Die kleine Kammer folgte, unterstützt von Bundesrat Delamuraz, diesen staatspolitischen Überlegungen und beschloss mit 18:14 Stimmen Festhalten am ursprünglichen Beschluss [32].
Der Nationalrat bestand aber auch in seiner neuen Besetzung darauf, den arbeitsfreien 1. August den anderen Sonn- und Feiertagen gleichzusetzen und kein spezielles "Bundesfeiertagsgesetz" zu schaffen. Damit bleibt die Regelung der Lohnfortzahlung den Sozialpartnern überlassen. Die Kommissionsminderheit aus FDP, SVP und FP, welche für Rückweisung an den Bundesrat plädierte, machte geltend, die Wirtschaft brauche Deregulierung und nicht neue Gesetzesvorschriften; der Einbezug des Bundesfeiertags in die bisherigen Bestimmungen über die allgemeinen Sonn- und Feiertage trage dem Verfassungsauftrag genügend Rechnung. Vergeblich appellierte Bundesrat Delamuraz noch einmal daran, dass das Schweizervolk in der Volksabstimmung von 1993 klar seinen Willen bekundet habe, den 1. August zu einem ganz speziellen Feiertag zu machen. Die Beschäftigten in der Landwirtschaft und in den privaten Haushaltungen seien zudem weder in der geltenden Gesetzgebung erfasst noch gesamtarbeitsvertraglich geschützt, weshalb die Rückweisung an den Bundesrat zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmenden führe. Die grosse Kammer schlug die Warnung Delamuraz', es sei nicht klug, die neue Legislatur mit einer Missachtung des Volkswillens zu beginnen, in den Wind und lehnte ein eigenständiges Bundesfeiertagsgesetz mit 89 zu 79 Stimmen definitiv ab [33].
 
[30] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 152 ff. Vgl. SPJ 1994, S. 199.30
[31] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1051 ff.31
[32] Amt. Bull. StR, 1995, S. 770 ff.32
[33] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2364 ff.33