Année politique Suisse 1995 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Schutz der Arbeitnehmer
Mit einer parlamentarischen Initiative wollte Nationalrätin Brunner (sp, GE) den 1993 im Obligationenrecht (OR) beschlossenen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Kollektivkündigungen verbessern. Sie verlangte, dass im Fall von Massenentlassungen die Arbeitnehmer eine Verhandlung über einen Sozialplan verlangen können. Gegenüber den Bedenken der Arbeitgeber und der bürgerlichen Vertreter, damit werde die Sozialpartnerschaft übermässig strapaziert, konnte sich Brunner im Rat nicht durchsetzen. Sie verwies vergeblich darauf, dass aus ihrem Begehren kein Recht auf einen Sozialplan abzuleiten sei, sondern nur die zwingende Suche nach einer einvernehmlichen Lösung. Gegen den Widerstand einer Minderheit aus SP, GP, CVP und LdU verwarf der Rat den Vorstoss deutlich.
Vergeblich versuchte Nationalrat Rechsteiner (sp, SG) den Bundesrat mit einer Motion zu beauftragen, durch eine Änderung des OR den Kündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter in Pensionskassen, Betriebskommissionen und Verhandlungsdelegationen wirksam zu verstärken. Er regte insbesondere an, mögliche Rachekündigungen dadurch zu verhindern, dass - analog zu Militärdienst und Schwangerschaft - für die Dauer des Mandats eine Sperrfrist für allfällige Kündigung eingeführt wird. Der Bundesrat berief sich in seiner Antwort auf den in der Schweiz geltenden Grundsatz der Kündigungsfreiheit, welcher nur für Perioden aufgehoben wird, in denen es für die gekündigten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer besonders schwierig oder gar unmöglich wäre, eine neue Stelle zu finden, beispielsweise bei Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall oder bei Schwangerschaft. Auf seinen Antrag wurde die Motion ziemlich klar abgelehnt [43].
Als Postulat verabschiedet wurde hingegen eine Motion Carobbio (sp, TI), welche den Bundesrat ersucht, auf dem Verordnungsweg oder durch Weisungen Ausführungsbestimmungen zum Bundesgesetz über die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih zu erlassen, die garantieren, dass insbesondere in der Baubranche temporäre Mitarbeiter nach den Ansätzen der Gesamtarbeitsverträge entlöhnt und nicht Teile des Lohnes als Spesen deklariert werden, was zu späteren Einbussen bei den Sozialversicherungen sowie zur Umgehung der Steuerpflichten führt. Der Bundesrat verwies darauf, dass das Problem dem BIGA bekannt sei, weshalb in Kürze ein entsprechendes Rundschreiben versandt werde; die Verwaltung nehme sich auch vor, schärfere Kontrollen durchzuführen [44].
Der Ständerat überwies diskussionslos eine Motion des Nationalrates, welche den Bundesrat auffordert, die Bestimmungen über die Gesundheitsförderung, den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz zu koordinieren und zusammenzufassen sowie bestehende Gesetzeslücken zu schliessen [45].
 
[43] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 262 f.43
[44] Amtl. Bull. NR, 1995, S. 938 ff.44
[45] Amt. Bull. StR, 1995, S. 430. Vgl. SPJ 1994, S. 201.45