Année politique Suisse 1995 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Aids
Oppositionslos stimmte der Ständerat einer parlamentarischen Initiative der grossen Kammer zu, welche darauf abzielt, die 1990 beschlossenen Leistungen für Personen, die durch verseuchte Blutpräparate mit dem HI-Virus infiziert wurden, nicht nur auf deren kontaminierte Ehegatten, sondern auch auf allenfalls angesteckte Kinder auszudehnen. Zudem wurden auf Antrag der Kommission die Leistungen des Bundes von 50 000 Fr. auf 100 000 Fr. pro infizierte Person angehoben. Die Kommission begründete diese Erhöhung einerseits mit der seit 1990 noch deutlicher gewordenen Mitverantwortung des Bundes und andererseits mit einem internationalen Quervergleich, aus welchem hervorgeht, dass sich die bisherigen Leistungen der Schweiz im unteren Bereich der Skala bewegen. Der Bundesrat war mit der Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten einverstanden, bekämpfte aber den Ausbau der Leistungen. In diesem Punkt unterlag er bei der Differenzbereinigung auch im Nationalrat, der den Beschluss des Ständerates diskussionslos bestätigte [17].
Die "Aids-Hilfe Schweiz" (AHS), deren erster Präsident - der populäre und inzwischen verstorbene TV-Mann André Ratti - mit seinem öffentlichen Bekenntnis, er sei homosexuell und aidskrank, der Diskussion um die Immunschwächekrankheit in der Schweiz eine emotionale Komponente verliehen und sie damit erst eigentlich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht hatte, konnte im Berichtsjahr auf ihr zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Die AHS ist heute eine breit verankerte Gesundheitsorganisation mit über 100 Mitarbeitern, deren jährliches Betriebsbudget zu über 80% vom BAG finanziert wird. Die AHS, die sich stark gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung der Aidskranken zur Wehr setzt, prägte die 1987 lancierten und bis heute weitergeführten "Stop Aids"-Kampagnen des Bundes, welche die WHO als "weltweit einmalig" bezeichnete, ganz wesentlich mit [18].
Nach Abschluss einer einjährigen Pilotphase mit der Abgabe von sauberen Spritzen in der Frauen-Strafvollzugsanstalt Hindelbank (BE) wurde ein positives Fazit der Aktion gezogen. In der Versuchsperiode stieg der - in Gefängnissen zwar grundsätzlich verbotene, in Wirklichkeit aber nie auszumerzende - Drogenkonsum nicht an, es gab keine neuen Heroinkonsumentinnen, und keine Frau steckte sich neu mit dem HI- oder einem Hepatitis-Virus an. Die Polizeidirektion des Kantons Bern beschloss deshalb, das Pilotprojekt in Form eines Anschlussprogramms fortzusetzen [19].
 
[17] Amtl. Bull. StR, 1995, S. 300 ff. und 796; Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1244 f. und 1689; AS, 1995, S. 4340 ff. Siehe SPJ 1994, S. 208. Die Zahl der Kinder, die für eine solche Entschädigung gemäss geändertem Bundesbeschluss in Frage kommen, wird auf höchstens fünf geschätzt. Wie der Blutspendedienst des SRK mitteilte, wurden 1994 und 1995 je eine Person bei einer Bluttransfusion mit dem HI-Virus infiziert. Dies geschah nicht aus Nachlässigkeit, sondern aufgrund des "immunologischen Fensters", welches bewirkt, dass eine Neuansteckung frühestens nach zwei bis drei Monaten im Blut nachweisbar ist, da sich erst nach diesem Zeitraum die Antikörper bilden. Das "Restrisiko", bei einer Fremdblutübertragung mit dem HIV infiziert zu werden, beträgt 1:600 000 (Presse vom 5.5. und 10.11.95).17
[18] Presse vom 23.6. und 24.6.95. Da die herkömmlichen Stop-Aids-Kampagnen die Frauen nur ungenügend ansprechen, stellte das BAG rund 1,8 Mio Fr. für ein spezifisches Frauenprogramm zur Verfügung, das sich über drei Jahre erstrecken soll (Presse vom 9.11.95).18
[19] Bund, 28.11.95.19