Année politique Suisse 1995 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Ausländerpolitik
Die von einem rechtsbürgerlichen Komitee eingereichte
Volksinitiative "für eine Regelung der Zuwanderung" kam mit 121 313 gültigen Unterschriften zustande. Gemäss Initiativtext soll der Anteil der ständigen ausländischen Bevölkerung 18% nicht mehr übersteigen dürfen. Die Initiative will neu auch bisher nicht in der Statistik erscheinende Kategorien wie Asylbewerber und Kurzaufenthalter mitzählen. Die Initiative fand in der Deutschschweiz bedeutend mehr Zustimmung als in der Romandie
[6]. Nur wenige Tage nach der Einreichung dieses Volksbegehrens doppelten die Schweizer Demokraten (SD) mit der
Lancierung einer weiteren Volksinitiative ("Masshalten bei der Einwanderung") nach. Diese verlangt, pro Jahr nur so viele Ausländer einzulassen wie Ausländer die Schweiz verlassen
[7].
Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen sprang auch die Parteileitung der CVP kurzfristig auf den
Quoten-Zug auf. Sie befürwortete zwar den freien Personenverkehr zwischen der Schweiz und den EU-Staaten, meinte aber, die Schweiz müsste die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte wieder beschränken können, wenn der Ausländeranteil 20% übersteigen sollte. Dieses Vorprellen des Parteivorstandes wurde vor allem von der welschen CVP-Basis wenig goutiert
[8].
Die Landesregierung machte mit einer Erklärung von Bundesrat Delamuraz im Ständerat klar, dass sie nichts von einer Quotenregelung im Ausländerbereich hält. Das vom Bundesrat angestrebte
ausgewogene Verhältnis zwischen Schweizern und Ausländern lasse sich nicht quantifizieren, weil es eine qualitative Dimension habe. Ausschlaggebend sei nicht die Zahl der Ausländer in der Schweiz, sondern der Grad ihrer Assimilierung
[9].
Um ein Zeichen der Öffnung gegenüber Europa zu setzen, wollte der Bundesrat in der Ausländerregelung 1995/96 den Begriff des
Saisonniers durch jenen des
Kurzaufenthalters
ersetzen. Statt bloss in Bau, Tourismus und Landwirtschaft sollten diese Arbeitnehmer mit prekärer Aufenthaltsbewilligung in allen Branchen arbeiten können. Auch die dreimonatige Ausreise jedes Jahr sollte entfallen und durch einen sechsmonatigen Unterbruch alle zwei Jahre ersetzt werden, es sei denn, der Kurzaufenthalter wechsle alle zwei Jahre den Arbeitgeber. Die Mobilität innerhalb der Schweiz und den Familiennachzug wollte der Bundesrat aber nach wie vor nicht gewähren
[10].
Diese Vorschläge stiessen in der Vernehmlassung auf
vehemente Kritik. Die Gewerkschaften, aber auch die bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der SVP bemängelten, damit werde das inhumane Saisonnierstatut nur dem Namen nach abgeschafft, dessen Nachteile - insbesondere das Verbot des Familiennachzugs - blieben jedoch weiterhin bestehen. Die Arbeitgeberorganisationen und die bürgerlichen Parteien störten sich überdies daran, dass der Umwandlungsanspruch in eine Jahresbewilligung beibehalten werden sollte, wodurch der Zustrom schlecht qualifizierter Arbeitskräfte weiter anhalten würde. Auf massiven Widerstand stiessen die bundesrätlichen Vorschläge auch in den Tourismusregionen, für welche es kaum möglich ist, Arbeitskräfte während 12 Monaten zu beschäftigen. Angesichts dieser negativen Reaktionen beschloss der Bundesrat, erst einmal die Ergebnisse der bilateralen Verhandlungen mit der EU abzuwarten und die Ausländerregelung 1995/96 mit den
gewohnten drei Bewilligungskategorien zu verabschieden
[11].
Für die Verhandlungen mit der EU über den freien Personenverkehr siehe oben, Teil I, 2 (Europe: EU).
Erwartungsgemäss wurden mit der neuen Ausländerregelung die Zulassungsbestimmungen für "
Cabaret-Tänzerinnen" verschärft. Diese Frauen - zunehmend aus Mittel- und Osteuropa stammend - werden ohne hinreichenden Schutz häufig ausgebeutet und in die Prostitution getrieben. Die neuen Vorschriften sollen in der einschlägigen Branche für korrekte Aufenthalts-, Arbeits- und Lohnbedingungen sorgen. Inskünftig müssen ausländische Nachtlokal-Tänzerinnen mindestens zwanzig Jahre alt sein und wenigstens für die ersten drei Monate einen gültigen Arbeitsvertrag haben. Darüber hinaus sollen die kantonalen Arbeitsmarktbehörden für diese Kategorie von Arbeitnehmerinnen einen verbindlichen Mindestlohn festlegen
[12].
Mit einer Motion ersuchte Nationalrat Zisyadis (pda. VD) den Bundesrat,
Inhabern von C-Ausweisen und insbesondere jüngeren Ausländern, welche hier geboren sind oder ihre Schulzeit in der Schweiz absolviert haben, zu gestatten, auch
länger als sechs Monate das Land zu verlassen, ohne deswegen den Anspruch auf die Niederlassung zu verlieren. Der Bundesrat erinnerte daran, dass die Ausländerregelung seit 1986 für begründete Fälle Ausnahmen vorsieht. Auch verwies er auf neuere Weisungen des Bundesamtes für Ausländerfragen, wonach für junge Ausländerinnen und Ausländer, welche die Frage einer möglichen Reintegration in ihrem Heimatland abklären wollen, die Frist bei entsprechendem Gesuch bis auf zwei Jahre zu verlängern sei. Angesichts dieser Ausführungen wurde die Motion in der Postulatsform überwiesen
[13].
Eine Motion Bühlmann (gp, LU) verlangte ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht für alle ausländischen Ehefrauen in der Schweiz und damit eine Gleichbehandlung mit den Ausländerinnen, die mit einem Schweizer verheiratet sind, da die heutige Regelung die Ehefrauen von Ausländern zu Anhängseln ihrer Männer mache und sie ihnen somit ausliefere. Bundesrat Koller erinnerte vergeblich daran, dass bei der letzten Gesetzesrevision Ehen zwischen Ausländern und gemischte Ehen bewusst unterschiedlich behandelt wurden und die kantonalen Fremdenpolizeibehörden zudem Ermessensspielraum hätten, um auf Einzelfälle Rücksicht zu nehmen. Gegen seinen Willen wurde der Vorstoss - wenn auch nur knapp mit 57 zu 53 Stimmen - in der verbindlichen Form überwiesen
[14].
[6]
BBl, 1995, IV, S. 1174; Presse vom 29.8.95.6
[7]
BBl, 1995, III, S. 1372 ff.; Presse vom 4.9.95. Für eine Univox-Umfrage, welche den Begrenzungsinitiativen gewisse Chancen in der Volksabstimmung einräumt, siehe
TA, 16.12.95.7
[8]
TA, 16.8. und 19.8.95.
NQ, 16.8. und 15.9.95. Für ein zu Beginn des Jahres vorgestelltes, wesentlich liberaleres Thesenpapier der CVP zur Migrationspolitik siehe unten, Teil IIIa (CVP); Presse vom 11.2.95.8
[9]
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 960 ff. und 1015 ff. Anlässlich einer Migrationstagung (siehe oben) bezeichnete BR Koller eine zahlenmässige Limite als unrealistisch; Peter Arbenz, Autor des jüngsten Migrationsberichtes, vertrat seinerseits die Ansicht, die Schweiz könnte - bei entsprechend ausgebauten Integrationsbemühungen - ohne weiteres auch einen Ausländeranteil von 25% verkraften (
NQ, 25.8.95). Für die Haltung der Parteien in der Ausländerpolitik vgl.
TA, 26.9.95. Zur Einbürgerung siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).9
[10] Presse vom 1.6.95
. Zur Problematik des verweigerten Familiennachzugs siehe auch unten (Kinder).10
[11]
TA, 15.8. und 19.8.95; Presse vom 17.8. und 26.10.95;
NZZ, 18.9.95;
SHZ, 21.9.95;
Bund, 30.10.95.11
[12]
AS, 1995, S. 4869 ff.; Presse vom 26.10. und 5.12.95. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 531 und 937 f. Die Arbeitsbedingungen ausländischer "Tänzerinnen" hatte in den vergangenen Jahren zu mehreren parlamentarischen Vorstössen geführt, bei deren Beratung in den Kammern der BR einen dringenden Handlungsbedarf anerkannt hatte (vgl.
SPJ 1993, S. 237).12
[13]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 948 f.13
[14]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 2091 ff.14
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