Année politique Suisse 1995 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Stellung der Frau
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Politische Vertretung
Bei den Erneuerungswahlen ins eidgenössische Parlament nahm der Frauenanteil noch einmal leicht zu. In den Nationalrat wurden 43 Frauen (1991: 35) gewählt, was 21,5% (17,5%) aller Mandate entspricht. Am meisten Frauen in absoluten Zahlen stellte die SP (19), gefolgt von der FDP (8). Im Ständerat konnten die Frauen ihren Anteil von vier auf acht verdoppeln und erreichten 17,4% der Mandate. Erstmals schickten zwei Kantone (Genf und Zürich) eine reine Frauenvertretung in die kleine Kammer [35]. Für eine detaillierte Darstellung der Wahlen ins eidgenössische Parlament siehe oben, Teil I, 1e.
Wie eine Analyse des Bundesamtes für Statistik zeigte, sind die Wahlchancen der Männer nach wie vor deutlich besser als jene der Frauen. Bei den Nationalratswahlen verzeichneten die Frauen eine um 1,9mal geringere Wahlquote. Die Studie kam weiter zum Schluss, dass 1995 die Aussichten der Deutschschweizerinnen, gewählt zu werden, doppelt so hoch waren wie jene der Romandes. Im Berichtsjahr hatten die Frauen einzig bei den Grünen bessere Wahlchancen als die Männer. Bei der SP waren die Wahlchancen der Männer rund anderthalb Mal grösser als jene der Frauen, bei der FDP 1,8mal, bei der SVP mehr als zweimal und bei der CVP sogar über dreimal [36].
Eine Studie über die Rolle der Frauen in der Lokalpolitik kam zu ernüchternden Resultaten. Von den rund 18 000 Gemeinderatssitzen (Exekutive), die es in den 3000 Schweizer Gemeinden gibt, wurden Ende 1994 nur gerade 13,6% von Frauen belegt. In 40% der Gemeinden waren zu diesem Zeitpunkt in den kommunalen Exekutiven überhaupt keine Frauen vertreten, in 45% sass nur gerade eine Frau, in lediglich 15% amteten zwei Gemeinderätinnen oder mehr. Seit 1988 hat sich der Frauenanteil nur gerade um sechs Prozentpunkte erhöht [37].
Die Volksinitiative "für eine angemessene Vertretung der Frauen in allen eidgenössischen Behörden (Initiative 3. März") kam mit 109 713 beglaubigten Unterschriften knapp zustande. Das Volksbegehren verlangt eine proportionale Vertretung der Frauen in allen Bundesbehörden und in der allgemeinen Bundesverwaltung, im Parlament, im Bundesgericht, in den Regiebetrieben des Bundes sowie an den eidgenössischen Hochschulen. Sie geht auf den 3. März 1993 zurück, als das Parlament anstelle der offiziellen SP-Kandidatin, der Genfer Nationalrätin Christiane Brunner, den Neuenburger SP-Nationalrat Francis Matthey in den Bundesrat wählen wollte [38].
Im Kanton Solothurn wurde unter dem Titel "Initiative 2001" ebenfalls ein Volksbegehren eingereicht, welches verlangt, dass Frauen und Männer entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil in den kantonalen Behörden vertreten sein sollen. Obgleich der Anteil der Frauen im Solothurner Kantonsrat nach den Wahlen von 1993 34% und damit die zweithöchste Frauenquote in einem Schweizer Kantonsparlament erreicht hat, befand das Initiativkomitee, welchem vor allem Frauen aus dem links-grünen Spektrum angehören, die Frauen seien weiterhin krass untervertreten; nur der Weg über gesetzliche Quoten führe zu einer raschen Veränderung der Verhältnisse [39].
Dass dieses Ansinnen in der Bevölkerung nur wenig Rückhalt geniesst, wurde spätestens im September klar, als in der Stadt Bern eine zuvor noch vom Stadtparlament knapp gutgeheissene Quotenregelung von knapp 68% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger überraschend deutlich abgelehnt wurde. Die Vorlage war von den regierenden Rot-Grün-Mitte-Parteien unterstützt, von den bürgerlichen und den Rechtsparteien aber vehement bekämpft worden. Diese bezeichneten die Einführung von Geschlechterquoten als verfassungswidrige und undemokratische Zwängerei [40].
 
[35] Presse vom 23.10. und 27.11.95. Für die Strategien der Parteien zur Frauenförderung siehe BZ und SGT, 4.1.95; NQ, 16.1.95. Erstmals vor eidgenössischen Wahlen organisierten die Frauen der drei bürgerlichen Parteien FDP, CVP und SVP ein gemeinsames Wahlfest (Presse vom 18.9.95).35
[36] Lit. Bundesamt; Presse vom 18.12.95. Insgesamt bewarben sich 990 Frauen und 1844 Männer um ein Nationalratsmandat; der Frauenanteil bei den Kandidaturen stieg somit von 32,6% bei den Wahlen von 1991 auf neu 35% (Presse vom 23.9.95). Eine Studie der Eidg. Kommission für Frauenfragen zeigte, dass die Medienpräsenz der Kandidatinnen für den National- und Ständerat 1995 zwar besser war als 1991, dass die Frauen aber dennoch zum Teil unter dem prozentualen Anteil ihrer Kandidaturen in Erscheinung traten (Lit. Eidg.).36
[37] Lit. Meuli / Ladner. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse: U. Meuli, "Frauen in der Lokalpolitik", in Frauenfragen, 1996, Nr. 1, S. 54 ff.37
[38] BBl, 1995, III, S. 112 f.38
[39] Presse vom 8.6.95. Siehe auch J. Wyttenbach, "Parlamentarische Vorstösse und Initiativen zu Quoten und Zielvorgaben", in Frauenfragen, 1996, Nr. 1, S. 41 ff. Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen wurden alle Kandidatinnen und Kandidaten nach ihren Positionen zur allgemeinen Frauenförderung und zur Quotenregelung im besonderen befragt. Die Antworten liessen auf eine grosse Akzeptanz parteiinterner Frauenförderung schliessen, zeigten aber eine deutliche Skepsis gegenüber Quoten. Die Linken und die Grünen befürworteten Quoten eher als die Bürgerlichen (NZZ, 30.9.95).39
[40] Bund und BZ, 28.4. und 11.9.95.40