Année politique Suisse 1995 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen / Das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen
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Rätoromanisch
Das Rätoromanische soll mit einer einheitlichen Schriftsprache in die Zukunft gerettet werden. Zwei Drittel der von der Bündner Regierung befragten Rätoromanen sprachen sich dafür aus, wobei 44% die Standardsprache Rumantsch grischun unterstützen. In der lokalen und mündlichen Sprachpraxis - also überall dort (Familie, Freundeskreis, Vereine etc.), wo auch die Deutschschweizer ihren Dialekt sprechen - will die Bevölkerung ihr angestammtes Idiom beibehalten, in den Medien und der Verwaltung sowie in Schule und Literatur opponiert sie der Einführung einer Einheitssprache aber nicht. Dabei zeigten sich allerdings auch regionale Unterschiede. Je kleiner und gefährdeter eine Sprachregion ist (Mittelbünden), desto vehementer verlangt sie offenbar nach der Einheitssprache, während sprachlich kompakte Gebiete (beispielsweise die Surselva) dieser mit grösserer Distanz gegenüberstehen, da sie sich offenbar genügend Eigenkraft zur Erhaltung des angestammten Idioms zutrauen [34].
Eine wissenschaftliche Studie räumte mit dem Vorurteil auf, Romanisch in der Schule sei zu einer Belastung geworden. Die zu diesem Zweck in der Surselva befragten und auf ihre romanische Sprachkompetenz untersuchten Kinder und Jugendlichen zeigten eine hohe Motivation, das Rätoromanische in der Schul- und Alltagssprache zu bewahren. Rund 80% der Jugendlichen, welche teilweise auch in deutschsprachig dominierten Gemeinden leben, gaben an, ihnen sei es wichtig, Romanisch zu beherrschen [35].
Als erste Bündner Talschaft bekannte sich das Val Müstair formell zum Territorialitätsprinzip und erklärte sich definitiv und ausschliesslich zur rätoromanischen Sprachregion [36]. Das Unterengadin scheint ebenfalls auf dem Weg, ein allerdings etwas abgeschwächtes Territorialitätsprinzip einführen zu wollen. Hier soll gemäss einer Vernehmlassung unter den betroffenen Gemeinden das Rätoromanische für alle kommunalen und regionalen Verwaltungen, nicht aber für die Gerichte gelten [37].
Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, dass eine Ratifizierung des Rahmenabkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (siehe oben, Teil I, 7d, Grundsatzfragen) auch für die Förderung des Rätoromanischen Folgen haben könnte. Art. 9 der Konvention sieht insbesondere vor, dass die Vertragsstaaten dafür zu sorgen haben, dass die Minderheiten angemessenen Zugang zu den Medien erhalten. Vertreter Graubündens leiteten daraus ab, dass der Bund verpflichtet werden müsse, die geplante rätoromanische Nachrichtenagentur finanziell zu unterstützen (siehe auch unten, Teil I, 8c, Presse) [38].
 
[34] Büz, 8.2.95; NZZ, 11.12.95; Presse vom 21.12.95. Siehe SPJ 1992, S. 281.34
[35] Bund, 27.7.95.35
[36] BüZ, 3.2., 4.2. und 29.4.95.36
[37] BüZ, 11.3., 23.6. und 26.7.95.37
[38] BüZ, 28.3.95.38