Année politique Suisse 1996 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
SP-Generalsekretär André Daguet, der zusammen mit Parteipräsident Peter Bodenmann massgeblich am letztjährigen Wahlerfolg der SP beteiligt war, gab nach zehnjähriger Tätigkeit seinen Wechsel ins Generalsekretariat der Gewerkschaft Smuv auf 1997 bekannt. Als Ziel nannte er insbesondere, zwischen Gewerkschaften und der SP als Brückenkopf fungieren zu wollen. Zu seiner Nachfolgerin wählte die Partei Nationalrätin Barbara Haering Binder (ZH), womit erstmals eine Frau diesen Posten übernehmen wird. Bodenmann wurde im November für eine dritte Amtsperiode bestätigt [8].
In Basel-Stadt, wo die Novartis-Fusion hohe Wellen warf, trat die SP unter dem Slogan "Wir sind konservativ" zu den kantonalen Wahlen an. Sie festigte damit das Bild der bewahrenden Kraft in bezug auf die soziale Sicherheit, Löhne und Arbeitsplätze, die sich der Entmachtung der Politik durch eine anonyme Wirtschaft entgegenstemmt. Einen Sieg in diesem Sinne konnte die SP im Dezember mit der gewonnenen Abstimmung über das revidierte Arbeitsgesetz verbuchen, gegen das sie zusammen mit den Gewerkschaften das Referendum ergriffen hatte [9].
Ein SP-Parteitag in Davos im November stand ganz im Zeichen der Zukunft und Finanzierung des Sozialstaates. Die Delegierten verabschiedeten ein Positionspapier, in dem der "Panikmache" um die Finanzierung des Sozialstaates der Kampf angesagt und die soziale Grundsicherung als unabdingbar für den sozialen Frieden bezeichnet wird. Der Sozialstaat sei auch in Zukunft bezahlbar, dieser solle fortan aber nicht mehr allein durch Lohnprozente, sondern vermehrt über eine erhöhte Mehrwertsteuer finanziert werden. Als vordringlich erachtete die SP die Sicherung der AHV (mit Ruhestandsrenten ab 62 Jahren) und der IV sowie die Ausweitung der Ergänzungsleistungen auf Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende. Bekräftigt wurden die Forderungen nach höheren Kinderzulagen und einer Mutterschaftsversicherung. Mit grossem Mehr stellte die SP zudem die Weichen für einen radikalen Umbau der Krankenversicherung: Bis zum Frühjahr 1997 will sie Vorschläge für eine oder mehrere Volksinitiativen bezüglich einer sozialeren Finanzierung der Krankenversicherung vorlegen. Die heutigen Kopfprämien sollen durch bis zu acht zusätzliche Mehrwertsteuerprozente ersetzt werden, womit die unteren Einkommenskategorien erheblich entlastet würden. Gleichzeitig soll der Kostenschub im Gesundheitswesen eingedämmt werden. Um das Ziel des gezielten Ausbaus der Leistungen und gleichzeitig der Begrenzung der Kostensteigerungen auf das BIP-Wachstum zu erreichen, wird eine nationale Spitalplanung sowie die Steuerung des Gesundheitswesens über Globalbudgets verlangt [10].
Ein SP-Positionspapier zur Zukunft des öffentlichen Dienstes wurde am Davoser Parteitag zwar diskutiert, jedoch zur Überarbeitung an den Vorstand zurückgewiesen, um einen Streit mit den Gewerkschaften insbesondere bezüglich Arbeitszeitreduktionen zu verhindern. Das Positionspapier schlägt eine flexible Reduktion der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst von 41 auf 33 Stunden vor. Als Ausgleich für die Arbeitszeitreduktion um 20% würden die Löhne um durchschnittlich 6% gesenkt, wobei untere Einkommen geschont werden sollen. Damit könnten, so die Hoffnung der SP-Spitze, bis zu 15 000 Arbeitsplätze geschaffen werden [11].
Ein Antrag der SP-Frauen, in den SP-Statuten ein grundsätzliches Verbot der Ämterkumulation zu verankern, wurde von den Delegierten abgelehnt. Der Antrag war im Nachgang zu den Vorwürfen gegen Werner Marti, SP-Nationalrat, Preisüberwacher und Glarner Regierungsrat, eingereicht worden [12].
Im Dezember kam es zu einem SP-Hauskrach zwischen Parteipräsident Bodenmann und Bundesrat Leuenberger. Bodenmann hatte kurz vor einem Treffen zwischen Leuenberger und dem österreichischen Verkehrsminister telefonisch beim österreichischen Verkehrsministerium interveniert und geraten, nicht auf die bundesrätlichen Vorschläge einzugehen. Leuenberger warf Bodenmann daraufhin via Medien vor, die bilateralen Verhandlungen mit der EU zu torpedieren. Auch die bürgerlichen Parteien kritisierten den europapolitischen Sololauf Bodenmanns harsch. In einer Erklärung hiess die SP-Fraktion die internationalen Kontakte ihres Präsidenten jedoch ausdrücklich gut [13].
Bei den kantonalen Wahlen konnte die SP per Saldo 15 Sitzgewinne verzeichnen, wobei sie mit sieben Mandatsgewinnen in Basel-Stadt am erfolgreichsten war. In Basel-Stadt sowie in St. Gallen gewann sie ausserdem je einen Regierungssitz hinzu.
 
[8] SoZ, 25.8.96 (Daguet); Presse vom 11.11. (Haering Binder) und 18.11.96 (Bodenmann).8
[9] SGT, 14.11.96. Vgl. dazu oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).9
[10] Presse vom 18.11.96. Vgl. SP-Positionspapier Zukunft und Finanzierung des Sozialstaats, Bern 1996. Die Initiativfreudigkeit der Parteispitze wurde von der SP-Basis und verschiedenen, an weiteren SP-Initiativen beteiligten Gruppierungen harsch kritisiert, da die Unterschriftensammlungen für zwei bereits lancierte Initiativen nur harzig liefen (Bund, 30.12.96). Vgl. dazu SPJ 1995, S. 343.10
[11] TA, 18.11.96.11
[12] SGT, 18.11.96. Zu Marti siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).12
[13] Presse vom 5.12. und 6.12.96; BZ, 11.12.96. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 2 (Europe: UE).13