Année politique Suisse 1996 : Parteien, Verbände und Interessengruppen
Parteien
Die SP forderte einen weiteren Ausbau des Sozialstaats und den radikalen Umbau der Krankenversicherung, wobei sie zur Finanzierung die Mehrwertsteuer herbeiziehen will. - Die in den letzten Jahren wenig erfolgreiche CVP bekräftigte mit einem neuen Parteiprogramm und strukturellen Reformen ihren Willen zur umfassenden Erneuerung. - FDP und SVP zogen die Verlässlichkeit der CVP als bürgerliche Partnerin in Zweifel und warfen ihr einen Linksrutsch vor. - Nach dem Verlust ihrer zwei letzten kantonalen Regierungssitze in der Romandie entwickelt sich die SVP immer stärker zur reinen Deutschschweizer Partei. Mit Ueli Maurer erhielt sie einen neuen Präsidenten. - Dem LdU wurde die bisherige finanzielle Unterstützung der Migros massiv gekürzt. - Mit der Tandem-Initiative konnten die Grünen ihr erstes eidgenössisches Volksbegehren realisieren. - Bei der Freiheits-Partei kam es zu medienträchtigen Parteiaustritten.
 
Parteiensystem
Zu den einzelnen Parteien vgl. auch die Tabelle Abstimmungsparolen 1996 (parolen_1996.pdf) sowie oben, Teil I, 1e (Wahlen) und die verschiedenen Sachkapitel [1].
Im letzten Jahr hatten sich die vier Bundesratsparteien auf eine intensivere Zusammenarbeit geeinigt. Auch im Berichtsjahr zeigte sich jedoch, dass sie in den wichtigen Fragen der Finanz-, Wirtschafts-, Ausländer- und Sozialpolitik zerstritten sind. So bezeichneten die Bürgerlichen die Sanierung der Bundesfinanzen als prioritär und sprachen sich für eine Stabilisierung der Sozialleistungsquote oder gar einen Abbau des Sozialstaats aus, während die SP die heutigen Defizite als nicht dramatisch einstufte und auf einem weiteren Ausbau des Sozialstaats bestand. Die SVP stand mit ihrer Volksinitiative "Gegen die illegale Einwanderung" und mit ihrem Nein zur Verwaltungs- und Regierungsreform allein auf weiter Flur [2].
Gegen Ende des Jahres äusserten FDP und SVP Zweifel an der Verlässlichkeit der CVP als bürgerliche Partnerin und warfen ihr einen Linksrutsch vor. Dabei bezogen sie sich insbesondere auf den Investitionsbonus zur Ankurbelung der Wirtschaft und auf die Ratifizierung der Europäischen Sozialcharta, für die sich die CVP zusammen mit der SP aussprach. Weiter kritisierten FDP und SVP den CVP-Widerstand gegen das SBB-Lohnopfer und insbesondere das sozialpolitisch begründete CVP-Nein zum revidierten Arbeitsgesetz. Während die SP die Entscheide der CVP begrüsste, pochte diese auf eine "eigenständige Zentrumspolitik"; einen Linksrutsch bestritt sie [3].
Welsche Parlamentarier beklagten, dass sie in den vier vorparlamentarischen Arbeitsgruppen der Bundesratsparteien, die zu Beginn des Jahres ihre Tätigkeit aufnahmen, marginalisiert würden. Unter den 32 eingesetzten Parlamentariern befinden sich nur gerade vier Westschweizer [4].
Mit 76 zu 28 Stimmen nahm der Nationalrat ein Postulat Carobbio (sp, TI) an, das die Parteien von der direkten Bundessteuer befreien will. Er folgte damit dem Bundesrat nicht, der zwar die Forderung an sich als durchaus diskutabel bezeichnete, jedoch Probleme sah bei der Abgrenzung, welche Organisation als steuerbefreite Partei gelte und welche nicht, und für eine Lösung im Rahmen einer allfälligen späteren Revision der Steuergesetze plädierte [5].
Im Dezember gründeten im Nationalrat die drei Schweizer Demokraten, der einzige Lega-Abgeordnete Flavio Maspoli (TI) sowie der Freisinnige Massimo Pini (TI) die Demokratische Fraktion. Damit sind die Schweizer Demokraten neu wieder in eine Fraktion eingebunden; Maspoli verliess die Fraktion der Freiheits-Partei. Mit Pini, der durch seinen Fraktionswechsel aus der FDP austreten musste, ist in der neuen Rechtsaussenfraktion auch ein EU-Beitrittsbefürworter vertreten [6].
Eine Untersuchung über die Lokalparteien kam zum Schluss, dass sich das Schweizer Parteiensystem in einem Aufweichungsprozess befindet. Gründe sind die schwindende Bedeutung der rund 6000 Lokalparteien, die Entfremdung der Parteispitzen von der Basis sowie die Erosion der Parteibindung der Wählerinnen und Wähler. Vor allem in den ländlichen Gebieten gehe die Zahl der Lokalparteien eher zurück. In den mittelgrossen Gemeinden würden zwar weiterhin neue Parteien gegründet, allerdings handle es sich meist um gemeindespezifische Gruppierungen und nicht um Lokalsektionen von national aktiven Parteien. Nur in den grösseren Gemeinden und Städten würden noch Lokalparteien gegründet, vor allem Sektionen von Rechtsparteien. Zudem werden immer mehr Parteilose in die Exekutiven gewählt. Bereits seien über 20% der etwa 18 000 Gemeindeexekutivämter von Parteilosen besetzt, die damit die stärkste "Partei" stellen. Die grössten Sitzverluste habe die CVP erlitten [7].
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
SP-Generalsekretär André Daguet, der zusammen mit Parteipräsident Peter Bodenmann massgeblich am letztjährigen Wahlerfolg der SP beteiligt war, gab nach zehnjähriger Tätigkeit seinen Wechsel ins Generalsekretariat der Gewerkschaft Smuv auf 1997 bekannt. Als Ziel nannte er insbesondere, zwischen Gewerkschaften und der SP als Brückenkopf fungieren zu wollen. Zu seiner Nachfolgerin wählte die Partei Nationalrätin Barbara Haering Binder (ZH), womit erstmals eine Frau diesen Posten übernehmen wird. Bodenmann wurde im November für eine dritte Amtsperiode bestätigt [8].
In Basel-Stadt, wo die Novartis-Fusion hohe Wellen warf, trat die SP unter dem Slogan "Wir sind konservativ" zu den kantonalen Wahlen an. Sie festigte damit das Bild der bewahrenden Kraft in bezug auf die soziale Sicherheit, Löhne und Arbeitsplätze, die sich der Entmachtung der Politik durch eine anonyme Wirtschaft entgegenstemmt. Einen Sieg in diesem Sinne konnte die SP im Dezember mit der gewonnenen Abstimmung über das revidierte Arbeitsgesetz verbuchen, gegen das sie zusammen mit den Gewerkschaften das Referendum ergriffen hatte [9].
Ein SP-Parteitag in Davos im November stand ganz im Zeichen der Zukunft und Finanzierung des Sozialstaates. Die Delegierten verabschiedeten ein Positionspapier, in dem der "Panikmache" um die Finanzierung des Sozialstaates der Kampf angesagt und die soziale Grundsicherung als unabdingbar für den sozialen Frieden bezeichnet wird. Der Sozialstaat sei auch in Zukunft bezahlbar, dieser solle fortan aber nicht mehr allein durch Lohnprozente, sondern vermehrt über eine erhöhte Mehrwertsteuer finanziert werden. Als vordringlich erachtete die SP die Sicherung der AHV (mit Ruhestandsrenten ab 62 Jahren) und der IV sowie die Ausweitung der Ergänzungsleistungen auf Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende. Bekräftigt wurden die Forderungen nach höheren Kinderzulagen und einer Mutterschaftsversicherung. Mit grossem Mehr stellte die SP zudem die Weichen für einen radikalen Umbau der Krankenversicherung: Bis zum Frühjahr 1997 will sie Vorschläge für eine oder mehrere Volksinitiativen bezüglich einer sozialeren Finanzierung der Krankenversicherung vorlegen. Die heutigen Kopfprämien sollen durch bis zu acht zusätzliche Mehrwertsteuerprozente ersetzt werden, womit die unteren Einkommenskategorien erheblich entlastet würden. Gleichzeitig soll der Kostenschub im Gesundheitswesen eingedämmt werden. Um das Ziel des gezielten Ausbaus der Leistungen und gleichzeitig der Begrenzung der Kostensteigerungen auf das BIP-Wachstum zu erreichen, wird eine nationale Spitalplanung sowie die Steuerung des Gesundheitswesens über Globalbudgets verlangt [10].
Ein SP-Positionspapier zur Zukunft des öffentlichen Dienstes wurde am Davoser Parteitag zwar diskutiert, jedoch zur Überarbeitung an den Vorstand zurückgewiesen, um einen Streit mit den Gewerkschaften insbesondere bezüglich Arbeitszeitreduktionen zu verhindern. Das Positionspapier schlägt eine flexible Reduktion der Wochenarbeitszeit im öffentlichen Dienst von 41 auf 33 Stunden vor. Als Ausgleich für die Arbeitszeitreduktion um 20% würden die Löhne um durchschnittlich 6% gesenkt, wobei untere Einkommen geschont werden sollen. Damit könnten, so die Hoffnung der SP-Spitze, bis zu 15 000 Arbeitsplätze geschaffen werden [11].
Ein Antrag der SP-Frauen, in den SP-Statuten ein grundsätzliches Verbot der Ämterkumulation zu verankern, wurde von den Delegierten abgelehnt. Der Antrag war im Nachgang zu den Vorwürfen gegen Werner Marti, SP-Nationalrat, Preisüberwacher und Glarner Regierungsrat, eingereicht worden [12].
Im Dezember kam es zu einem SP-Hauskrach zwischen Parteipräsident Bodenmann und Bundesrat Leuenberger. Bodenmann hatte kurz vor einem Treffen zwischen Leuenberger und dem österreichischen Verkehrsminister telefonisch beim österreichischen Verkehrsministerium interveniert und geraten, nicht auf die bundesrätlichen Vorschläge einzugehen. Leuenberger warf Bodenmann daraufhin via Medien vor, die bilateralen Verhandlungen mit der EU zu torpedieren. Auch die bürgerlichen Parteien kritisierten den europapolitischen Sololauf Bodenmanns harsch. In einer Erklärung hiess die SP-Fraktion die internationalen Kontakte ihres Präsidenten jedoch ausdrücklich gut [13].
Bei den kantonalen Wahlen konnte die SP per Saldo 15 Sitzgewinne verzeichnen, wobei sie mit sieben Mandatsgewinnen in Basel-Stadt am erfolgreichsten war. In Basel-Stadt sowie in St. Gallen gewann sie ausserdem je einen Regierungssitz hinzu.
 
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Franz Steinegger, der seit 1989 Parteipräsident ist, wurde für eine weitere Amtsperiode bestätigt. Ins Vizepräsidium wurde neben den wiederkandidierenden Vreni Spoerry (ZH) und Fulvio Pelli (TI) als Vertreter der welschen Schweiz neu Peter Tschopp (GE) gewählt. Nationalrat Tschopp gilt als ausgesprochener Europabefürworter [14].
Auch das Fraktionspräsidium der FDP musste im Berichtsjahr neu besetzt werden. Nach längerer Ausmarchung machte Ständerätin Christine Beerli (BE) gegen Gerold Bührer (SH) mit einer Stimme Differenz das Rennen. Sie wurde Nachfolgerin von Pascal Couchepin (VS) und ist erste weibliche FDP-Fraktionsvorsitzende. Die Wahl war auch insofern spannend, als sie klar den Flügelkampf innerhalb der FDP wiedergab: Bührer gilt als Verfechter eines harten wirtschaftsliberalen Kurses, während Beerli dem links-liberalen Lager zugerechnet wird [15].
Zu Beginn des Jahres nahm sich die FDP vor, wieder verstärkt als diejenige Partei aufzutreten, die über die grösste wirtschaftspolitische Kompetenz verfügt. FDP und Wirtschaft entfernten sich im Berichtsjahr jedoch teilweise weiter voneinander. So stellte sich die FDP nur bedingt hinter das umstrittene Weissbuch von Wirtschaftsführern "Mut zum Aufbruch". Anlässlich der verlorenen Abstimmung zur Verwaltungs- und Regierungsreform warf die FDP den Wirtschaftsverbänden - insbesondere auch dem Vorort - vor, sie hätten mit ihrem Widerstand gegen die Staatssekretäre Solidarität mit der FDP vermissen lassen. Gegen Ende des Jahres unterstützten die beiden freisinnigen Bundesräte ausserdem das revidierte Arbeitsgesetz nicht öffentlich. Mit der anschliessend verlorenen Abstimmung musste die FDP eine schwere Niederlage einstecken [16].
Im April wechselten vier Aargauer Parlamentarier der serbelnden Freiheits-Partei zur FDP. Parteipräsident Steinegger gab zum Zuwachs aus den Reihen der Freiheits-Partei sein Einverständnis, wobei er klar machte, dass nur wer freisinnig-liberale Positionen vertrete, in der Partei Platz habe. Steinegger signalisierte den FDP-Kantonalparteien auch seine Zustimmung, mit den Freiheitlichen Listenverbindungen einzugehen, vorausgesetzt, auf den Listen figurierten keine problematischen Namen. Die Annäherung zwischen FDP und Freiheitlichen stiessen beim liberalen Flügel und bei den Jungfreisinnigen auf Opposition [17].
Bei den kantonalen Wahlen büsste die FDP insgesamt fünf Parlamentssitze ein, wobei sie insbesondere in Basel-Stadt und Schwyz massiv Sitze und Wähleranteile einbüsste. Die Partei verfügt aber gesamtschweizerisch weiterhin über die meisten kantonalen Parlamentssitze. In Freiburg konnte die FDP neu wieder in die Regierung Einzug halten, musste aber in Nidwalden und St. Gallen je einen Exekutivsitz abgeben.
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Nach nur zwei Jahren im Amt gab Parteipräsident Anton Cottier, dem auch parteiintern Profillosigkeit vorgeworfen wurde, seinen Rücktritt auf Anfang 1997 bekannt. Als Nachfolge nominierte die CVP im November ein Führungstrio mit Adalbert Durrer (OW) als Präsidenten und Rosmarie Zapfl (ZH) sowie François Lachat (JU) als Vizepräsidenten. Alle drei gehören erst seit 1995 dem Nationalrat an [18].
Die in den letzten Jahren wenig erfolgreiche CVP bekundigte den klaren Willen, ihren Rang als drittstärkste Partei vor der SVP zu verteidigen und den 1994 begonnenen parteiinternen Erneuerungsprozess zu vertiefen und zu beschleunigen. Drei Arbeitsgruppen gingen ans Werk; sie befassten sich mit der Zukunft der Partei (Gruppe Eugen David), mit der Programmatik (Gruppe Bruno Frick) und mit den eigentlichen Parteistrukturen (Gruppe Adalbert Durrer). Gestützt auf deren Vorarbeit wurden im November an einem Parteitag in Biel inhaltliche und organisatorische Neuerungen verabschiedet. Programmatisch präsentierte sich die CVP als jene aktive Gegenkraft zu den Parteien, die die Schweiz polarisierten und lähmten und betonte ihren Führungsanspruch im politischen Zentrum. Von der Rolle der Mehrheitsbeschafferin will sie wegkommen und vermehrt eigenständige Positionen erarbeiten. Im Wirtschaftsbereich reklamierte die CVP bezüglich der KMU-Politik (kleine und mittlere Unternehmen) die Führungsrolle; sie will ausserdem zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen einen neuen "contrat social" initiieren. Als zweiten Schwerpunkt nannte die Partei die soziale und familiäre Sicherheit. Die Delegierten sprachen sich für Kinderzulagen von mindestens 200 Fr. pro Monat aus sowie - gegen den Widerstand des Wirtschaftsflügels - für die Schaffung einer Mutterschaftsversicherung für Mütter im unteren und mittleren Einkommensbereich. Diese soll ohne zusätzliche Lohnprozente über die Erwerbsersatzordnung finanziert werden. Andererseits sprach sich die CVP für eine Stabilisierung der schweizerischen Sozialleistungsquote auf dem heutigen Niveau aus. Ein allfälliger Ausbau einzelner Sozialwerke müsste folglich bei anderen kompensiert werden. Ihre Haltung gegenüber dem europäischen Einigungsprozess will die CVP 1997 endgültig klären.
In bezug auf die organisatorischen Reformen stimmte der Parteikongress dem Vorschlag zu, die CVP zur Mitgliederpartei zu machen. Eine zentral geführte Kartei soll künftig interne Urabstimmungen ermöglichen sowie die Initiativ- und Referendumskraft der Partei stärken. Weiter wurde beschlossen, den Parteivorstand zu stärken. Dieser soll künftig aus den Präsidenten der Kantonalparteien bestehen. Das Parteipräsidium wurde auf neun Personen reduziert. Knapp, mit 147 gegen 144 Stimmen, lehnten es die Delegierten aber ab, die Einführung einer Holding-Struktur mit einem C-Dach zu prüfen, welche den verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei - unter anderem CVP-Frauen, Christlichsoziale, Junge CVP, Senioren und Wirtschaftsflügel - mehr Autonomie gegeben hätte. Eine Mehrheit der Delegierten vertrat die Meinung, dass die Erhöhung der Teilautonomie der verschiedenen Parteigruppierungen einem starken Parteiauftritt nicht förderlich wäre. Die Idee eines Wechsels des Parteinamens, die im Sommer diskutiert worden war, wurde in Biel nicht mehr vorgebracht [19].
Trotz den Bemühungen um ein klares Profil zerfiel die CVP bei der Abstimmung über das revidierte Arbeitsgesetz - der als Kraftprobe zwischen Unternehmerinteressen und Arbeitnehmerschutz eine hohe symbolische Bedeutung zukam - in zwei Lager. Während der wirtschaftsnahe Flügel das Gesetz unterstützte, stiess es beim christlichsozialen Flügel, bei den CVP-Frauen und bei vielen welschen Delegierten auf Opposition. Umstritten war dabei insbesondere auch die Sonntagsarbeit, welche als familienfeindlich taxiert wurde. Mit 120 zu 82 Stimmen beschlossen die Delegierten schliesslich die Nein-Parole und setzten sich damit der harschen Kritik der anderen bürgerlichen Parteien aus [20].
In einem Grundsatzpapier sprach sich die CVP für die Förderung der Gentechnologie aus, da diese medizinischen Fortschritt bringe und als Schlüsseltechnologie Arbeitsplätze schaffe. Dabei müssten aber die Würde des Menschen und die Integrität der Person respektiert werden. Unter anderem befürwortete die CVP die Erzeugung transgener Tiere bei der Erforschung von Krankheiten und Heilmitteln, die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen unter Wahrung strenger Sicherheitsvorschriften sowie die Patentierung. Verboten bleiben sollen alle Eingriffe in die menschliche Keimbahn, die das Erbgut des Menschen auf Dauer verändern. Die Genschutz-Initiative lehnte die CVP als zu starke Einengung der Forschung klar ab [21].
Eine Mehrheit der Kommission für soziale Sicherheit, Gesundheit, Familie und Sport der CVP sprach sich ausserdem für die Zulassung der Abtreibungspille RU 486 als medikamentöse Alternative zum chirurgischen Schwangerschaftsabbruch aus, wobei die Verabreichung der Pille an strengste Auflagen geknüpft werden müsse. Ihre grundsätzlich ablehnende Haltung in der Abtreibungsfrage behielt die CVP bei [22].
Bei den kantonalen Wahlen büsste die CVP überall ausser im Kanton Uri an Sitzen ein; mit insgesamt 9 Parlamentsmandaten hielten sich die Verluste aber in Grenzen. In Basel-Stadt verlor die CVP ihren einzigen Regierungssitz und ist damit erstmals seit 1950 nicht mehr in der Basler Exekutive vertreten. In Nidwalden konnte sie dafür der FDP einen Exekutivsitz abnehmen [23].
 
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Nach achtjähriger Tätigkeit trat Ständerat Hans Uhlmann (TG) als Parteipräsident zurück. Zum neuen Präsidenten wurde nach zäher Kandidatensuche der Zürcher Nationalrat Ueli Maurer gewählt, der dem konservativen Zürcher-Parteiflügel zugezählt wird. Die liberalen Westschweizer, Berner und Bündner Sektionen sowie viele weibliche Parteimitglieder brachten der Wahl Skepsis entgegen und befürchteten, dass Maurer ein getreuer Vertreter der Positionen des Parteiexponenten Christoph Blocher (ZH) sein werde. SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti trat im Berichtsjahr zurück und wurde durch Martin Baltisser ersetzt [24].
Erstmals meldete die SVP offiziell ihren Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz an, wobei sie diesen klar der CVP streitig macht. Auf kantonaler Regierungsebene ist die SVP jedoch neu in der Westschweiz nicht mehr vertreten, nachdem der Waadtländer Pierre-François Veillon zurücktreten musste und in Freiburg der SVP-Kandidat den Sitz des zurücktretenden Raphael Rimaz nicht halten konnte. Im Nationalrat ist die welsche SVP gerade noch mit einem Sitz vertreten. Damit entwickelt sich die SVP immer mehr zur Deutschschweizer Partei [25].
Im April gab neben den drei anderen Bundesratsparteien auch der SVP-Fraktionsvorstand dem Bundesrat die Zustimmung für ein erweitertes Verhandlungsmandat für die bilateralen Verhandlungen mit der EU, das Zugeständnisse im freien Personenverkehr und im Landverkehr vorsah. Prompt kündigte Christoph Blocher das Referendum an. Parteipräsident Maurer, der ebenfalls seine Unterschrift zum erweiterten Mandat gegeben hatte und dafür teilweise stark kritisiert wurde, betonte jedoch, dass die SVP die volle Freizügigkeit im Personenverkehr weiterhin ablehne. Von einem bilateralen Abkommen erwarte sie, dass das Thema EWR 2 oder gar EU-Beitritt damit vom Tisch sei [26].
Im Dezember kam die erste nationale Volksinitiative der SVP, "gegen die illegale Einwanderung", zur Abstimmung, bei der die Partei eine wenn auch relativ knappe Niederlage einstecken musste. Erneut wurde insbesondere der SVP Zürich im Vorfeld der Abstimmung eine polemische Kampagne vorgeworfen, und wie bereits beim letztjährigen "Stiefel-Inserat" der Zürcher SVP zu den eidgenössischen Wahlen boykottierten verschiedene Zeitungen ein umstrittenes Inserat der Kantonalpartei. Die Initiative war auch parteiintern umstritten. So hatte die Berner Sektion Stimmfreigabe beschlossen, während die Bündner und die Waadtländer SVP wie auch Bundesrat Adolf Ogi das Begehren ablehnten [27].
Eine Niederlage erlitt die SVP in der Stadt Zürich auch bei der Abstimmung über eine Weiterführung der staatlichen Heroinabgabeversuche, gegen welche sie das Referendum ergriffen hatte. In dem von der schweizerischen SVP im letzten Jahr verabschiedeten Drogenkonzept stellte der Verzicht auf die staatliche Heroinabgabe ein zentrales Element dar [28].
Die SVP legte ein drastisches Sanierungsprogramm für die Bundesfinanzen vor, das bis 1998 ohne neue Einnahmen ein ausgeglichenes Budget vorsieht. Dabei will sie den Rotstift insbesondere bei jenen Ausgabenposten ansetzen, die in den letzten Jahren die höchsten Zuwachsraten hatten. Die grössten Sparmöglichkeiten sah sie bei den Beziehungen zum Ausland, der Bildung, der sozialen Wohlfahrt, dem Verkehr sowie im Bereich Dienstleistungen und Honorare. Bei Armee, Landwirtschaft und AHV sollte gemäss SVP nicht gekürzt werden. Weiter forderte sie eine Bahnreform sowie den Abbau von 2000 Stellen in der Bundesverwaltung und die Überprüfung von über zwei Dutzend Ämtern und Dienststellen. 1999 möchte die SVP mit dem langfristigen Schuldenabbau beginnen. Dieses Sanierungsprogramm, das Blocher (ZH) in Motionsform einbrachte, wurde vom Nationalrat im Rahmen der Sanierungsberatungen allerdings als zu radikal verworfen [29].
Als einzige Partei widmete die SVP der im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung geplanten Reform der Volksrechte einen Sonderparteitag und profilierte sich dabei als Hüterin der Volksrechte. Sie sprach sich zwar für den vorgeschlagenen Ausbau der Volksrechte aus, verwarf aber die im Gegenzug vorgesehene Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum [30].
Bei den kantonalen Parlamentswahlen ging die SVP als klare Siegerin hervor. Sie legte insgesamt 30 Sitze zu, wobei sie in St. Gallen mit 14 neuen Mandaten den grössten Triumph feiern konnte. In Schwyz gewann sie sieben zusätzliche Mandate. Ihren Anspruch, neues Terrain zu erschliessen, konnte die Partei jedoch nicht überall gleich gut erfüllen; in Uri und Appenzell Ausserrhoden verfingen die SVP-Rezepte gar nicht, in Basel-Stadt mit einem Sitzgewinn nur begrenzt.
 
Liberale Partei (LP)
Nach dem letztjährigen unbefriedigenden Abschneiden bei den eidgenössischen Wahlen setzte die Liberale Partei eine von der Genfer Grossrätin Barbara Polla präsidierte permanente "groupe de réflexion" ein, die als Ferment für neue liberale Ideen dienen soll. Dabei sollen nichtökonomische Fragestellungen künftig wieder mehr Beachtung finden. Weiter will die Partei ihre traditionell schwachen zentralen Strukturen verstärken und der politischen Arbeit des Zentralvorstandes mehr Gewicht beimessen [31].
Die Fraktion der Liberalen bezweifelte die Notwendigkeit der Neat und reichte im Herbst eine Motion ein, welche die Neat-Bundesbeschlüsse rückgängig machen will. Falls es trotzdem zum Bau kommt, tritt sie für nur einen Alpendurchstich, den Lötschberg, ein [32].
In Basel-Stadt, dem einzigen Kanton, in dem die Liberalen im Berichtsjahr zu den kantonalen Wahlen antraten, verloren sie drei Parlamentssitze. Ihr einziges Deutschschweizer Exekutivmandat konnten sie mit Ueli Vischer jedoch halten.
 
Grüne Partei (GP)
Auch die Grünen nahmen nach ihren massiven Sitzverlusten bei den Wahlen 95 eine Standortbestimmung vor. Dabei plädierte Parteipräsident Hanspeter Thür für eine frechere und provokativere Interpretation der Oppositionsrolle, die mit dem eingeschlagenen Kurs von der Protest- zur Reformpartei vereinbar sei. Meinungsunterschiede zum Thema Europa blieben aber deutlich [33].
Im Mai kam die Tandem-Initiative der Grünen, nachdem sie an Finanznot zu scheitern drohte, doch noch zustande. Es handelt sich um die ersten eidgenössischen Volksbegehren, welche die Grünen realisierten. Die Doppelinitiative strebt ein flexibles Rentenalter ab 62 für Mann und Frau an und will die dadurch entstehenden Kosten mit einer Steuer auf nicht erneuerbare Energien auffangen [34].
Die Grünen verabschiedeten ein von der Luzerner Nationalrätin Cécile Bühlmann ausgearbeitetes Positionspapier zur Ausländerpolitik, in dem sie die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU und den Verzicht auf das "rassistische" Dreikreisemodell forderten. Als Ersatz schlugen sie ein Einwanderungsgesetz vor, das den Zugang für Fremde in die Schweiz regelt und erleichtert. Bis zur Verabschiedung des Gesetzes solle eine paritätische Kommission entscheiden, wieviele Personen aus Nicht-EU-Staaten aufgenommen werden sollen. Weiter forderte die Partei ein erleichtertes Einbürgerungsverfahren, das einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung beeinhaltet, die Abschaffung der Zwangsmassnahmen, einen zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsstatus für Frauen und eine Integrationspolitik, die den Eingewanderten gleichberechtigten Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen sichert [35].
An einer Delegiertenversammlung zur Verkehrspolitik im Mai lehnten die Grünen jede Lockerung der 28-Tonnen-Limite für den Schwerverkehr als Zugeständnis in den bilateralen Verhandlungen mit der EU ab. Ein Antrag der Zürcher Sektion für eine ausdrückliche Referendumsdrohung bei einer Aufweichung der 28-Tonnen-Limite kam knapp durch. Weiter sprachen sich die Grünen dafür aus, eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe zur Finanzierung der Neat einzuführen [36].
Im Hinblick auf die anstehende Revision des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) forderte die GPS einen Umbau der zweiten Säule. Sie will den Koordinationsabzug abschaffen, der die Einkommenslimite festlegt, ab der die zweite Säule obligatorisch ist, und der Personen mit kleinem Einkommen benachteiligt. Gleichzeitig soll das Steuerprivileg für die überobligatorische Altersvorsorge begrenzt werden. Die Partei schlug weiter vor, ein Prozent der Pensionsgelder künftig in einen Fonds einzuzahlen, aus dem Risikokapital für kleinere und mittlere Unternehmen bereitgestellt wird. Die Pensionskasse soll zudem neu frei wählbar sein, um es den Versicherten zu erlauben, jene Kasse zu wählen, welche die Gelder nach sozialen und ökologischen Kriterien investiert [37].
Mit einer Statutenrevision schrieb die GPS für den Vorstand eine Mindestquote beider Geschlechter von 40% vor [38].
Bei den kantonalen Wahlen büsste die GPS in sechs Kantonen insgesamt drei Parlamentssitze ein. Zählt man die Sitzgewinne von grünen Gruppierungen mit GPS-Beobachterstatus hinzu, konnte sie per saldo aber 15 Mandate zulegen. Dabei fallen insbesondere die zehn Sitze von "BastA", die in Basel-Stadt erstmals antraten, ins Gewicht.
 
Landesring der Unabhängigen (LdU)
Nach vierjähriger Amtszeit gab die populäre Zürcher Ständerätin Monika Weber das Präsidium des dahinserbelnden LdU ab. Weil sich keiner der drei verbleibenden LdU-Nationalratsmitglieder zur Kandidatur bereit erklärte, wurde schliesslich der auf eidgenössischer Ebene wenig bekannte bernische LdU-Kantonalpräsident Daniel Andres zum neuen Parteipräsidenten gewählt. Andres sprach sich für einen sozial-liberalen und wieder verstärkt ökologischen Kurs des Landesrings aus; grüne Anliegen waren bei Weber in den Hintergrund getreten. Dem Präsidenten steht neu ein vierköpfiges Vizepräsidium zur Seite [39].
Im August gab der Migros-Genossenschafts-Bund bekannt, dass er die finanzielle Unterstützung des LdU von bisher jährlich 3 Mio Fr. auf 600 000 Fr. kürzen wird. Er begründete den für die Partei nicht überraschend gekommenen Entscheid damit, dass der traditionell zur Verfügung gestellte Betrag der heutigen Situation und Grösse des LdU angepasst werde. Das Versiegen des Migros-Geldstroms brachte die Partei in arge finanzielle Bedrängnis. Den Geschäftsstellen St. Gallen und Aarau droht die Schliessung, womit landesweit mit Zürich und Bern nur noch zwei Geschäftsstellen übrigbleiben würden [40].
Trotz des knapperen Budgets und düsteren Zukunftsprognosen propagierte der Parteivorstand einen Neuanfang und plante dabei insbesondere, mit einem Namenswechsel zur "Sozial-liberalen Partei der Schweiz", vom Image der "Migros-Partei" wegzukommen. Der bisherige Name sage nichts über politische Inhalte aus und sei interpretationsbedürftig. An einem ausserordentlichen Parteitag im November wurde die Namensänderung von den Delegierten mit 84 zu 29 Stimmen jedoch klar abgelehnt, da der Name "Landesring" dem Wahlvolk ein Begriff sei; "unabhängig" gebe zudem die Stellung der Partei in der Politlandschaft am besten wieder. Angenommen wurden dagegen neue Statuten. Diese sollen der Parteispitze durch die Aufwertung des Vorstands und die Aufhebung des Delegiertenrats mehr Handlungsspielraum einräumen [41].
Eine eher verwirrliche Position nahm der LdU im Referendumskampf gegen die Verwaltungs- und Regierungsreform ein, in dem er sich einmal mehr für den Übergang zu einem parlamentarischen Konkurrenzsystem einsetzte. Die Vorlage selbst lehnte er ab [42].
Im April löste sich der LdU Basel-Stadt offiziell auf. Die drei nach den Wahlen von 1992 im Kantonsparlament verbliebenen LdU-Mitglieder hatten während der Legislatur zu den Grünen gewechselt. Im Thurgau verlor der LdU anlässlich der Grossratswahlen seinen einzigen Sitz. Damit ist die Partei nur noch in vier kantonalen Parlamenten (AG, BE, SG und ZH) vertreten. In der Stadt Bern konnte der LdU mit Claudia Omar jedoch wieder einen Exekutivsitz erobern [43].
 
Evangelische Volkspartei (EVP)
Die EVP trug das Referendum gegen das revidierte Arbeitsgesetz aktiv mit und wehrte sich im Abstimmungskampf zusammen mit den Landeskirchen insbesondere vehement gegen die Lockerung des Sonntagsarbeitsverbots [44].
Im Dezember reichte die EVP eine mit rund 46 000 Unterschriften versehene Petition "für den Schutz des ungeborenen Lebens - gegen die Abtreibungspille RU486" bei der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz ein. An einer Delegiertenversammlung in Basel stellte sie ausserdem eine "Allianz für das Leben" zur Diskussion. Gemäss dieser ist das ungeborene Kind Mensch von Anfang an; der pränatalen Diagnostik steht die EVP deshalb sehr kritisch gegenüber. Die Fristenlösung und die soziale Indikation wie auch die aktive Sterbehilfe lehnte sie klar ab [45].
Anlässlich der kantonalen Wahlen büsste die EVP im Kanton Thurgau zwei Sitze ein, konnte aber in Schaffhausen einen Sitz gutmachen. In Basel-Stadt und St. Gallen verteidigte sie ihre Mandate.
 
Partei der Arbeit (PdA)
Die PdA trug das Referendum gegen das revidierte Arbeitsgesetz aktiv mit und sagte damit einer "ultraliberalen Wirtschaftspolitik" den Kampf an [46].
Die PdA prüfte die Lancierung einer Krankenkassen-Initiative, gemäss welcher die Krankenkassenprämien massiv reduziert und künftig entsprechend dem Einkommen berechnet werden sollen. Zur Finanzierung sollen neben Bund und Kantonen auch die Unternehmen herangezogen werden [47].
Ende August drohte die PdA der SP mit dem Austritt aus der sozialdemokratischen Fraktion der Bundesversammlung, falls die SP nicht klar Stellung nehme zur "antisozialen Offensive" der bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft. Insbesondere verlangte sie von der SP eine klare Kampfansage an die Senkung der Löhne des SBB-Personals, an die Privatisierung von PTT und SBB und an den Abbau der staatlichen Sozialleistungen [48].
Mit Josef Zisyadis zog im Kanton Waadt erstmals seit 1950 wieder ein Kommunist in eine kantonale Regierung ein. Damit konnte die PdA (oder Parti ouvrier populaire POP), die letztes Jahr auch in die Lausanner Stadtregierung eingezogen war, ihren Siegeszug in der welschen Schweiz fortsetzen [49].
 
Freiheits-Partei (FPS)
Nach dem letztjährigen schwachen Ergebnis bei den eidgenössischen Wahlen musste die Freiheits-Partei im Berichtsjahr auch auf kantonaler Ebene massive Sitzverluste hinnehmen. In St. Gallen büsste sie im Februar mit 9 fast die Hälfte ihrer bisherigen Mandate ein, wobei die verlorenen Sitze allesamt an die erstmals antretende SVP gingen. Parteipräsident Roland Borer kündigte deshalb an einer Delegiertenversammlung im Februar eine stärkere Abgrenzung zur SVP und eine Konzentration auf die traditionellen Parteithemen an. Es gelte klarzumachen, dass nicht die SVP, sondern die Freiheits-Partei die "einzige bürgerliche Oppositionspartei" im Lande sei. Weiter kündigte er Änderungen im politischen Stil an; man könne Opposition nicht mehr nur um der Opposition willen betreiben. Trotz dieser Umorientierung fuhr die FPS in Schaffhausen, Thurgau und Basel-Stadt weitere Sitzverluste ein [50].
Neben Wahlverlusten kam es bei der Freiheits-Partei zu medienträchtigen Parteiaustritten. Im Kanton Aargau liefen im April vier Grossräte der einstmals 19köpfigen FP-Fraktion im Grossen Rat zur FDP über, nachdem zuvor bereits ein FP-Grossrat zu den Schweizer Demokraten gewechselt hatte. Ende Mai wechselte der Aargauer Nationalrat Ulrich Giezendanner, der sich wiederholt vom rechtspopulistischen Stil der FPS distanziert und sich im eigenen Lager mit der Idee einer Fusion mit FDP oder SVP Feinde geschaffen hatte, nach längeren Verhandlungen mit der FDP überraschend zur SVP [51].
Heftige Reaktionen löste ein Inserat der Freiheitlichen für die SVP-Asylinitiative "Gegen die illegale Einwanderung" aus, das in Karikaturform einen Schweizer zeigt, der einen Menschen mit einem Tritt zum "Schweizer Haus" hinausbefördert. FDP, CVP, SP und kleinere Parteien verurteilten das Inserat als menschenverachtend [52].
Die Delegierten der FPS hiessen ein restriktives Drogenkonzept gut. Gemäss diesem sollen Abhängige von der Fürsorge nur noch unterstützt werden, wenn sie sich für eine abstinenzorientierte Therapie entschliessen. Entzugsunwillige seien zum Entzug zu zwingen. Abgelehnt wurden alle Massnahmen der Überlebenshilfe, die nicht unmittelbar dem Ziel der Abstinenz dienen, also etwa die Heroin- oder Methadonabgabe und Notschlafstellen. Weiter will die Partei schärfer gegen drogenkonsumierende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgehen; Urinkontrollen sollen im Verkehr, aber auch am Arbeitsplatz üblich werden [53].
Die FPS forderte die Aufhebung des Neat-Beschlusses, da diese unnötig und nicht finanzierbar sei. Stattdessen drängte sie auf einen sofortigen Bau eines zweiten Strassentunnels am Gotthard [54].
 
Lega dei Ticinesi
Nach Wahlverlusten bei den Tessiner Gemeindewahlen lancierte Parteipräsident Giuliano Bignasca einen parteiinternen Disput über die Regierungsbeteiligung der Lega. Den Lega-Vertreter in der Tessiner Regierung, Marco Borradori, forderte er auf, seinen Staatsratssitz zu verlassen, um die Lega wieder zur reinen Oppositionspartei zu machen. Borradori distanzierte sich jedoch von diesem Vorschlag [55].
 
Schweizer Demokraten (SD)
Zum wiedergewonnenen Fraktionsstatus der Schweizer Demokraten siehe oben, Parteiensystem.
Nach dem Ständerat erklärte auch der Nationalrat die 1992 eingereichte Volksinitiative der SD "Für eine vernünftige Asylpolitik" wegen Unvereinbarkeit mit zwingendem Völkerrecht für ungültig [56].
In St. Gallen verlor die SD anlässlich der kantonalen Parlamentswahlen ihren einzigen Sitz. Damit ist die Partei noc noch in fünf kantonalen Parlamenten (AG, BE, BL, BS und ZH) vertreten.
 
Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU)
Neben Gewerkschaften, SP, Grünen und EVP trug auch die EDU das Referendum gegen das revidierte Arbeitsgesetz mit und sprach sich gegen "grenzenlose Konsummöglichkeiten" und eine weitere "Sonntagsentheiligung" aus [57].
Wie die EVP sprach sich auch die EDU vehement gegen eine Zulassung der Abtreibungspille RU 486 aus und drohte mit Boykottmassnahmen gegen die Hersteller [58].
 
Andere Parteien und Gruppierungen
Einige christlichsoziale Gruppierungen beschlossen auf 1997 die Gründung einer von der CVP unabhängigen Nationalpartei, der Christlichsozialen Partei der Schweiz (CSP), um durch eine Bündelung der christlichsozialen Kräfte ein Gegengewicht zu einem Rechtsrutsch der CVP zu setzen. Die Initiantin der neuen Partei, die CSP Jura sowie die drei weiteren am Beschluss beteiligten CSP-Kantonalparteien (Luzern, Freiburg, Stadt Zürich) gehören schon heute nicht der CVP an [59].
In der Katholischen Volkspartei (KVP) kam es zu einem parteiinternen Zwist um Mitglieder mit sektiererischem Hintergrund. Mehreren Anhängern von Endzeit-Sekten und dem umstrittenen Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM), die in den Parteigremien Einsitz genommen hatten, wurde vorgeworfen, die Partei unterwandern zu wollen. Diese Mitglieder wurden zwar abgesetzt, trotzdem warf die Zürcher KVP der Mutterpartei weiterhin Nähe zum VPM vor und spaltete sich von ihr ab.
 
Weiterführende Literatur
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Allgemeines
Gentile, P., Les trajectoires de la droite radicale: 1984-1993, Genève 1996.
Halter, H. / Kneubühler, H.-U., Christliche Politik und soziale Verantwortung, Zürich 1996.
Ladner, A., "Die Schweizer Lokalparteien im Wandel. Aktuelle Entwicklungstendenzen gefährden die politische Stabilität", in Schweizerische Zeitschrift für Politische Wissenschaft, 2/1996, Nr. 1, S. 1 ff.
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Zu einzelnen Parteien
Lasserre, A., Sous l'oeil de Moscou: le parti communiste suisse et l'Internationale, 1931-1943, Zurich 1996.
Lezzi, O., Sozialdemokratie und Militärfrage in der Schweiz, Frauenfeld 1996.
Meier-Kern, P., Zwischen Isolation und Integration. Geschichte der Katholischen Volkspartei Basel-Stadt 1870-1914, Basel 1996.
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E.M.
 
[1] Vgl. auch die Serie "Haben die politischen Parteien sich selbst überlebt?", in BaZ, Jan./Feb. 96 sowie C. Longchamp, "Kleinparteien in der Krise: Nach dem Opponieren kommt das grosse Studieren", in Ww, 27.6.96.1
[2] Vgl. auch NLZ, 31.8.96.2
[3] SGT, 12.10.96; Ww, 17.10.96; Presse vom 17.12.96.3
[4] JdG, 1.3.96. Vgl. SPJ 1995, S. 341 f.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1536 ff.; JdG, 25.9.96.5
[6] Presse vom 10.12. und 13.12.96. Vgl. SPJ 1995, S. 350. Pini gab für seinen Wechsel finanzielle Probleme an. Auf Druck der Tessiner FDP hatte er in Biasca das Amt eines Sindaco abgeben müssen. Die neue Fraktion hat Anspruch auf rund 110 000 Fr. Bundesgelder, womit sie Pini als Sekretär einstellen konnte. Zu einer abgelehnten pa. Iv. Ruf (sd, BE), wonach fraktionslose Abordnungen künftig Mitgliederbeiträge erhalten sollen, siehe oben, Teil I, 1c (Parlament).6
[7] Lit. Ladner; NLZ, 24.7.96.7
[8] SoZ, 25.8.96 (Daguet); Presse vom 11.11. (Haering Binder) und 18.11.96 (Bodenmann).8
[9] SGT, 14.11.96. Vgl. dazu oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).9
[10] Presse vom 18.11.96. Vgl. SP-Positionspapier Zukunft und Finanzierung des Sozialstaats, Bern 1996. Die Initiativfreudigkeit der Parteispitze wurde von der SP-Basis und verschiedenen, an weiteren SP-Initiativen beteiligten Gruppierungen harsch kritisiert, da die Unterschriftensammlungen für zwei bereits lancierte Initiativen nur harzig liefen (Bund, 30.12.96). Vgl. dazu SPJ 1995, S. 343.10
[11] TA, 18.11.96.11
[12] SGT, 18.11.96. Zu Marti siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).12
[13] Presse vom 5.12. und 6.12.96; BZ, 11.12.96. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 2 (Europe: UE).13
[14] Presse vom 15.4.96. Tschopp ersetzte den verstorbenen Jurassier Pierre Etique.14
[15] Bund, 4.9. und 17.9.96; Presse vom 25.9.96. Zu Vizepräsidenten der FDP-Fraktion wurden Gerold Bührer und Adriano Cavadini (TI) ernannt.15
[16] NLZ, 22.1.96; BZ, 11.6.96; Presse vom 2.12.96. Zum Weissbuch siehe SPJ 1995, S. 106 f. Zum Arbeitsgesetz siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).16
[17] BZ, 28.3.96. Vgl. auch unten, FPS.17
[18] Presse vom 22.11.96.18
[19] Presse vom 24.8. und 11.11.96. Vgl. das CVP-Positionspapier Mit neuem Elan die Zukunft gestalten, Bern 1996. Zu den unabhängigen Christlichsozialen siehe unten, andere Parteien und Gruppierungen.19
[20] Presse vom 9.11.96.20
[21] Presse vom 9.8.96. Vgl. das CVP-Positionspapier Gentechnologie in ethischer Verantwortung, Bern 1996.21
[22] BaZ und NZZ, 15.3.96.22
[23] Statistisch zwei weitere Sitze verlor die CVP in Appenzell Innerrhoden, wo die Regierung von neun auf sieben Mitglieder verkleinert wurde.23
[24] Presse vom 11.1., 29.1. (Maurer) und 20.6.96 (Baltisser).24
[25] Presse vom 9.9.96; TA und BaZ, 19.11.96. Vgl. oben, Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente).25
[26] Presse vom 3.4.96; NZZ, 4.4.96; SoZ, 7.4.96.26
[27] Presse vom 9.9. und 2.12.96; NZZ, 12.11.96 (Inserat). Vgl. auch unten, FPS, und Teil I, 7d (Flüchtlinge). Zu den früheren Inseratekampagnen siehe SPJ 1995, S. 53 und 1994, S. 56.27
[28] Presse vom 2.12.96. Vgl. SPJ 1995, S. 346.28
[29] Presse vom 26.3.96. Vgl. SVP-Positionspapier Bundesfinanzen: Der Weg der SVP in die schwarzen Zahlen, Bern 1996. Siehe dazu auch oben, Teil I, 5 (Sanierungsmassnahmen).29
[30] Presse vom 22.4.96.30
[31] JdG, 11.2. und 24.6.96; NZZ, 12.2.96.31
[32] JdG, 9.9.96; Verhandl. B.vers., 1996, III, S. 109.32
[33] Presse vom 5.2.96.33
[34] Presse vom 23.5.96. Vgl. SPJ 1994, S. 327.34
[35] NLZ, 2.9.96.35
[36] Presse vom 6.5.96.36
[37] Presse vom 7.9.96. Vgl. dazu auch oben, Teil I, 7c (Berufliche Vorsorge).37
[38] NZZ, 2.9.96.38
[39] TA, 25.3.96; SoZ, 31.3.96; Presse vom 10.6.96.39
[40] SoZ, 25.8.96; NZZ, 30.8.96.40
[41] BaZ und NZZ, 8.11.96; Presse vom 25.11.96.41
[42] SGT, 13.4.96. Vgl. SPJ 1994, S. 326.42
[43] NZZ, 2.4.96 (LdU BS). Zu Polemiken und aufsehenerregenden Parteiaustritten u.a. des LdU-Kantonalpräsidenten kam es im Kanton Aargau, nachdem sich die Partei weigerte, Grossrat Bruno Nüsperli auszuschliessen, der u.a. ein Hitler-Zitat zur Bekämpfung einer Vorlage benutzt hatte. Ein Ausschluss Nüsperlis hätte für den LdU das Ende der Grossratsfraktion bedeutet. Der LdU SG beantragte der Landespartei, die Beziehung zur Kantonalpartei AG zu überprüfen (TA, 15.7.96; BZ, 17.7.96).43
[44] NZZ, 4.11.96.44
[45] Mediendienst der EVP, Bern 1996.45
[46] BZ, 15.4.96.46
[47] JdG, 12.7.96; Gauchebdo, 25.7.96.47
[48] NZZ, 27.8.96.48
[49] SGT, 7.5.96; Presse vom 10.6.96. Zur PdA siehe auch ein Interview mit der Co-Präsidentin der Genfer PdA, E. Deuber-Pauli, in WoZ, 6.9.96.49
[50] NZZ, SGT und TA, 12.2.96.50
[51] BaZ, 29.3.96; TA, 15.4.96; NZZ, 22.4. und 28.5.96.51
[52] TA, 27.11.96; NZZ, 28.11.96.52
[53] TA, 13.5.96.53
[54] NZZ, 19.8.96.54
[55] BZ, 23.8.96. Zur Lega siehe auch "Die gescheiterte Revolution", in Ww, 25.1.96.55
[56] Siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte).56
[57] NZZ, 28.10.96.57
[58] Pressedienst EDU Schweiz, Thun 1996.58
[59] Bund, NZZ und QJ, 4.11.96. Bereits 1976 wurde eine unabhängige Christlichsoziale Partei gegründet, allerdings erfolglos (vgl. SPJ 1976, S. 174 f.). Der einzige CSP-NR, Hugo Fasel (FR), mochte sich zur Parteigründung nicht festlegen und betonte, dass er an den Vorbereitungsarbeiten nicht teilgenommen habe (NZZ, 4.11.96).5
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