Année politique Suisse 1996 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
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Die Schweiz im 2. Weltkrieg
Am 19. September feierten die Schweiz und besonders die Stadt Zürich den 50. Jahrestag des Besuchs des damaligen britischen Premiers, Winston Churchill. Churchill hatte an diesem Tag seine später berühmt gewordene Zürcher Rede gehalten, in der er zu einer engen Kooperation unter den europäischen Staaten aufgerufen hatte. Der Anlass wurde in Zürich mit einer Reihe von Gedenkveranstaltungen und im Beisein zahlreicher politischer Prominenz begangen.
Gerade die britische Presse nahm die Gedenkveranstaltung, an welcher auch der britische Aussenminister Rifkind teilnahm, zum Anlass, die dunkleren Seiten der schweizerischen Geschichte während des Zweiten Weltkriegs aufzuzeigen. In einer oft polemischen antischweizerischen Kampagne wies sie auf die Kooperation der Schweizer Behörden und Unternehmen mit den nationalsozialistischen Herrschern in Deutschland hin. Ins gleiche Horn stiess der Vorsitzende des Bankenausschusses des amerikanischen Senats, Alfonse D'Amato, welcher sich als eifrigster Kritiker der Schweiz profilierte.
Der Bundesrat begegnete dem massiven aussenpolitischen Druck, indem er eine unter der Leitung des Diplomaten Thomas Borer stehende Arbeitsgruppe (task force) einsetzte. Im Parlament gab eine von Grendelmeier (ldu, ZH) im März 1995 eingereichte parlamentarische Initiative den Anstoss zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Der daraus hervorgegangene Bundesbeschluss über die umfassende Aufklärung der Rolle des schweizerischen Finanzplatzes vor, während und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wurde von beiden Räten für dringlich erklärt und einstimmig angenommen. Die mit dieser Untersuchung beauftragte und von François Bergier präsidierte internationale Historikerkommission wurde vom Bundesrat noch vor Jahresende eingesetzt.
Die in Gang gekommene Debatte diente einerseits zur Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit, wobei Linke und Grüne vornehmlich dazu aufforderten, die Diskussion dazu zu benutzen, lang gehegte historische Mythen hinsichtlich der Rolle der Schweiz im nationalsozialistischen Herrschaftssystem endlich zu überwinden, während die Rechte auf die damalige politische, militärische und wirtschaftliche Bedrohung durch das III. Reich verwies. Andererseits wurde - nicht nur von Sozialdemokraten - gefordert, aus der Vergangenheit Lehren für die Zukunft zu ziehen, sei es bei der Verwaltung von Geldern ausländischer Potentaten, wie der ehemaligen Präsidenten Mobutu oder Marcos, sei es durch eine stärkere Einbindung der Schweiz in europäische oder internationale Organisationen.
Für eine ausführliche Darstellung der Ereignisse und der bisher getroffenen politischen Massnahmen sowie zur Suche nach auf Schweizer Banken vermuteten Geldern von Opfern des Nazi-Regimes siehe unten, Teil I, 4b (Banken) [2].
 
[2] Siehe auch dort für alle Belege und Quellen.2