Année politique Suisse 1996 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
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Kundgebungen
Insgesamt kam es im Berichtsjahr zu 24 Grosskundgebungen mit 1000 und mehr Beteiligten (1995: 25). Davon fanden je fünf in Bern resp. Zürich statt, vier in Genf und drei in Lausanne. Deutlich abgenommen haben die von Ausländern durchgeführten grossen Manifestationen gegen die Zustände in ihren Heimatländern (4), welche im Vorjahr noch mehr als die Hälfte aller Grosskundgebungen ausgemacht hatten. Am aktivsten waren 1996 die Angestellten des Bundes und der Kantone, welche zwölfmal an grossen Protestveranstaltungen ihre Unzufriedenheit zeigten. Der Höhepunkt dieser Mobilisierungswelle fand am 26. Oktober in Bern statt, wo rund 35 000 Angestellte des öffentlichen Dienstes aus der ganzen Schweiz gegen Spar- und Abbaumassnahmen demonstrierten. Es handelte sich dabei um die grösste Kundgebung seit 1982 (Friedensdemonstration in Bern mit rund 50 000 Beteiligten). Auch bei den beiden nächstgrössten Manifestationen des Berichtsjahres standen Sparmassnahmen und Angst um den Arbeitsplatz im Vordergrund: an einer Bauerndemonstration in Bern nahmen 15 000 Personen teil, und an einem Protestmarsch gegen die Schliessung der Brauerei Cardinal in Freiburg zählte man 10 000 Unzufriedene [19].
Von den Grosskundgebungen waren nur die beiden Bauerndemonstrationen von Gewaltakten begleitet: 2500 Landwirte aus der Westschweiz hatten im September gegen die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Rinderseuche BSE angekündigten Massenschlachtungen protestiert, indem sie mit 1200 Traktoren die Autobahn A12 westlich von Freiburg für mehrere Stunden blockierten. Zu schweren Ausschreitungen kam es wenig später in Bern, als eine von rund 15 000 Personen besuchte nationale Kundgebung des Bauernverbandes von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen aufgelöst wurde, nachdem einige Hundert Manifestanten versucht hatten, die Absperrung um das Bundeshaus gewaltsam zu durchbrechen [20]. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen zumeist sehr jungen Demonstranten und der Polizei kam es auch mehrfach in Zürich. Dabei gerieten an der sogenannten Nachdemonstration zur 1. Mai-Veranstaltung der Gewerkschaften und der SP auch friedliche Kundgebungsteilnehmer zwischen die Fronten. Als Sprecherin der einige Hundert zählenden, und sich als Antirassisten und Antifaschisten bezeichnenden Manifestanten trat mehrmals eine Organisation "Revolutionärer Aufbau Zürich" in Erscheinung [21].
Wie bereits im Vorjahr beschränkte sich der Protest gegen die Zustände in der Türkei nicht auf friedliche Kundgebungen. Mit Brandanschlägen auf türkische Geschäfte sowie der Besetzung des türkischen Konsulats in Basel resp. der Parteibüros der schweizerischen SP in Bern und Zürich protestierten Türken gegen die Missachtung der Menschenrechte in ihrem Heimatland [22].
 
[19] In der folgenden Zusammenstellung sind die Kundgebungen der Gewerkschaften zum 1. Mai, welche in den Grossstädten jeweils einige Tausend Beteiligte aufweisen, nicht erfasst. Belege für die Demonstrationen mit 1000 und mehr Teilnehmenden (in Klammer Anzahl und Thema): Bern: Bund, 1.4. (8000/Kosovo-Albaner); Bund, 29.4. (8000/Tamilen gegen Ausschaffung); TA, 9.8. (7000/SBB-Angestellte gegen Lohnabbau); Presse vom 24.10. (15 000/Bauern); Presse vom 28.10. (35 000/Angestellte des öffentlichen Dienstes). Zürich: SGT, 30.1. (1000/Tamilen); TA, 6.5. (2000/gegen Polizeieinsatz bei 1. Mai-Demo); TA, 26.6. (2000/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen); TA, 29.11. (7000/Studierende und Mittelschüler gegen Sparmassnahmen); TA, 10.12. (1500/Staatsangestellte gegen Sparmassnahmen). Genf: NQ, 27.8. (8000/Tamilen); JdG, 4.10. und TA, 5.11. (7000 resp. 5000/Staatspersonal gegen Sparmassnahmen); 24 Heures, 6.12. (1500/Rentner gegen Rentenkürzung). Lausanne: 24 Heures, 4.3., 11.10. und 12.12. (2000, 2000 und 3000/Angestellte des öffentlichen Dienstes gegen Sparmassnahmen). Freiburg: Lib., 7.11. (10 000/gegen Schliessung der Brauerei Cardinal). Basel: TA, 29.1. (3000/Gewerkschafter Chemie). Matran (FR): BZ, 20.9. (2500/Landwirte). Schaffhausen: SN, 29.11. (1500/gegen Gewalt an Kindern). Lugano: SoZ, 12.5. (1500/für autonomes Jugendzentrum). Rheinfelden (AG): Lib., 2.12. (1500/gegen Schliessung der Brauerei Cardinal in Freiburg). Solothurn: SZ, 5.12. (1500/Lehrer gegen Sparmassnahmen). Vgl. SPJ 1995, S. 24.19
[20] Freiburg: BZ und Lib., 20.9.96. Bern: Presse vom 24.10.96. Vgl. auch unten, Teil I, 4c (Production animale).20
[21] NZZ, 15.4., 2.5., 3.5., 15.6. und 23.9.96; TA, 24.4., 2.5., 3.5. und 9.5.96. Zu den polizeilichen Einsätzen bei Demonstrationen seit 1965 in Schweizer Grossstädten wurde eine wissenschaftliche Untersuchung publiziert (Lit. Wisler).21
[22] TA, 10.1. und 27.7.96; NZZ, 25.7.96; BaZ und TW, 27.7.96. Vgl. SPJ 1995, S. 24.22