Année politique Suisse 1996 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
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Sexuelle Gewalt gegen Kinder
Nicht zuletzt die im Berichtsjahr in Belgien aufgedeckten Verbrechen an Kindern lenkten die Aufmerksamkeit auch in der Schweiz verstärkt auf dieses Thema. In Lausanne verurteilte das erstinstanzliche Strafgericht zum ersten Mal einen Schweizer für Unzucht mit Kindern, welche er als Tourist im Ausland (Sri Lanka und Haiti) begangen hatte [26].
Für Kinder, welche Opfer von Sexualdelikten werden, ist es oft schwer, die Täter anzuzeigen, namentlich wenn es sich dabei um ihre Eltern handelt. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, hatte der Ständerat 1994 gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Béguin (fdp, NE) überwiesen. Diese verlangt die Aufhebung der 1992 im Rahmen der Revision des Sexualstrafrechts eingeführten Reduktion der Verjährungszeit von zehn auf fünf Jahre für ohne Anwendung körperlicher Gewalt begangene Sexualdelikte mit Kindern. Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats übernahm diese Forderung der kleinen Kammer. Da dringender Handlungsbedarf bestehe, beschloss sie aber, nicht den Bundesrat mit einer Motion zu beauftragen, sondern die Gesetzesrevision mit einer parlamentarischen Initiative in eigener Regie durchzuführen. Das Plenum stellte sich ohne Gegenstimme hinter diesen Antrag. Der Ständerat hiess die damit beschlossene Verdoppelung der Verjährungsfrist ebenfalls oppositionslos gut. Da er aber noch eine Übergangsbestimmung aufnahm, konnte das Geschäft im Berichtsjahr noch nicht abgeschlossen werden [27]. Die Rechtskommission des Nationalrats hatte zudem mit einer Motion verlangt, dass die Verjährungsfrist für Sexualdelikte mit Kindern erst ab dem abgeschlossenen 18. Altersjahr des Opfers zu laufen beginnt. Der Nationalrat stimmte auch diesem Vorstoss mit deutlichem Mehr zu. Im Ständerat überwogen hingegen die auch vom Bundesrat geteilten rechtstheoretischen Bedenken. Er überwies deshalb diesen Vorstoss lediglich als Postulat [28].
Gegen den Antrag seiner Kommissionsmehrheit, welche es aus föderalistischen Gründen bei einem Postulat belassen wollte, überwies der Nationalrat auch eine parlamentarische Initiative Goll (frap, ZH) mit konkreten Massnahmen zur Verbesserung der Stellung von Opfern von Sexualdelikten im Strafermittlungsverfahren [29]. Bereits in der Sommersession hatte der Nationalrat eine Motion Goll als Postulat überwiesen, welche ebenfalls Probleme mit dem Vollzug des neuen Sexualstrafrechts monierte. Goll verlangte darin eine Abklärung darüber, ob nicht mit dem neuen Sexualstrafrecht der Schutz von Kindern gegen sexuelle Ausbeutung generell abgebaut worden sei [30].
Die besondere Verwerflichkeit der sogenannten Kinderpornographie verlangt nach einstimmiger Meinung des Nationalrats nach zusätzlichen strafrechtlichen Bestimmungen. Er überwies eine parlamentarische Initiative von Felten (sp, BS), welche zusätzlich zur Herstellung und zum Vertrieb auch den Besitz von Kinderpornographie unter Strafe stellen will [31].
 
[26] 24 Heures, 5.12.96; TA, 6.12.96. In den beiden Ländern war der Verurteilte nicht angeklagt worden.26
[27] BBl, 1996, IV, S. 1218 ff. und 1222 ff.; Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1772 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1177 ff. Vgl. SPJ 1994, S. 27.27
[28] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1776 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1180 f.; TA, 5.6.96. Eine erst ab dem 18. Altersjahr des Opfers einsetzende Verjährungsfrist könnte dazu führen, dass ein Sexualdelikt auch dann noch verfolgt würde, wenn ein gleichzeitig begangener Mord bereits verjährt wäre (vgl. dazu das Votum von Marty (fdp, TI) in Amtl. Bull. StR, 1996, S. 1180 f.).28
[29] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1773 ff. (Initiative) und 909 (Postulat). Aus der Initiative wurde die Forderung nach einer generellen Aufhebung der Verjährungsfrist für alle Sexualdelikte mit Kindern gestrichen.29
[30] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 907 ff.30
[31] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 909 ff. Zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet siehe unten, Teil I, 8c (Neue Kommunikationstechnologien).31