Année politique Suisse 1996 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
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Regierungsreform
Nachdem das von rechtsbürgerlichen Kreisen im Vorjahr lancierte Referendum gegen die "Regierungsreform 93" mit rund 70 000 Unterschriften zustande gekommen war, setzte der Bundesrat die Volksabstimmung auf den 9. Juni fest [8]. Die Kampagne vermochte keine grossen Emotionen zu entfachen; die Gegner thematisierten einzig die Frage der Staatssekretäre und deren Kosten. Auf Befürworterseite befanden sich zwar die drei grössten Parteien, aber ihre Zustimmung fiel eher gedämpft aus. So entschieden sich bei der FDP acht Kantonalsektionen für die Nein-Parole, und auch der Vorstand der SPS hatte sich nur mit 26:19 Stimmen - und gegen Parteipräsident Bodenmann - für eine Unterstützung entschieden. Einzig der Bundesrat setzte sich ernsthaft für die Reform ein. Die Gegner, bei denen der Gewerbeverband die Kampagne koordinierte, brauchten sich angesichts der Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit und der schwachen Gegenwehr der meisten Befürworter auch nicht übermässig zu engagieren [9].
Das Resultat fiel mit einem Nein-Stimmenanteil von rund 60% deutlich aus. Nur gerade in den Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt stimmte das Volk der Vorlage zu. Am wuchtigsten war die Ablehnung in den kleinen ländlichen Kantonen der Zentral- und Ostschweiz, aber auch die stark industrialisierten Mittellandkantone Aargau und Solothurn steuerten Nein-Anteile von über 70% bei. Die Vox-Analyse bestätigte, dass sich die Gegner vorwiegend an den Staatssekretären und dabei vor allem an den dadurch entstehenden Kosten gestört hatten [10].
Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz
Abstimmung vom 9. Juni 1996

Beteiligung: 31,3%
Ja: 544 630 (39,4%)
Nein: 837 990 (60,6%)

Parolen:
- Ja: FDP (8*), SP, CVP (3*), LP, EVP; SGB, CNG.
- Nein: SVP (1*), FP, SD, LdU (1*), EDU; Vorort, SGV.
- Stimmfreigabe: GP, PdA.

* Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Auch die Gegner der Vorlage hielten am Abstimmungssonntag fest, dass trotz dieses Ergebnisses ein Reformbedarf bestehe. Sie forderten den Bundesrat deshalb auf, ohne Verzögerung die im Abstimmungskampf nicht bestrittenen Teile des Projekts nochmals vorzulegen. Am Tag nach der Abstimmung reichten im Nationalrat Deiss (cvp, FR), Seiler (svp, BE), Steiner (fdp, SO) und Comby (fdp, VS) sowie im Ständerat Saudan (fdp, GE) und Reimann (svp, AG) entsprechende Motionen ein. Die beiden Kammern überwiesen die Vorstösse ihrer Mitglieder mit dem Einverständnis des Bundesrats in der Septembersession [11].
Bereits am 16. Oktober präsentierte der Bundesrat eine neue Botschaft für ein Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz. Dieses enthält die unbestrittenen Elemente der in der Volksabstimmung abgelehnten Vorlage und verzichtet auf die Schaffung von Staatssekretärstellen. Als Kernpunkte der Reform blieben demnach noch die teilweise Übertragung von Organisationskompetenzen vom Parlament auf den Bundesrat und die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung von neuen Methoden zur Verwaltungsführung (New Public Management, NPM) [12].
Der Ständerat liess ebenfalls keine Zeit verstreichen und befasste sich schon in der Wintersession mit dem neuen Vorschlag. Eintreten war unbestritten. Eine Differenz zur Regierungsvorlage ergab sich bei den Vorschriften über die Entscheidfindung im Bundesrat. Während der Bundesrat weiterhin Stimmenthaltung zulassen wollte, beschloss der Ständerat mit knappem Mehr, dass dies nur für Exekutivmitglieder erlaubt sein soll, welche sich an den Beratungen nicht beteiligt haben. Der Ständerat baute zudem ein parlamentarisches Mitspracheinstrument bei der Verwaltungsführung nach den Methoden des NPM ein. Er verpflichtete die Regierung, bei der Formulierung von Leistungsaufträgen für Verwaltungseinheiten die zuständigen Kommissionen der beiden Parlamentskammern zu konsultieren. Bundeskanzler Couchepin hatte sich dagegen vergeblich mit dem Argument gewehrt, dass im Sinne einer klaren Kompetenzausscheidung die Einflussnahme des Parlaments auf die Genehmigung der Globalbudgets (und damit implizit des Leistungsauftrags) im Rahmen der Budgetdebatte beschränkt bleiben sollte. Die kleine Kammer beauftragte zudem den Bundesrat, vier Jahre nach Inkraftsetzen des Gesetzes dem Parlament einen Evaluationsbericht zur Umsetzung der Methoden der neuen Verwaltungsführung vorzulegen [13].
Nationalrat Kühne (cvp, SG) reichte nach dem Volksentscheid vom 9. Juni eine Motion für eine anders ausgerichtete Entlastung des Bundesrats ein. Er forderte eine Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder auf neun oder elf und eine Stärkung der Stellung des Bundespräsidenten. Sein Vorstoss wurde ebenso als Postulat überwiesen wie eine Motion Grendelmeier (ldu, ZH), welche wünschte, dass der Bundesrat bereits im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung Vorschläge für eine Regierungsreform macht. Die Forderung nach einer Heraufsetzung der Bundesratszahl auf neun oder elf hat ebenfalls Nationalrat Dünki (evp, ZH) mit einer noch nicht behandelten parlamentarischen Initiative eingebracht. Auch die SVP hatte sich im Rahmen der Vernehmlassung zur Verfassungstotalrevision für eine Erhöhung der Sitzzahl des Bundesrats auf neun ausgesprochen [14].
Das Vernehmlassungsverfahren, wie in der Schweiz die in vielen Demokratien übliche vorparlamentarische Konsultation von Gliedstaaten, Parteien und Interessenorganisationen genannt wird, geriet einmal mehr unter Beschuss. Nationalrat Dünki (evp, ZH) reichte eine parlamentarische Initiative für die Abschaffung dieses Verfahrens ein [15].
 
[8] BBl, 1996, I, S. 522 f.; Presse vom 16.1.96. Vgl. SPJ 1995, S. 33 ff.8
[9] BaZ, 25.3.96 (SP); Ww, 17.4.96; TA, 30.4.96; 24 Heures, 31.5.96 (Ja-Parole der SVP-VD). Zur Kampagne siehe Presse vom Mai und Juni.9
[10] BBl, 1996, III, S. 919; Presse vom 10.6.96; S. Hug / L. Maquis / B. Wernli, Analyse der eidg. Abstimmungen vom 9. Juni 1996. VOX Nr. 59, Zürich und Genf 1996.10
[11] Presse vom 10.6.96. Motionen: Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1445 ff.; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 850 und 851. Deiss, Seiler und Reimann hatten sich gegen das Gesetz engagiert (24 Heures, 11.6.96).11
[12] BBl, 1996, V, S. 1 ff.; Presse vom 18.10.96.12
[13] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 931 ff. Zur Mitsprache des Parlaments bei NPM-Projekten siehe auch das Interview mit StR Rhinow (fdp, BL) in BaZ, 29.11.96. Drei der vier nationalrätlichen Motionen (Deiss, Steiner und Comby) konnten anschliessend als erledigt abgeschrieben werden (Amtl. Bull. StR, 1996, S. 947 f.).13
[14] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1448 ff. (Kühne) und 1450 f. (Grendelmeier); Verhandll. B.vers., 1996, III, Teil I, S. 28 (Dünki). SVP: AT, 29.2.96.14
[15] Verhandl. B.vers., 1996, III, Teil I, S. 28; SZ, 10.7.96; NZZ, 27.7. und 8.10.96; Ww, 8.8.96; BZ, 27.8.96. Vgl. auch SPJ 1987, S. 25.15