Année politique Suisse 1996 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Kommunalwahlen
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Bern
In der Stadt Bern versuchten die bürgerlichen Parteien FDP, SVP und CVP, die vor vier Jahren verlorene Mehrheit im siebenköpfigen Gemeinderat zurückzuholen. Sie traten mit einer Viererliste an, die neben den drei Bisherigen Theres Giger (fdp), Kurt Wasserfallen (fdp) und Ursula Begert (svp) den CVP-Kandidaten Adrian Guggisberg zur Wahl vorschlug. Das Rot-Grün-Mitte-Bündnis (RGM) bestehend aus SP, Grünes Bündnis, Junges Bern/Freie Liste, LdU und EVP beschränkte sich ebenfalls nicht auf eine Verteidigung ihrer vier Sitze, sondern trat mit einer Fünferliste an, die neben den drei Bisherigen Klaus Baumgartner (sp), Alfred Neukomm (sp) und Therese Frösch (gb) die neukandidierenden Claudia Omar (ldu) und Peter von Gunten (jb/fl) vorschlug; Joy Matter (jb/fl) stellte sich nach zwei Legislaturen nicht mehr zur Wiederwahl.
Das RGM-Bündnis konnte seine Regierungsmehrheit erfolgreich verteidigen. Es vermochte seinen Stimmenanteil in den nach Proporzregeln durchgeführten Wahlen von 48,9% auf 55,5% zu erhöhen und sicherte sich vier Vollmandate, nachdem der vierte RGM-Sitz vor vier Jahren noch ein Restmandat war. Die drei Bisherigen wurden wiedergewählt, und Finanzdirektorin Therese Frösch erreichte gar das beste Wahlergebnis, obwohl in den letzten vier Jahren nicht weniger als sechs ihrer Budgetvorlagen verworfen worden waren. Mit 75% der Stimmen wurde Baumgartner auch als Stadtpräsident bestätigt. Für Joy Matter zog neu Claudia Omar in die Stadtregierung ein, die Peter von Gunten klar zu distanzieren vermochte. Die bürgerliche Liste musste mit 37,6% (1992: 38,5%) einen leichten Wählerrückgang hinnehmen. Ursula Begert erzielte das beste bürgerliche Resultat, gefolgt von Kurt Wasserfallen, dessen Polizeieinsätze im Vorfeld der Wahlen nicht unumstritten gewesen waren, sowie überraschend dem Herausforderer der bisherigen RGM-Mehrheit, Adrian Guggisberg. Damit ist die CVP, die drei Jahre zuvor bei Ersatzwahlen ihren einzigen Sitz an die SVP verloren hatte, wieder im Berner Gemeinderat vertreten. Die Bisherige Theres Giger erzielte über 3000 Stimmen weniger als Guggisberg und wurde damit abgewählt. Die Abwahl Gigers löste in der Stadt Bern Betroffenheit über die Parteigrenzen hinweg aus und wurde insbesondere auf eine Artikelserie der "Sonntags-Zeitung" kurz vor den Wahlen zurückgeführt, in welcher die Planungs- und Baudirektorin im Zusammenhang mit angeblichen Missständen im Tierpark Dählhölzli heftig angegriffen wurde. Daneben wurde Giger aber auch von ihrer eigenen Partei nur unzureichend unterstützt. Mit den beiden Neugewählten Omar und Guggisberg hielten Vertreter von zwei Parteien in der Regierung Einzug, die in der Stadt Bern lediglich ein Randdasein fristen; LdU und CVP halten im Stadtparlament noch je zwei Mandate. Neu ist der Berner Gemeinderat mit vier Vertretern wieder mehrheitlich in Männerhand, nachdem in Bern seit 1993 erstmals in einem Kanton oder einer grösseren schweizerischen Stadt [35] die Frauen die Exekutivmehrheit gebildet hatten [36].
Die RGM-Parteien konnten im 80köpfigen Stadtrat ihre Mehrheit von 42 auf 46 Sitze ausbauen, wobei die Linkskräfte zulasten der Mitte zulegten: die SP erzielte fünf Sitzgewinne (28) und einen Wähleranteil von 32,8% (1992: 27,4%), während das Grüne Bündnis und die Junge Alternative je einen Sitz zulegen konnten. Die Gruppierung Junges Bern/Freie Liste, die Grüne Partei und die EVP büssten je ein Mandat ein. Auf bürgerlicher Seite konnten FDP und Jungfreisinn ihre 15 Sitze verteidigen, ebenso wie die SVP ihre acht, während die CVP eines ihrer bisher drei Mandate verlor. Insgesamt kam das bürgerliche Lager auf 30,5%, gut ein Prozentpunkt weniger als 1992. Einen erdrutschartigen Einbruch erlitt die Freiheits-Partei, die drei ihrer bisher fünf Mandate verlor, wobei ein Mandatsverlust dem FP-Spaltprodukt Bürger-Partei zuzuschreiben ist, das leer ausging. EDU (1), SD (4) sowie die Arbeitnehmer- und Rentnerpartei (2) konnten ihre Mandatsstärken verteidigen, der Wähleranteil der Rechtsparteien sank aber insgesamt von 17% auf 13,5%. Der Grosserfolg der Frauen von 1992 wiederholte sich nicht: ihr Anteil im Stadtparlament nahm von 42,5% auf 36,3% ab; 25 der neu 29 Frauen sind Vertreterinnen der rot-grünen Mehrheit [37].
 
[35] Diese Aussage bezieht sich auf die kantonalen sowie die vom SPJ berücksichtigten acht kommunalen Exekutiven. Anfangs 1997 bestanden in 2 Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern Frauenmehrheiten in der Exekutive: Pratteln (BL) und Münsingen (BE) (W. Seitz, Die Frauen in den Exekutiven der Schweizer Gemeinden 1997, Bern (BFS) 1997).35
[36] Wahlen vom 1.12.96: Presse vom 2.12. und 3.12.96. Zur Pressekampagne Giger: SoZ, 27.10.-24.11.96; BZ, 3.12. und 4.12.96.36
[37] Wahlen vom 1.12.96: Presse vom 2.12. und 3.12.96; Bund, 5.12.96. Zur ungewöhnlich hohen Fluktuationsrate im Berner Stadtparlament siehe die Studie Analyse der Rücktritte aus dem Berner Stadtrat, Bern 1995.37