Année politique Suisse 1996 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Voranschlag 1997
Angesichts der hohen Verschuldung des Bundes kündigte der neue EFD-Vorsteher Kaspar Villiger einen "Kurswechsel in der Finanzpolitik" an und beschloss für den Voranschlag 1997, die Ausgaben nominell auf dem Stand des Vorjahresbudgets einzufrieren. Aufgrund erster Eingaben der Departemente hätte das Budgetdefizit 1997 aber 7,5 Mia Fr. betragen, was einem Ausgabenanstieg von 3,6% entsprochen hätte. Die Departemente wurden deshalb beauftragt, Kürzungen von 1,6 Mia Fr. vorzunehmen, nach der Sommerpause blieb aber immer noch ein Kürzungsbedarf von 1,3 Mia Fr. übrig. Das EFD einigte sich deshalb auf ein zweiteiliges Konzept, das einerseits gezielte Sparmassnahmen vorsieht, von denen nur gerade die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur und die bundeseigenen Bauten ausgeklammert wurden. Andererseits schlug es die Einführung einer
vorsorglichen Kreditsperre vor, die bereits für das Budget 1997 greifen soll. Gemäss dieser werden bei sämtlichen Ausgabenrubriken maximal 2% des Kreditbetrages nicht zur Auszahlung freigegeben, wobei der Bundesrat in begründeten Ausnahmefällen die Möglichkeit hat, den gesperrten Beitrag bei einem verzögerten konjunkturellen Aufschwung teilweise oder ganz freizugeben. Das neuartige Instrument hat damit den Charakter eines Eventualhaushaltes. Von der Sperre ausgenommen bleiben einzig die Passivzinsen, die Kantonsanteile an den Bundeseinnahmen, die Beiträge an Sozialversicherungen und die Pflichtbeiträge an internationale Organisationen. Das Sparkonzept des Bundesrates wurde unterschiedlich aufgenommen. Während FDP und CVP die Vorschläge begrüssten, warf die SP dem Bundesrat "Sparhysterie" vor. Die SVP lehnte die Kreditsperre ab und forderte dafür höhere gezielte Einsparungen.
Ende September
verabschiedete der Bundesrat den Voranschlag 1997 zuhanden der eidgenössischen Räte. Das veranschlagte Defizit konnte auf 5,5 Mia Fr. reduziert werden und erreichte damit im wesentlichen das Ziel einer Ausgabeneinfrierung auf dem Vorjahresstand. Unterstellt wurde ein reales Wirtschaftswachstum von 1,5%, was EFD-Vorsteher Kaspar Villiger jedoch selbst als sehr optimistische Annahme bezeichnete. Erstmals sind im Budget die SBB-Darlehen als Ausgaben, die Gewinne der Pensionskasse des Bundes (PKB) aber nicht mehr unter den Einnahmen verbucht, womit dem Haushalt fast 2 Mia Fr. verloren gingen. Insgesamt stellte der Bundesrat gezielte Ausgabenkürzungen von 730 Mio Fr. vor, die in zwei Fällen bis auf Ende 2002 befristete
dringliche Bundesbeschlüsse erforderten. Der erste dringliche Sparbeschluss betraf den
AHV-Bereich und forderte den Verzicht auf den vorgesehenen Sonderbeitrag des Bundes für die Flexibilisierung des Rentenalters, was den Bundeshaushalt um jährlich 170 Mio Fr. entlastet. Auf einen wenige Wochen zuvor in der Öffentlichkeit gemachten Voschlag, den Bundesbeitrag an die AHV einzufrieren, verzichtete der Bundesrat, da die Verfassungsmässigkeit umstritten war. Auch im Bereich der
ALV buchstabierte er zurück und reduzierte zuvor erwogene Leistungskürzungen von 10% stark. Mit einem dringlichen Bundesbeschluss schlug er vor, Taggelder von unter 130 Fr. um 1% und jene von über 130 Fr. um 3% zu kürzen. Zusammen mit der Abschaffung der Schlechtwetterentschädigung sowie verschiedenen Einzelmassnahmen sollte dieser ALV-Sparvorschlag den Bundeshaushalt jährlich um 214 Mio Fr. entlasten. Weil die gezielten Kürzungen für ein Konstanthalten der Ausgaben auf dem Stand des Vorjahres nicht ausreichten, verlangte der Bundesrat mit einem dritten dringlichen Bundesbeschluss ausserdem grünes Licht für eine
Kreditsperre und legte diese für 1997 auf 2% fest, was Einsparungen von 530 Mio Fr. bringen soll
[27].
Die Finanzkommissionen beider Räte erteilten dem Budget 1997 des Bundesrates
gute Noten und begrüssten die drei dringlichen Sparbeschlüsse. Die Finanzkommission des Nationalrates nahm weitere Kürzungen von 250 Mio Fr. vor, gleichzeitig musste sie aber zusätzliche 485 Mio Fr. für die ALV einsetzen, da diese weit stärker beansprucht wurde, als dies der Bundesrat beim Erstellen des Budgets angenommen hatte. Die Finanzkommission des Ständerates schloss sich den Vorgaben der Nationalratskommission weitgehend an. Auch sie kam nicht darum herum, 450 Mio Fr. für die ALV nachzuschieben. Beim dringlichen Sparbeschluss zur ALV widersetzte sie sich jedoch der Streichung der Schlechtwetterentschädigung (-40 Mio) und wandte sich gegen weitere Abstriche beim Rüstungsmaterial. Mit zusätzlichen Kürzungen von 245 Mio Fr. auf anderen Positionen blieb sie nur leicht hinter den Mehrausgaben der Nationalratskommission zurück
[28].
Das Budget ging somit mit einem Defizit von 5,7 Mia Fr. in die Wintersession. Als Erstrat wurden vom
Nationalrat vier
Rückweisungsanträge mit verschärften Sparaufträgen klar abgelehnt. Eine SVP-Minderheit forderte die Rückweisung des Voranschlags mit dem Ziel, für 1997 rund 2 Mia Fr. mehr zu streichen und schon 1998 den Budgetausgleich zu erzwingen. Die Fraktion der Freiheits-Partei wollte die Schraube noch härter anziehen und auf einen Schlag 3 Mia Fr. streichen, während die LDU/EVP-Fraktion den Bundesrat dazu zwingen wollte, ein Defizit von höchstens 3,5 Mia Fr. vorzulegen, ohne die Reserve-Fonds von AHV/IV und ALV zu belasten. Die Schweizer Demokraten schliesslich legten einen Sanierungsplan bis 2000 vor und verlangten vergebens, das Defizit für 1997 auf höchstens 4 Mia Fr. zu begrenzen. Auch bei den drei
dringlichen Bundesbeschlüssen obsiegte die Bundesratskonzeption gegen
vehementen Widerstand vorab von der Linken: Mit 99 zu 63 Stimmen wurde dem befristeten Verzicht auf den Bundesbeitrag an die AHV und mit 88 zu 75 Stimmen den Einsparungen bei der ALV zugestimmt. Die Kreditsperre von 2% passierte mit 104 zu 61 Stimmen. Ein Antrag Blocher (svp, ZH), der die Arbeitslosenhilfe um 1 Mia Fr. kürzen wollte, hatte keine Chance. Auch ein links-grüner Vorstoss, der Direktzahlungen in der Landwirtschaft nach Massgabe der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Subventionsbezüger kürzen wollte, wurde mit 92 zu 64 Stimmen abgelehnt. Der Nationalrat folgte weitgehend seiner Finanzkommission und beschloss nur in vergleichsweise wenigen Bereichen Abweichungen. So hiess er mit 87 zu 62 Stimmen einen Antrag Scheurer (lp, NE) gut, der in Hinblick auf die Expo 2001 zusätzliche 47 Mio Fr. für den Nationalstrassenbau forderte. Vergeblich machte Bundesrat Villiger darauf aufmerksam, dass sich die Bauprojekte N1 und N5 auch aus Kreditresten finanzieren liessen. Weiter bewilligte der Rat 5 Mio Fr. für die Förderung erneuerbarer Energien und hiess die im Budget 1996 noch gestrichenen 5,1 Mio Fr. zur Entwicklung des Fahrleistungsmessers für die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe gut.
Unter heftigem Sperrfeuer stand in der Detailberatung der dringliche
Bundesbeschluss zur ALV: Mit 114:53 Stimmen hielt der Nationalrat an der Schlechtwetterentschädigung fest (-40 Mio) und federte die Taggeldkürzung sozial ab (-14 Mio), dafür strich er kurzerhand die Taggelder an die Jugendlichen bis 20 Jahre (+110 Mio), womit sich insgesamt ein zusätzlicher Spareffekt von 55 Mio Fr. ergab. Nach dreitägiger Debatte hiess der Nationalrat den Voranschlag 1997 mit einem Defizit von unverändert 5,7 Mia Fr. gut
[29].
Auch im
Ständerat hatten ein Antrag Weber (ldu, ZH) zur Rückweisung des Budgets und Nichteintretensanträge der SP zu den drei dringlichen Bundesbeschlüssen keine Chance. Die
grösste Differenz zum Nationalrat ergab sich bei der
ALV: Auch der Ständerat sprach sich für eine Weiterführung der Schlechtwetterentschädigung aus, er verwarf aber die Streichung der Taggelder für Arbeitslose unter 20 Jahren klar. Damit bringen die drei dringlichen Bundesbeschlüsse Einsparungen von 865 Mio Fr. Den vom Nationalrat bewilligten Mehrausgaben im Nationalstrassenbau und der Förderung erneuerbarer Energien sowie dem Fahrleistungsmesser stimmte die kleine Kammer zu und genehmigte schliesslich einen Voranschlag 1997 mit einem Defizit von gut 5,8 Mia Fr., also um 75 Mio Fr. höher als jenes des Nationalrats. In der Differenzbereinigung begrub der Nationalrat die Streichung der Taggelder für unter 20jährige stillschweigend
[30].
Am 11. Dezember verabschiedeten die eidgenössischen Räte den Voranschlag 1997. Dieser schliesst exklusive der Kreditsperre bei Ausgaben von 44,769 Mia Fr. und Einnahmen von 38,471 Mia Fr. mit einem Ausgabenüberschuss von 6,298 Mia Fr. ab.
Unter Berücksichtigung der Kreditsperre betragen die Ausgaben noch 44,239 Mia Fr. und der
Ausgabenüberschuss 5,768 Mia Fr. (1996: 4,05 Mia). Mit einem Wachstum um 0,6% oder 267 Mio Fr. (inkl. Kreditsperre) konnten die Ausgaben nahezu auf dem Niveau des Budgets 1996 plafoniert werden. Die Entwicklung der Ausgaben ist durch verschiedene Sonderfaktoren geprägt. Beim Verkehr werden bisherige Tresoreriedarlehen an die SBB erstmals in der Finanzrechnung erfasst (841 Mio), bei der Sozialen Wohlfahrt entfällt die Zahlungsspitze des Vorjahres im Bereich der Krankenversicherung (-1150 Mio) und bei der ALV werden wieder deutlich mehr Darlehen benötigt (+850 Mio). Unter Ausklammerung dieser Positionen hätte ein Ausgabenrückgang von 0,4% verzeichnet werden können. Die budgetierten Einnahmen nehmen im Vergleich zum Vorjahr um 3,6% oder 1,45 Mia Fr. ab. Dieser ausserordentliche Rückgang ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass auf den 1.1.1997 der Einnahmenüberschuss der PKB von rund einer Milliarde aus der Bundesrechnung ausgegliedert wird. Bei den Fiskaleinnahmen fallen die Veränderungen bei der MWSt (+900 Mio), der Verrechnungssteuer (-1050 Mio) und der Mineralölsteuer (-400 Mio) am stärksten ins Gewicht. Der Rückgang bei der Verrechnungssteuer hängt mit dem Veranlagungs- und Abrechnungsverfahren zusammen, das zu einnahmensschwachen ungeraden Jahren führt. Die
Erfolgsrechnung schliesst mit einem budgetierten Aufwandüberschuss von 7,286 Mia Fr. ab
[31].
Bund, Kantone und Gemeinden budgetierten für 1997 einen Ausgabenüberschuss von insgesamt 9,4 Mia Fr. (ca. 2,6% des BIP), womit sie mit einer Verschlechterung von rund 1 Mia Fr. gegenüber dem Vorjahr rechnen. Die heutige Finanzlage würde den Budgetkriterien der EU für den Beitritt zur Währungsunion (das Defizit aller Gebietskörperschaften inkl. Sozialversicherungen darf 3% des BIP, und die öffentliche Verschuldung 60% des BIP nicht überschreiten) weiterhin genügen. Die Verschuldungsquote wird 1997 rund 51% des BIP betragen. Seit 1990 verdoppelte sich die
Gesamtverschuldung aber beinahe und wird für Ende 1997 auf
188 Mia Fr. veranschlagt, was einer jährlichen Zunahme von 9,7% entspricht
[32].
[27]
BBl, 1996, IV, S. 1353 ff.;
Botschaft zum Voranschlag 1997, Bern, September 1996;
Lit. Pfammatter; Presse vom 29.8. und 23.10.96.27
[28]
Bund, 9.11. (FK-NR) und 16.11.96 (FK-StR).28
[29]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1982 ff., 2224 ff. und 2271 ff.; Presse vom 27.-29.11.96.29
[30]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 959 ff., 1142 ff. und 1193; Presse vom 3.12. und 4.12.96.30
[31]
BBl, 1997, I, S. 816 ff.; Presse vom 12.12.96;
Lit. Witschard. Im März 97 kam das Referendum gegen den dringlichen Bundesbeschluss zu den Kürzungen der ALV-Taggelder zustande (Presse vom 25.3.97).31
[32]
NZZ, 12.2.97;
Lit. Witschard.32
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