Année politique Suisse 1996 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Mietwesen
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Deregulierung
Wohnungsmieten dürfen künftig voll und nicht nur zu 80% dem Teuerungsindex angepasst werden. Eine entsprechende Verordnung über die Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen (VMWG) änderte der Bundesrat auf den 1. August. Damit wurde die Regelung für Wohnungsmieten an diejenige für Geschäftsräume angeglichen. Der Mieterverband kritisierte diese Neuerung als "unsoziales Geschenk an die Hauseigentümer". Eine weitere Lockerung des Mietrechts lehnte der Bundesrat vorerst ab: So verzichtete er nach heftigem Protest des Mieterverbandes darauf, Anpassungen des Mietzinses an die ortsüblichen Preise oder wegen ungenügender Rendite auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt zuzulassen. Der Schweizerische Hauseigentümerverband kritisierte, dass die "Mini-Revision" zu wenig weit gehe [15].
Als Zweitrat überwies im März mit 22:14 Stimmen auch der Ständerat eine Motion Baumberger (cvp, ZH), die den schrittweisen Übergang von der Kostenmiete zur Marktmiete fordert. Er folgte damit dem Nationalrat, der dem Vorstoss bereits 1994 zugestimmt hatte. Konkret verlangte der Motionär eine Überarbeitung all jener Vorschriften über die Mietzinse, die heute faktisch ein System der Kostenmiete bewirken würden, sowie jener Vorschriften, die die privaten Investoren vom Wohnungsbau abschrecken. Explizit hätte der Übergang zur Marktmiete auch im Bereich der Altwohnungen zu erfolgen. Eine Ratsmehrheit ging mit der antragstellenden Kommission einig, dass die 1990 eingeführte Regulierung des Mietrechts für gravierende Mängel auf dem Mietwohnungsmarkt verantwortlich sei und betonte, dass der Zeitpunkt für den Systemwechsel günstiger denn je sei. Vergeblich plädierten der Bundesrat und eine linke Ratsminderheit für die unverbindlichere Form des Postulats. Während die Linke vor höheren Mieten insbesondere auch für Altwohnungen warnte, gab Bundesrat Delamuraz zu bedenken, dass der Bund mit dem Übergang zur Marktmiete viel mehr Mittel für die soziale Abfederung aufwenden müsste als heute für die Wohnbauförderung. Die Rechtskommission des Nationalrats erhielt den Auftrag, abzuklären, ob für den Übergang zur Marktmiete eine Verfassungsänderung erforderlich ist.
Der Nationalrat überwies gegen den Willen des Bundesrates eine Motion Hegetschweiler (fdp, ZH), die den Kündigungsschutz für Mieter nach Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren relativieren will. Hegetschweiler fordert eine Änderung von Art. 271a OR, der Vorschriften enthält, welche eine Kündigung, die innerhalb einer dreijährigen Sperrfrist nach Abschluss eines mit dem Mietverhältnis zusammenhängenden Schlichtungs-oder Gerichtsverfahrens ausgesprochen wird, als missbräuchlich erklären. Diese Regelung habe in der Praxis dazu geführt, dass Mieter wegen Kleinigkeiten beim Vermieter oder den Schlichtungsbehörden vorstellig werden, um eine Vergleichslösung einzugehen und damit einen Kündigungsschutz auszulösen. Neu soll der Vermieter dem Mieter während der dreijährigen Kündigungssperre kündigen können, wenn er nachweist, dass er aus achtbaren Gründen handelt [17].
1994 hatte der Nationalrat gegen den Widerstand von SP und Grünen drei parlamentarischen Initiativen Folge gegeben, die auf eine Deregulierung im Mietwesen abzielen. Die zwei Initiativen Hegetschweiler (fdp, ZH) verlangen im Sinne einer Liberalisierung des Mietrechts eine Revision von 19 Artikeln des Obligationenrechts. Die Initiative Ducret (cvp, GE) will verhindern, dass Mietzinse, die durch kantonale Behörden aufgrund kantonalen Rechts festgelegt werden, vor dem Zivilrichter als missbräuchlich angefochten werden können. Die Kommission für Rechtsfragen, die beauftragt worden war, eine Vorlage auszuarbeiten, wartete noch die in der ersten Hälfte des Berichtsjahrs erfolgte ständerätliche Überweisung der Motion Baumberger zur Marktmiete und die Verordnungsänderung des Bundesrates zur VMWG ab, die für die Initiativen von Bedeutung sind. Im Anschluss daran setzte sie eine Subkommission ein, die Gesetzesentwürfe im Sinne der Initiativen ausarbeiten wird [18].
 
[15] Presse vom 27.6.96. Vgl. SPJ 1995, S. 198.15
[17] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1336 ff.17
[18] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2382 f. Vgl. SPJ 1994, S. 176.1