Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Arbeitsmarkt
Ende Dezember waren bei den Arbeitsämtern 192 171 Arbeitslose registriert, womit der bisherige
Rekordwert von 188 000 im Januar 1994 übertroffen wurde. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich damit auf
5,3%. Im Jahresdurchschnitt waren 168 630 Personen als arbeitslos registriert. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer Zunahme um 15 314 Personen oder 10,0%. Die
Arbeitslosenquote betrug im Mittel 4,7% gegenüber 4,2% 1995. Nachdem in den Sommermonaten des Vorjahres der Rückgang der Arbeitslosigkeit ins Stocken geraten war und die Arbeitslosenquote fünf Monate lang bei 4,0% stagnierte, stiegen die Arbeitslosenzahlen im Winterquartal 1995/96 saisonal und konjunkturell bedingt rasch an. Zwischen Februar und Juni bildete sich die Arbeitslosigkeit nur um rund 6000 Personen zurück, und der steigende Trend setzte sich bereits im Juli und verstärkt ab Oktober wieder fort
[9]. Bemerkenswert war auch, dass erstmals die Differenz zwischen Deutschschweiz und Romandie kleiner wurde: Die Westschweizer Kantone verharrten auf ihren hohen Arbeitslosenraten (6,7%), während die Arbeitslosigkeit in der deutschen Schweiz innert Jahresfrist von 3,3% auf 3,9% zunahm. Nach wie vor waren im Jahresdurchschnitt die
Frauen (5,1%) relativ häufiger als die Männer (4,4%), und die
Ausländer (9,3%) relativ stärker als die Schweizer (3,3%) von Erwerbslosigkeit betroffen. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg innert Jahresfrist von 3,9% auf 4,3%
[10].
Die Zahl der
Langzeitarbeitslosen, d.h. jener Personen, die seit mehr als einem Jahr nicht mehr im regulären Erwerbsleben integriert sind, nahm im Jahresdurchschnitt auf 44 046 zu (1995: 43 951). Damit stellen sie, wie bereits im Vorjahr, 28,7% des Totals der Arbeitslosen. Mit 29,3% des Totals der Erwerbslosen waren die Frauen erneut stärker von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen als die Männer mit 28,3%. Ein markanter Anstieg von 29,7% (1995) auf 32,1% war bei den Ausländern zu verzeichnen. Bei den Jugendlichen nahm hingegen die Langzeitarbeitslosigkeit von 14,3% auf 13,8% ab
[11].
Im Auftrag des Bundes klärte eine
Studie ab, ob die Kurzarbeitsregelung den vom Gesetzgeber anvisierten Zweck erfüllt. Ziel dieser Regelung ist es, im Sinn einer Überbrückungshilfe längerfristig konkurrenzfähige, aber durch einen konjunkturellen Nachfragerückgang temporär gefährdete Arbeitsplätze zu erhalten. Dabei wurden die Rezessionen 1981/1983 und 1991/1993 miteinander verglichen. Gemäss der Studie war der Anteil der Firmen, die in der jüngsten Rezession zeitweilig Kurzarbeit einführten (47%), wesentlich höher als in den frühen achtziger Jahren (17%), wo die Anpassung der Beschäftigung an die Nachfrage meistens über Entlassungen vorgenommen worden war. Die Autoren der Studie unterschieden zwischen den "
Abfederern", d.h. Firmen, welche die Kurzarbeit vorwiegend als eine Art Sozialplan bei strukturellen Umwandlungen einsetzen (59%), und den "
Arbeitshortern" - rund ein Drittel aller kurzarbeitender Betriebe - welche die Kurzarbeit im eigentlichen Sinn des Gesetzgebers einsetzen. Angesichts der längeren Dauer der Rezession in den neunziger Jahren, könne die mangelhafte Zielkonformität aber durchaus sinnvoll sein, da die Abfederung des Beschäftigungsabbaus bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich sei
[12].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Strahm (sp, BE), welches den Bundesrat beauftragte, die Möglichkeiten zur Förderung eines zweiten,
ergänzenden Arbeitsmarktes für dauerhaft arbeitslose und erwerbsbehinderte Personen zu prüfen und dabei insbesondere die bessere Koordination von Arbeitslosenversicherung, Sozialhilfe und Invalidenversicherung zu prüfen
[13].
Mehrere Motion von Mitgliedern des Nationalrates wollten den Bundesrat beauftragen, selber bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen aktiv zu werden. Comby (fdp, VS) schlug vor, dass die
Regiebetriebe des Bundes (SBB und PTT) rund 3000 Praktikantenstellen für Lehrabgänger schaffen sollten. Der Bundesrat fand diese Zahl bedeutend zu hoch, weshalb er mit Erfolg beantragte, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Gar nichts wissen wollte die Landesregierung von einem Vorstoss Fasel (csp, FR), der verlangte, dass aus den Mitteln des Bundesamtes für Sozialversicherung und des BIGA in Zusammenarbeit mit interessierten Kantonen und Fachorganisationen Pilotprojekte zur wirtschaftlichen und sozialen Integration von längerfristig erwerbslosen, grundsätzlich aber erwerbsfähigen Personen initiiert werden. Der Bundesrat begründete seinen Antrag auf Ablehnung der Motion mit dem Hinweis auf die arbeitsmarktlichen Massnahmen im Rahmen des revidierten AVIG, die direkt auf die berufliche Wiedereingliederung der Arbeitslosen ziele. Fasel seinerseits erklärte, ihm gehe es in erster Linie um die
Koordination der Leistungen von ALV und IV, welche nach heutigem Recht nacheinander zum Tragen kämen, währenddem ein verzahntes Vorgehen seiner Meinung nach sinnvoller sei. Das Plenum folgte seiner Argumentation und überwies die Motion mit 58 zu 45 Stimmen
[14]. Abgelehnt wurde hingegen - ebenfalls auf Antrag des Bundesrates - eine Motion Roth (sp, GE), welche anregte, in der allgemeinen
Bundesverwaltung solle ein Pilotversuch gestartet werden, bei dem Beamtinnen und Beamte während sechs Monaten einen Bildungsurlaub erhalten und dabei von Arbeitslosen ersetzt werden sollten. Der Bundesrat zeigte durchaus Verständnis für das Anliegen, äusserte aber seine Befürchtung, dass der Versuch zu grossen Schwierigkeiten im Vollzug führen würde, weshalb er den Rat bat, den Vorstoss nicht zu überweisen
[15].
Für erste Schritte der SP zur Lancierung von einer oder mehrerer Volksinitiativen zum Thema Arbeitslosigkeit siehe unten, Teil IIIa (SP). Zu nationalen Konjunkturförderungsprogrammen sowie zu kantonalen Initiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit siehe oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
Die Befürchtung, dass sich als Folge der hohen Erwerbslosigkeit in den letzten Jahren in der Schweiz eine
zunehmende
Sockelarbeitslosigkeit bildet, lässt sich statistisch nicht erhärten. Das ging aus einer Untersuchung des BFS über die Dynamik auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt hervor. Die Sockelarbeitslosigkeit in der Schweiz liegt zwischen 60 000 und 90 000 Personen. Diese Zahl umfasst jene Erwerbslosen, die auch in einer Phase des konjunkturellen Aufschwungs ohne Arbeit bleiben dürften. Für Personen, die bereits mehrmals arbeitslos waren, ist die Gefahr besonders gross, dass sie in Dauerarbeitslosigkeit absinken
[16].
Zum Zusammenschluss der grösseren Städte zu einer Städteinitiative "Ja zur sozialen Sicherung", welche ein Grundsatzpapier zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und ihrer Folge verabschiedete, siehe unten, Teil I, 7b (Sozialhilfe).
[9]
Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 2, S. 11*.9
[10]
Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 5, S. 22*.10
[11]
Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 5, S. 25*.11
[12]
Lit. Auswirkungen.12
[13]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2411.13
[14]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1380 ff.14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1553 ff.15
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