Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Organ- und Blutspenden
In der Differenzbereinigung beim dringlichen Bundesbeschluss über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten schloss sich der Nationalrat diskussionslos der Ansicht des Ständerates an, wonach es im jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll sei, die Entnahme von Organen zur Transplantation von der schriftlichen Zustimmung des Spenders abhängig zu machen. Diese Frage soll erst in einem eigentlichen Transplantationsgesetz angegangen werden. Damit konnte der auf zehn Jahre befristete Bundesbeschluss mit grossem Mehr verabschiedet werden. Er unterstellt bis zum Vorliegen eines eidgenössischen Heilmittelgesetzes die Kontrolle von Herstellung und Handel mit Blutprodukten und Transplantaten der alleinigen Kompetenz des BAG [22].
Das EDI nahm den während der Beratungen des Bundesbeschlusses mehrfach geäusserten Wunsch nach einer raschen Ausarbeitung eines Transplantationsgesetzes umgehend auf und gab Ende August als ersten Schritt einen entsprechenden Verfassungsartikel (Art. 24decies BV) in die Vernehmlassung. Dieser ermächtigt den Bund, über den Umgang mit menschlichen und tierischen Organen, Geweben und Zellen Vorschriften zu erlassen, wobei er für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Gesundheit sorgen muss. Er gewährleistet insbesondere eine gesamtschweizerische, unentgeltliche und gerechte Zuteilung von menschlichen Organen, Geweben und Zellen. Bis jetzt gelten in diesem sensiblen medizinisch-ethischen Bereich teilweise allgemeine Regeln und Grundsätze, teilweise kantonale Regelungen sowie private Richtlinien, beispielsweise jene der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMV) [23].
Über die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung des Umgangs mit Organen, Geweben und Zellen waren sich die Parteien, die Vereinigung der Schweizer Ärzte FMH und die SAMV einig und meinten, das unvollständige Regelwerk in 20 Kantonen sei nicht mehr zeitgemäss. In bezug auf den Umfang der künftigen Bundeskompetenz und in der Frage der Xenotransplantation (Organübertragung vom Tier auf den Menschen) gab es allerdings Differenzen. Die CVP plädierte ohne weitere Einschränkungen dafür, die Xenotransplantation in die Regelungskompetenz einzubeziehen. Die SP hingegen hielt ein Moratorium zumindest für Organe jener Tiere für angebracht, die zum Zweck der Organspende genetisch verändert worden sind. Die FMH betonte, dass die Regelung der Zuteilung keinesfalls auf menschliche Organe beschränkt werden dürfe; falls nämlich Xenotransplantationen einmal erlaubt würden, sei nicht auszuschliessen, dass es auf dem freien Markt zu ethisch unhaltbaren Situationen komme. Die SAMW schlug vor, den Artikel über die Verwendung der Organe, Gewebe und Zellen explizit auf den humanmedizinischen Bereich zu beschränken. Alle Parteien befürworteten die Konzentration der Eingriffe auf einige wenige Zentren, wobei die SP dem Bundesrat eine Koordinationsbefugnis zur Schaffung von Transplantationszentren in den öffentlichen Spitälern erteilen möchte [24].
Der Basler Appell gegen Gentechnologie verlangte ein sofortiges Moratorium für Xenotransplantationen. Die Übertragung tierischer Organe in den Menschen berge unabsehbare Gefahren für die ganze Menschheit in sich. Bevor gentechnisch veränderte Organe von Tieren - namentlich von Schweinen und Pavianen - in Menschen eingepflanzt werden, müssten erst die Risiken sorgfältig abgeklärt und auch ethische Fragen diskutiert werden [25]. Thematisiert wurde auch der problematische Umgang mit menschlicher Plazenta, welche seit Jahren ein begehrter Rohstoff der Kosmetik- und Heilmittelindustrie ist. Hier wurde insbesondere auf die Gefahr einer Ansteckung mit der dem Rinderwahnsinn (BSE) verwandten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit hingewiesen [26].
 
[22] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 174 f. und 634; Amtl. Bull. StR, 1996, S. 280; BBl, 1996, S. 1338 ff.; BZ, 27.2.96; SGT, 6.3.96. Vgl. SPJ 1995, S. 228 f. Mitte Jahr setzte der BR die entsprechende Verordnung in Kraft. Dabei gelten strenge Regeln für die Sorgfaltspflicht: Blutspenden wie auch Transplantate müssen auf Krankheiten überprüft und die Spenderdaten registriert werden. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wird den Homosexuellen die Blutspende nicht mehr ausdrücklich verwehrt; mit dem Hinweis auf eine noch in der Diskussion befindliche Empfehlung des Europarates, welche Personen mit "Risikoverhalten" zur Blutspende möglicherweise nicht mehr zulassen will, bleiben homosexuelle Männer beim SRK de facto aber weiter davon ausgeschlossen (Presse vom 9.4., 10.4., 17.6., 27.6. und 29.6.96). 22
[23] BBl, 1996, III, S. 920; Presse vom 23.8.96. Zur Praxis in den Kantonen siehe NQ, 1.3.96. Auch Genf gab sich - gegen den Widerstand der LP - ein neues Gesetz, welches auf die Widerspruchslösung setzt (24 Heures, 29.3.96). Vgl. SPJ 1994, S. 205.23
[24] NZZ, 9.12.96.24
[25] Presse vom 17.4.96; TW, 30.11.96. Eine Motion Goll (frap, ZH) übernahm die Forderung nach einem zehnjährigen Moratorium. Auf Antrag des BR wurde sie mit 109:58 Stimmen abgelehnt (Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1563 ff., 1591 ff. und 1605 ff.). Siehe auch die Ausführungen des BR zu einer Interpellation von Felten (sp, BS), a.a.O., S. 1894 f.25
[26] Bund, 9.4.96; NQ, 29.4.96. Auch das Zentrallabor des Schweizerischen Roten Kreuzes traf Massnahmen, um CJ-Ansteckungen über Blutprodukte möglichst auszuschliessen; Personen, in deren familiärem Umfeld eine CJ-Erkrankung vorgekommen ist, werden von der Blutspende ausgeschlossen (Bund, 8.5.96). Zum Rinderwahnsinn siehe oben, Teil I, 4c (Production animale).26