Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Fortpflanzungsmedizin
Im Juni leitete der Bundesrat dem Parlament den Entwurf für ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu, das sich als indirekten Gegenvorschlag zur hängigen Volksinitiative "für menschenwürdige Fortpflanzung" versteht, welche die Zeugung ausserhalb des Körpers der Frau und via Keimzellen Dritter verbieten will. Der Bundesrat empfiehlt diese Initiative zur Ablehnung, da sie unverhältnismässig sei und einem Alleingang der Schweiz in Europa gleichkäme.
In der stark umstrittenen Frage der Embryonenforschung schlägt der Bundesrat eine relativ harte Gangart an, indem pro Behandlungszyklus höchstens drei Embryonen entnommen und befruchtet werden dürfen; damit soll verhindert werden, dass überzählige Embryonen entstehen, welche der Forschung zugeführt werden könnten. Zudem wird die Konservierung von Embryonen untersagt. Dennoch will der Bundesrat die Embryonenforschung nicht gänzlich verbieten, da sie auch die Methode der Befruchtung im Reagenzglas weiter könnte verbessern helfen. Diese überaus heikle ethische Frage soll nach Meinung der Landesregierung in der Gesetzgebung zur Forschung geregelt werden; bis dahin gelten die Empfehlungen der Akademie der medizinischen Wissenschaften, die von Forschung an Embryonen abrät [27].
Definitiv nichts wissen will der Bundesrat von der Anwendung von Gentechnik bei Embryonen, weshalb auch die Präimplantationsdiagnostik verboten werden soll, da sonst die Grenzziehung zwischen erlaubter Prävention und unerwünschter Selektion kaum mehr möglich wäre. Wie bereits im Vorentwurf werden Eispende und Leihmutterschaft untersagt und die Fortpflanzungshilfe, welche als Ultima ratio verstanden wird, allein in den Dienst einer "natürlichen" Schwangerschaft gestellt. So kommen nur heterosexuelle Paare, die gemeinsam die Elternverantwortung übernehmen wollen, für diese medizinische Methode in Frage. Das Paar muss verheiratet sein, wenn es einen Samenspender beansprucht; bei künstlicher Befruchtung ohne Samenspende genügt das Konkubinat. Alleinstehende und lesbische Frauen sind von der Fortpflanzungshilfe ausgeschlossen, und das Alter der zu behandelnden Paare wird nach oben (Klimakterium) begrenzt [28].
 
[27] BA für Justiz, "Gutachten des Bundesamtes für Justiz zum verfassungsrechtlichen Schutz von Embryonen", in Verwaltungspraxis der Bundesbehörden, 1996, S. 575 ff.27
[28] BBl, 1996, III, S. 205 ff.; Presse vom 27.6.96; R. Gerber, "Bundesgesetzentwurf über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung", in Familienfragen, 1996, Nr. 2, S. 52 ff. Siehe SPJ 1995, S. 230. Vgl. auch die Stellungnahme des BR zur kürzlich verabschiedeten Konvention des Europarates über Menschenrechte und Biomedizin in Amt. Bull. NR, 1996, S. 1792 ff. sowie seine Ausführungen im Rahmen der Legislaturplanung 1995-1999 (BBl, 1996, II, S. 319).28