Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Ausländerpolitik
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Grundsatzfragen
Angesichts des geringen Konsenses, welchen der im Vorjahr vorgelegte Migrationsbericht des ehemaligen Flüchtlingsdelegierten Arbenz in der Vernehmlassung erzielt hatte, beschloss der Bundesrat, eine Expertenkommission einzusetzen, welche bis Mitte 1997 weitere Vorschläge für eine bessere Koordination der Asyl- und Ausländerpolitik erarbeiten soll. In ihren Stellungnahmen hatten die angefragten Kreise (Parteien, Wirtschaftsverbände, Hilfswerke und Kantone) der Analyse der Probleme generell zugestimmt, wie sie der Bericht dargelegt hatte (fehlende Kohärenz zwischen einzelnen Politikbereichen, ungenügende Koordination unter den beteiligten Ämtern und mangelhafter Einbezug der Öffentlichkeit), bei den zu treffenden Massnahmen klafften die Meinungen aber entlang den weltanschaulichen Bruchlinien weit auseinander. Divergierend waren vorab die Auffassungen zum Saisonnierstatut, zum Familiennachzug und zum Drei-Kreise-Modell. Auch über die Mittel zur Gestaltung der neuen Migrationspolitik waren sich die Vernehmlasser nicht einig. Nur wenige sprachen sich ausdrücklich für oder gegen die Schaffung eines umfassenden Migrationsgesetzes aus [1].
Abgeordnete der vier Bundesratsparteien schlossen sich zu einer Arbeitsgruppe "Migration" zusammen, um konstruktive Kompromisse in der Ausländerpolitik auszugestalten. Unter der Leitung von Nationalrat Engler (cvp, AI) gehörten der Gruppe zwei Ständerätinnen - Beerli (fdp, BE) und Simmen (cvp, SO) -, zwei Nationalrätinnen - Fankhauser (sp, BL) und Heberlein (fdp, ZH) - sowie drei Nationalräte - Fischer (svp, AG), Seiler (svp, BE) und Strahm (sp, BE) - an. Im Vordergrund ihrer Abklärungen standen die Themen Arbeitsmarkt und Beziehungen zum europäischen Umfeld, Saisonnierstatut, Asylwesen, Rückführung von Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, Assimilierung der Ausländer und Ausländerinnen sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung. Nachdem es im Frühjahr noch nach einem breiten Einvernehmen unter den Parteien ausgesehen hatte, wurde im Herbst klar, dass sich zwischen der SP und ihren bürgerlichen Diskussionspartnern ein tiefer Graben aufgetan hatte. Grundsätzlich war sich die Arbeitsgruppe einig, dass das Drei-Kreise-Modell fallengelassen und durch eine Nachbarschaftsregelung mit den EU- und Efta-Staaten abgelöst werden sollte. Uneinig waren sich die Parteien aber in der Frage, wie dieses grenzüberschreitende Regelwerk aussehen sollte. Die SP votierte für den EU-Beitritt und damit auch für die Personenfreizügigkeit, währenddem CVP und FDP den Weg der bilateralen Beziehungen gehen wollten und für ein Abkommen mit einer Schutzklausel plädierten; die SVP wollte an den Kontingenten festhalten. Auch in der Frage der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern aus Ex-Jugoslawien blieben die Differenzen unüberbrückbar [2].
Zu der unter anderem von der Arbeitsgruppe der Bundesratsparteien propagierten Rückkehrhilfe für unqualifizierte ausländische Arbeitnehmer lief im Kanton St. Gallen ein Pilotprojekt an. Erprobt wurde ein Modell, das sich in einer ersten Phase an 30 arbeitslose B- und C-Aufenthalter aus Restjugoslawien richtet. Begleitet von ebenfalls arbeitslosen Kaderleuten aus der Schweiz sollen die Betroffenen vorerst in ihrer Heimat während sechs Monaten gemeinnützige Hilfe leisten und sich dabei gleichzeitig um eine berufliche Existenz in ihrem Herkunftsgebiet bemühen. Haben sie keinen Erfolg, so können sie nach Ablauf des Projekts wieder in die Schweiz zurückkehren [3].
 
[1] NZZ, 27.1.96; AT, 12.2.96; Presse vom 11.6.96. Siehe SPJ 1995, S. 258. Die Kommission wird vom ehemaligen BIGA-Direktor Klaus Hug präsidiert (NZZ, 12.9.96). Siehe dazu auch A. Koller, "Auf dem Weg zu einer konsensfähigen Ausländer- und Asylpolitik", in Documenta, 1996, Nr. 3, S. 20 ff.1
[2] Presse vom 9.2., 24.5. und 10.10.96.2
[3] BaZ, 20.7.96.3