Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Flüchtlinge
Um die
Ausgestaltung des Revision des Asylgesetzes kam es in der zuständigen Kommission des Nationalrates zu einem
harten Ringen. Die Kommission entschied oftmals mit sehr knappem Stimmenverhältnis, und es wurden unzählige Minderheitsanträge deponiert. Vorderhand gutgeheissen wurde unter anderem die
neue Kategorie der Schutzbedürftigen. Darunter sollen gemäss der Kommission nicht nur sogenannte Gewaltflüchtlinge fallen, sondern auch Personen aus Ländern, in denen die Menschenrechte systematisch verletzt werden. Am Flüchtlingsbegriff änderte die Kommission nichts; die Liste der ernsthaften Gefährdungen wurde aber um den
Tatbestand der sexuellen Übergriffe ergänzt. Abgelehnt wurde der Antrag des Bundesrates, die Verantwortung für die Flüchtlinge von den Hilfswerken auf die Kantone zu übertragen. Einverstanden war die Kommission hingegen damit, die Fürsorgeleistungen künftig pauschal abzugelten
[32].
Da sich angesichts der heftigen Kontroversen in der Kommission die Totalrevision weiter verzögerte, beantragte der Bundesrat dem Parlament, die Geltungsdauer der bis Ende 1997 befristeten dringlichen Bundesbeschlüsse über das Asylverfahren und über Sparmassnahmen im Asylbereich noch einmal um maximal zwei Jahre zu verlängern
[33].
Im Anschluss an die Debatte über die Asylinitiativen behandelte der
Nationalrat eine ganze
Reihe von asylpolitischen Vorstössen, welche zum Teil bereits 1995 andiskutiert worden waren. Mehrere Vorstösse wurden zurückgezogen oder auch in der unverbindlicheren Form des Postulats abgelehnt. Als Postulat überwiesen wurde eine
Motion der SVP-Fraktion, welche anregt, bei der Revision der Asylgesetzgebung die vom Bundesgericht als gesetzeswidrig taxierte Abweisung von Flüchtlingen ohne Ausweispapiere ins Gesetz aufzunehmen. Ebenfalls in der Postulatsform verabschiedet wurden eine
Motion Bäumlin (sp, BE) zum besseren Schutz für unbegleitete minderjährige Asylbewerber, eine
Motion Baumberger (cvp, ZH) zur Entlastung des Bundesgerichts von Entscheiden im Ausländer- und Asylrecht sowie einzelne Punkte einer
Motion Stamm (fdp, AG) zur vermehrten Hilfe vor Ort. Trotz Widerstand von Steffen (sd, ZH) wurde ein
Postulat Bühlmann (gp, LU) überwiesen, welches anregt, den im Vorjahr vorgelegten Migrationsbericht um einen Zusatzbericht zu ergänzen, der sich ausschliesslich und vertieft mit dem Aspekt der Integration beschäftigt
[34].
[32] Presse vom 26.2., 1.6., 3.6. und 16.11.96. Siehe
SPJ 1995, S. 261 f. Vgl. auch E. Kaestli, "Wenn Frauen ihr Frausein zum Verhängnis wird", in
BaZ, 10.6.96 und Ch. Hausamman, "Die Berücksichtigung der besonderen Anliegen der Frauenflüchtlinge in der laufenden Asylgesetzrevision", in
ASYL, 1996, Nr. 2, S. 39 ff.32
[33]
BBl, 1997, I, S. 877 ff. Siehe
SPJ 1995, S. 262.33
[34]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 53 ff. (Stamm) und 334 ff. Zurückgezogen resp. abgelehnt wurden eine an die Motion der SVP-Fraktion angelehnte Motion Keller (sd, BL), eine Motion Bühlmann (gp, LU) zur Aufnahme von Frauenflüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, sowie eine Motion Zisyadis (pda, VD), welche erreichen wollte, dass gegen Beamte, die ihre Kompetenzen überschreiten, Schadenersatzklage erhoben werden kann. Zum Migrationsbericht siehe
SPJ 1995, S. 258. Zur Lage der minderjährigen Asylbewerber vgl. J. Schertenleib, "Der Vollzug der Wegweisung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden", in
ASYL, 1996, Nr. 1, S. 13 ff.;
BaZ, 21.3.96;
TA, 22.3.96.34
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