Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Frauen
Am 1. Juli des Berichtsjahres trat das neue
Gleichstellungsgesetz in Kraft. Sowohl das Eidg. Gleichstellungsbüro wie auch der Gewerkschaftsbund veröffentlichten aus diesem Anlass Publikationen, welche das Gesetz präzisieren resp. Anleitungen zur Bewertung von Arbeitsplätzen anbieten. Zu der von Arbeitgeberseite während der parlamentarischen Beratung des Gesetzes prognostizierten Flut von Lohngleichheitsklagen führte das neue Gesetz allerdings nicht
[53].
Anfangs Oktober fällte das Zürcher Verwaltungsgericht das
erste Urteil, das sich auf das neue Gesetz abstützt. Das Gericht entschied, dass der Kanton Zürich 16 Handarbeits- und zehn Hauswirtschaftslehrerinnen, die auf Lohndiskriminierung geklagt hatten, rückwirkend ab 1991 mehr Lohn zu bezahlen sowie künftig die beiden Berufsgruppen generell eine Lohnklasse höher (auf Stufe Primarschullehrkräfte) einzustufen habe. Bei diesem Prozess kam erstmals der Grundsatz der
Beweislastumkehr zum Zug, wonach Arbeitnehmende nur den Verdacht der Diskriminierung glaubhaft machen müssen, worauf es dann an der Arbeitgeberseite ist, diese Behauptung zu entkräften
[54].
Von der
Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt kann trotz Verbesserungen
nach wie vor keine Rede sein. Dies hielt das Bundesamt für Statistik (BFS) in einer am fünften Jahrestag des Frauenstreiks von 1992 veröffentlichten Bilanz fest. Dieser Tag war von den Gewerkschaften zum "Tag der Lohntransparenz" proklamiert worden (siehe oben, Teil I, 7a, Löhne). Das BFS ortete
markante geschlechtsspezifische Unterschiede im Erwerbsleben, in der Haushaltarbeit, aber auch in Bildung und Politik. Das Erwerbseinkommen der Frauen ist weiterhin tiefer als dasjenige der Männer. Mehr als die Hälfte der vollzeitlich erwerbstätigen Frauen verdienen jährlich weniger als 52 000 Fr. brutto. In dieser Kategorie befindet sich aber nur ein Fünftel der Männer. Bei den oberen Einkommenskategorien verhält es sich gerade umgekehrt. Fast ein Viertel der Männer verdient über 78 000 Fr. brutto im Jahr, jedoch nur 6,5% der Frauen. Während ein Drittel der Männer eine leitende Funktion ausübt, ist es bei den Frauen nur ein Sechstel. Die Erwerbslosigkeit belief sich 1995 bei Männern auf 2,8%, bei Frauen hingegen auf 3,9%. Die
Hausarbeit wird weiterhin
grösstenteils von Frauen verrichtet: 63% der befragten Frauen gaben an, allein dafür verantwortlich zu sein. Frauen investieren durchschnittlich 23 Stunden pro Woche in den Haushalt, Männer dagegen weniger als 10 Stunden. Die Beteiligung der Männer an der Hausarbeit hängt aber auch vom Bildungsgrad der Männer ab: je höher dieser ist, desto mehr sind sie bereit, ihren Beitrag an Kindererziehung und Hausarbeit zu leisten
[55].
Frauen verdienen
selbst bei gleicher Ausbildung und gleichem Lebens- und Dienstalter immer noch weniger als ihre männlichen Arbeitskollegen auf gleicher Funktionsstufe. Dies ergab eine Bestandesaufnahme der Gehälter von über 5000 Angestellten der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA). Die SKA führte diese Erhebung der Löhne bereits zum vierten Mal durch. In der aktuellen Untersuchung hatten sich die Lohnunterschiede zwar verringert, waren jedoch noch nicht vollständig ausgeräumt. Einen Grund sah die SKA in den individuellen Lohnverhandlungen, bei denen sich Männer aggressiver und fordernder verhalten als Frauen
[56].
Eine vom Gleichstellungsbüro der
Stadt Genf in Auftrag gegebene Studie bestätigte ebenfalls diese Zahlen. Demnach verdienen die Frauen in der Stadt Genf durchschnittlich 1032 Fr. weniger pro Monat als ihre männlichen Kollegen. Gemäss dem Autor der Untersuchung gehen
40% dieses Unterschiedes auf das Konto der
geschlechtsspezifischen Diskriminierung. Objektiver Hauptgrund für die Unterschiede ist aber nach wie vor die unterschiedliche Ausbildung. Das wirkt sich während der gesamten Berufskarriere auf die Lohnentwicklung aus: Bei den Männern führt jedes zusätzliche Berufsjahr zu einer Lohnerhöhung von 2,4%, bei den Frauen hingegen lediglich zu einer Zunahme von 1,9%. Frauen haben auch die geringeren Aufstiegschancen: Während 11% der Männer zum höheren Kader gehören, sind es bei den Frauen nur 2,8%. Aber selbst diese wenigen Frauen erhalten im Durchschnitt einen niedrigeren Lohn als die Männer in vergleichbarer Position
[57].
Als schweizerische Premiere erliess die Schuldirektion der
Stadt Bern Richtlinien zur
Anrechenbarkeit der Familienarbeit. Die mit externen Fachleuten ergänzte Arbeitsgruppe Frauenförderung erstellte einen Raster, der angibt, wie Erfahrungen in der Familien- und Betreuungsarbeit sowie in anderen ausserberuflichen Tätigkeiten in Dienstjahre umgerechnet und damit lohnwirksam werden können. Diese Richtlinien traten auf den 1. Februar des Berichtsjahres in Kraft und sollen zunächst in der Städtischen Schuldirektion erprobt und bei der Festsetzung der Anfangslöhne von Wiedereinsteigerinnen angewendet werden. Wenn sie sich bewähren, sollen sie später auf weitere Direktionen der Stadtverwaltung ausgedehnt werden
[58].
Frauen
wählen nach wie vor typische "Frauenberufe". Diese Tendenz stellte das Bundesamt für Statistik (BFS) in einer neuen Studie über die Berufswahl fest. Zwischen 1970 und 1990 stieg der Anteil der Frauen an der Gesamtheit der erwerbstätigen Personen zwar von 33,8 auf 38,0%, die Konzentration auf die fünf häufigsten Frauenberufsgruppen lag aber immer noch bei 57%. An erster Stelle standen die Büroberufe vor dem Beruf der Verkäuferin und jenem der Krankenschwester. Einzig in den akademischen Berufen gelang es den Frauen, verstärkt in Männderdomänen vorzudringen. Im Vergleich zu 1970 gab es 1990 mehr Ärztinnen (23% gegenüber 13,9%), Anwältinnen (14,1% / 3,7%) und Bundesbeamtinnen (12,9% / 5,7%)
[59].
Anhand der Daten der Volkszählung von 1990 untersuchte das BFS auch die
regionalen Unterschiede bezüglich der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Im Landesdurchschnitt gehören 14,9% der Männer, aber nur 5% der Frauen einer höheren sozioprofessionellen Kategorie an; bei den ungelernten Arbeitnehmern ist hingegen der Anteil der Frauen deutlich höher (24,4%) als bei den Männern (15,7%). In elf Regionen (Jura, Freiburg und einzelne Gebiete in den Voralpen) übersteigt der
Anteil der ungelernten Frauen die 36%-Grenze, bei den Männern hingegen in keiner einzigen Region
[60].
Ein Postulat Aeppli (sp, ZH), welches den Bundesrat bittet, den Räten einen Bericht über die gesamtgesellschaftlich geleistete
bezahlte und unbezahlte Arbeit und ihre Aufteilung zwischen Frauen und Männern vorzulegen und konkrete Massnahmen vorzuschlagen, die zu einer gerechteren Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit beitragen, wurde vom Nationalrat stillschweigend angenommen
[61].
Eine von der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten und dem VPOD in Auftrag gegebene
Studie zeigte, dass die
Sparpolitik von Bund, Kantonen und Gemeinden wesentlich zulasten der Frauen geht, die in Teilzeitstellen und ehrenamtliche Arbeit abgedrängt werden, und deren Anteil am gesamten Erwerbseinkommen in den letzten Jahren gesunken ist
[62].
Für weitere Aspekte der Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt, Löhne und Arbeitszeit).
[53]
Lit. Decoppet, Eidg. Büro und Freivogel;
F-Frauenfragen, 1996, Nr. 2, S. 74;
SHZ, 21.3.96;
SoZ, 7.4.96;
BüZ, 4.5.96; Presse vom 1.6., 8.6., 1.7. und 2.7.96;
NZZ, 7.6., 8.6. und 23.7.96;
SZ, 22.6.96 (Interview mit BR Dreifuss);
Bund, 27.6.96;
TA, 28.6.96. Gleichzeitig wurde das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann direkt dem Generalsekretariat des EDI unterstellt, wodurch es den Status eines eigenständigen Bundesamtes erhielt (
Bund, 30.3.96). Zur teilweise harzigen Umsetzung des neuen Gesetzes in den Kantonen siehe
BüZ, 20.8.96.53
[54] Presse vom 1.10. und 8.10.96;
NLZ, 10.10.96;
TA, 25.10.96. Das Urteil wurde vom Zürcher Regierungsrat an das Bundesgericht weitergezogen. Damit kann sehr rasch ein wegweisendes Urteil des höchsten Gerichtshofes erwartet werden (
F-Frauenfragen, 1997, 1, S. 66).54
[55]
Lit. Bundesamt. Gemäss der Lohnstrukturerhebung des BFS betrugen die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen 1994 immer noch 24% (
WoZ, 7.6.96).55
[56]
Bund, 17.1.96. Vgl. auch K. Oberholzer / R. Torre,
Bankfrauen in der Statistik, Zürich (Kaufmännischer Verein Zürich) 1996. Zur Notwendigkeit für Frauen, auf dem Arbeitsmarkt aggressiver aufzutreten siehe auch
TA, 13.6.96 und
BaZ, 28.9.96.56
[58]
TA, 3.2.96. Dass die öffentliche Verwaltung bei der Frauenförderung oftmals eine Pionierrolle einnimmt, zeigt sich auch in der Bundesverwaltung. Der Beschluss des BR von 1991, bei gleicher Qualifikation eine Frau vorzuziehen, falls diese im entsprechenden Amt untervertreten sind, wirkt sich aus. Der Frauenanteil stieg zwischen 1991 und 1996 von 17,4% auf 19,8%. Bei den Neuanstellungen betrug der Anteil der Frauen 1995 sogar 30,5% (
SGT, 19.11.96).58
[59]
Lit. Eidg. Volkszählung; Presse vom 13.2.96.59
[60]
Lit. Bundesamt. Resultate der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) ergaben, dass das Risiko, sich auf dem Arbeitsmarkt in einer benachteiligten Situation zu befinden, fast systematisch eng mit dem Geschlecht (weiblich), dem Bildungsstand (ohne nachobligatorische Bildung) und der beruflichen Stellung (keine Vorgesetztenfunktion) verbunden ist (
Sake-News, 1996, Nr. 5, hg. vom BFS).60
[61]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 1859 f. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR zu einer Interpellation Roth (sp, GE) in
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 2418 f.61
[62]
Lit. Bauer / Baumann. Eine Studie der ökumenischen Frauenbewegung Zürich wies nach, dass die Frauen die ersten Opfer der Deregulierung in der Wirtschaft sind; insbesondere die Arbeit auf Abruf - oft ohne Anspruch auf Arbeitszuteilung - hat in den letzten Jahren markant zugenommen (I. Meier,
Entfesselter Markt und schlanke Betriebe, Zürich 1996; Presse vom 30.4.96).62
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