Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
Auf die zum Teil sehr aggressiv vorgebrachten Beschuldigungen und Forderungen von Repräsentanten internationaler jüdischer Organisationen reagierten einige Personen mit anonymen Schmähbriefen und Drohungen an schweizerische jüdische Organisationen und Persönlichkeiten sowie mit verbal oder in Leserbriefen geäusserten
antisemitischen Stereotypen. Von der SP-Fraktion und von Nationalrat Suter (fdp, BE) mit Interpellationen zu einer Stellungnahme aufgefordert, verurteilte der Bundesrat derartige Aktivitäten und Pauschalurteile und betonte, dass er sich dafür einsetze, Rassismus, Antisemitismus und andere diskriminierende Haltungen gegen Minderheiten an der Wurzel zu bekämpfen
[9]. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus lancierte im Sommer eine breite Inserat- und Plakataktion gegen rassistische und antisemitische Vorurteile und Diskriminierungen
[10].
Unter dem Eindruck der teilweise gehässigen Diskussion über den Zweiten Weltkrieg standen auch drei vom Nationalrat als Postulate überwiesene Vorstösse. Bühlmann (gp, LU) verlangte mit zwei Motionen die Einrichtung eines Lehrstuhls für die
Erforschung von Antisemitismus und Rassismus an der ETH resp. mehr Bundesgelder für die an der ETH angesiedelte Stiftung Jüdische Zeitgeschichte. Hochreutener (cvp, BE) lud den Bundesrat ein, ein Museum oder eine Gedenkstätte gegen das Vergessen des Holocaust und anderer schrecklicher Menschenrechtsverletzungen zu errichten. In seiner Antwort auf eine Interpellation Ruffy (sp, VD) führte der Bundesrat aus, dass der Bund bereits jetzt verschiedene Projekte unterstütze, welche schriftliche und audiovisuelle Dokumente über den Holocaust und die Politik der Schweiz während dieser Zeit zusammenstellen und einer breiten Öffentlichkeit bekanntmachen; ob aber eine spezielle Gedenkstätte errichtet werden soll, müsse später abgeklärt werden
[11].
In der letzten Augustwoche fanden in Basel Feierlichkeiten zum Gedenken des
Zionistenkongresses statt, der vor 100 Jahren in dieser Stadt stattgefunden hatte, und der als Geburtsstunde für die 1948 erfolgte Gründung des Staates Israel gilt. Unter grossen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Repräsentanten Israels trafen sich mehr als tausend Teilnehmer aus aller Welt zu Kongressen, Gedenkfeiern und anderen Anlässen. Die Schweiz war durch Bundesrätin Dreifuss und Nationalratspräsidentin Stamm (cvp, LU) vertreten; offizieller Vertreter Israels war der Präsident der Knesset, Dan Tichon. Zu den im Vorfeld befürchteten Demonstrationen von palästinenserfreundlichen Kreisen gegen den israelischen Staat kam es nicht
[12].
[9]
NZZ, 13.1.97 (Analyse von Leserbriefen); Presse vom 15.1.97;
Bund, 21.1.97;
Sonntagsblick, 12.1.97 (Schmähbriefe);
AZ, 15.2.97;
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 338 ff. (SP) und 342 (Suter).9
[10] Presse vom 10.7.97. Siehe auch unten, Teil I, 1b (Grundrechte).10
[11]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1477 f. resp. 2005 f. (Bühlmann), 1494 f. (Hochreutener) und 2286 (Ruffy). Zur Diskussion der historischen Antisemitismusforschung in der Schweiz siehe
TA, 27.6.97.11
[12] Presse (v.a.
BaZ) vom 23.8.-2.9.97.12
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