Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
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Image der Schweiz im Ausland
In einigen englischen und amerikanischen Medien wurden regelrechte Diffamierungskampagnen gegen die Schweiz geführt. In Texten sowie in Film- und Fotomontagen wurde die damalige Schweiz als antisemitischer und geldgieriger Staat qualifiziert, der eng mit den deutschen Nazis verbündet gewesen sei. So etwa in der grössten englischen Sonntagszeitung, der "Sunday Times". Auch in der renommierten "New York Times" wurden mehrmals Unterstellungen und Gerüchte als Tatsachen kolportiert und Fakten zumindest polemisch verzerrt dargestellt. In einem Leitartikel schlug dieses Blatt vor, dass die US-Regierung einen Teil der schweizerischen Guthaben in den USA einfrieren solle, falls die Schweiz nicht bereit sei, substantielle Wiedergutmachungszahlungen zu leisten [26].
Die englische Fernsehgesellschaft BBC produzierte einen sogenannten Dokumentarfilm, der in einer Vielzahl von Ländern ausgestrahlt wurde. Er erregte nicht nur durch eine sehr tendenziöse Interpretation der schweizerischen Geschichte Aufsehen, sondern liess mit Filmschnitten, welche beispielsweise unkommentiert Naziaufmärsche in als solchen nicht erkennbaren deutschen Städten mit typischen Schweizer Landschaftsbildern mischten, den Eindruck entstehen, die Schweiz habe nicht nur eng mit Deutschland kooperiert, sondern sei auch ein von Hitler begeistertes Land gewesen [27]. Als besonders perfid wurde die Behauptung empfunden, dass in den Transitzügen durch die Schweiz nicht nur Kriegsverletzte und italienische Arbeitsverpflichtete (Zwangsarbeiter) nach Deutschland transportiert worden seien, sondern auch Juden auf ihrem Weg in die Konzentrationslager. Diese Behauptung stützte sich bloss auf eine anonyme Zeugenaussage und wurde in der Folge sowohl von schweizerischen als auch von ausländischen Forschern als nachweislich falsch bezeichnet. Der schweizerische Botschafter in London protestierte bei der BBC vergeblich gegen diese Produktion; der Fernsehsender verteidigte sie als gut begründet und fair [28].
Grosse Verkaufszahlen im In- und Ausland konnte ein vom Genfer Nationalrat Ziegler (sp) unter dem Titel "Die Schweiz, das Gold und die Toten" veröffentlichtes Buch erzielen. Die Hauptthese in seiner von Historikern und auch linken Journalisten unisono als fehlerhaft und wissenschaftlich wertlos bezeichneten Kampfschrift ("essai d'intervention" gemäss Ziegler) lautete, dass Hitler seinen Angriffskrieg ohne die finanzielle Unterstützung der Schweizer Banken gar nicht hätte führen können [29].
Wesentlich gemässigter und ausgewogener, aber in der Tendenz trotzdem ähnlich lautete das Urteil von US-Unterstaatssekretär Eizenstat in seinem Vorwort zu einem von Historikern der US-Verwaltung erstellten Bericht über die Finanzpolitik der neutralen Staaten während des 2. Weltkriegs. Die Schweiz habe sich durch ihr Verhalten nicht nur der Hehlerei schuldig gemacht und bereichert, sondern auch dazu beigetragen, diesen Krieg zu verlängern. Eizenstat lobte allerdings auch die Schweiz der Gegenwart für ihre Anstrengungen zur Aufklärung ihrer Geschichte und zur Entschädigung von Opfern. Diesem Lob schloss sich einige Tage nach der Publikation des Berichts auch US-Präsident Clinton an. Der wissenschaftliche Teil des Berichtes wurde in der Schweiz als weitgehend korrekt und fair beurteilt, auch wenn er einige nicht belegte Behauptungen enthielt (so etwa die Aussage, die Deutschen hätten schliesslich ("eventually"), d.h. nach den Bombardierungen, einige Waffenfabriken in die Schweiz verlegt). Er bestätigte namentlich die bereits bekannten Tatsachen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit und insbesondere über den Goldhandel der Nationalbank. Auch in bezug auf den Umfang dieser Finanzgeschäfte stimmten die aus amerikanischen Akten gewonnenen Erkenntnisse mit den früher gemachten Angaben der Nationalbank überein. Neu war hingegen die Feststellung, dass sich unter dem von der Nationalbank von Deutschland gekauften Gold nicht nur sogenanntes Raubgold aus den Nationalbanken von besetzten Ländern befunden hatte, sondern auch in Barren umgeschmolzenes Gold, das den Opfern des Holocaust geraubt worden war. Obwohl es sich um relativ geringe Mengen gehandelt hatte und derartiges Gold auch in andere neutrale Länder und nach dem Krieg auch in einen Goldfonds der Alliierten gelangt war, wurde diese Erkenntnis als schockierend empfunden [30]. In einer Erklärung zu diesem Bericht anerkannte der Bundesrat dessen Qualität, er wies aber die Anschuldigung, die Schweiz habe den Nazis als Bankier gedient, als "einseitiges Pauschalurteil" zurück. Die amerikanische Botschafterin in der Schweiz, Madeleine Kunin, stellte sich hingegen im Namen ihrer Regierung ohne Vorbehalte hinter den Bericht und sein Vorwort [31].
Angesichts der oft sehr polemischen und verallgemeinernden Kritiken sah sich die offizielle Schweiz veranlasst, im Ausland die von staatlicher Seite und von den Banken unternommenen Anstrengungen zur Aufklärung der historischen Ereignisse, zur Auffindung von Berechtigten für namenlose Konten und zur Unterstützung von Holocaustopfern darzustellen. Besonders aktiv war in dieser Beziehung neben den Bundesräten (siehe dazu unten, Teil I, 2, Relations bilatérales) natürlich Task-Force-Leiter Thomas Borer. Der seit Mitte Mai neu amtierende Botschafter der Schweiz in den USA, Alfred Defago, unternahm im Herbst eine Vortragstournee durch die Hauptstädte einer Vielzahl von Bundesstaaten. Zusätzlich zu diesen diplomatischen Aktivitäten nahm das EDA auch die Dienste von zwei amerikanischen PR-Firmen in Anspruch. Erwartet wird von diesen neben der allgemeinen Imagepflege vor allem, dass sie Auftritte von Schweizer Repräsentanten in den USA vorbereiten und diese mit den dort herrschenden Kommunikationsgepflogenheiten vertraut machen [32].
Für eine ausführliche Darstellung der den Finanzplatz betreffenden Aspekte siehe unten, Teil I, 4b (Banken) [33].
 
[26] BaZ, 13.1.97 (Sunday Times); NZZ, 17.6.97. Vgl. zur Kampagne der New York Times SGT, 22.11.97. Vgl. auch Time Magazine, 24.2.97.26
[27] Vgl. dazu die Kritik von Filmemachern in BaZ, 11.7. (Richard Dindo) und 19.7.97.27
[28] TA, 19.6. und 1.7.97 (Botschafter); Presse vom 3.7. und 4.7.97; NZZ, 20.9.97 (Rechtfertigung der BBC). Die angeblichen Transporte von Juden wurden später von Vertretern jüdischer Organisationen unter Berufung auf den Film der BBC als weiteres Beweisstück für das verwerfliche Handeln der Schweiz ins Feld geführt (so Edgar Bronfman vor einem Ausschuss der israelischen Knesset: NLZ, 26.11.97). Innenpolitisch brisant an diesem Film war zudem, dass es sich um eine Ko-Produktion mit dem Schweizer Fernsehen DRS handelte, von welcher dieses sich allerdings später distanzierte (TA, 2.7.97; NZZ, 7.7.97).28
[29] Lit. Ziegler. Zur Kritik siehe u.a. WoZ, 21.3.97; NZZ, 26.3. (Th. Maissen; Replik Zieglers in NZZ, 9.4.97) und 7.6.97 (W. Hofer); AZ, 4.4.97; SGT, 5.4.97 (G. Kreis); JdG, 6.4.97; Bund, 10.4.97; Presse vom 7.8.97 sowie Lit. Auer.29
[30] Presse vom 9.5. und 10.5.97; TA, 15.5.97 (deutsche Übersetzung des Vorworts); NZZ, 16.5. und 31.5.97 (Clinton). Vgl. auch die wissenschaftliche Kritik von G. Kreis und Th. Maissen in NZZ, 17.5. resp. 31.5.97.30
[31] F. Cotti, "Erklärung des Bundesrates zum Eizenstat-Bericht", in Documenta, 1997, Nr. 2, S. 2 ff.; Presse vom 23.5.97; AZ, 3.7.97 (Kumin).31
[32] Ww, 20.3.97; SZ, 17.5.97; Bund, 10.6.97. Borer: Presse vom 16.5. und 30.5.97; JdG, 29.5.97; NLZ, 26.11.97. Defago: AZ und BüZ, 28.8.97; NZZ, 2.9.97. Vgl. zum Image der Schweiz in den USA auch NZZ, 23.6.97. Siehe ferner den Bericht der Aussenpolitischen Kommission des NR zur "Förderung des Images der Schweiz" in BBl, 1998, S. 2760 ff. sowie F. Cotti, "Ein Kleinstaat im Herzen Europas stellt sich seiner Vergangenheit", in Documenta, 1997, Nr. 1, S. 16 ff. (Rede in New York vom 13.3.97).32
[33] Siehe auch dort für weitere Belege, Quellen und Publikationen.33