Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
Gemäss den Interpretationen der Verfasser einer repräsentativen Befragung haben sich die Diskussionen um die Politik der Schweiz im 2. Weltkrieg auch auf das
Geschichtsbild der Schweizer und Schweizerinnen ausgewirkt. Die von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse der ETH Zürich erstellte Studie ergab, dass 43% der Ansicht sind, dass die Schweiz primär wegen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland und seinen Verbündeten vom Krieg verschont geblieben ist; 24% glauben, dass dies vor allem eine Folge der militärischen Abwehrbereitschaft war und 18% betrachten beide Faktoren als gleichwertig. Dabei zeigten sich einige Unterschiede unter den Generationen. Während bei der sogenannten Aktivdienstgeneration (d.h. den mindestens 60jährigen) die Meinung dominierte, dass beide Faktoren zusammen verantwortlich waren (36%), war es bei den jüngeren Befragten die Ansicht, dass es primär die Wirtschaftspolitik war (47% bei den 30-59jährigen resp. 50% bei den 20-30jährigen). Die Landesverteidigung wurde von der Aktivdienstgeneration hingegen nicht wesentlich häufiger als primäre Ursache angegeben als von den jüngeren Altersgruppen (22% gegenüber 18% resp 14%). Im Vergleich zu 1983, als diese Frage zum ersten Mal gestellt wurde, nahm der Anteil derjenigen, welche in der Landesverteidigung den primären oder zumindest mit der Wirtschaftspolitik gleichwertigen Faktor für die Kriegsverschonung sehen, von 61% auf 42% ab. Dass allerdings bereits 1983 lediglich 24% der Befragten vorbehaltlos der Aussage zustimmten, dass die Schweiz vor allem wegen der Landesverteidigung vom Krieg verschont blieb, stellt auch gewisse Vorstellungen über die Bedeutung von schweizerischen Mythen in Frage. Ob und wie sich die Diskussion der schweizerischen Geschichte auf die Einstellung zur heutigen Aussenpolitik auswirkt, kann die Studie nicht eindeutig beantworten. Mit einer Zustimmung von rund 80% geniesst die
Maxime der Neutralität jedenfalls immer noch sehr hohes Ansehen; ein Beitritt zur NATO würde von weniger als einem Viertel der Befragten akzeptiert. Während der Anteil der Befürworter eines Beitritts zur UNO gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozentpunkte auf 57% gestiegen ist, sank derjenige der Befürworter eines EU-Beitritts um zehn auf 42%. Der Anteil derjenigen, die sich in irgendeiner Form eine Annäherung an die EU wünschen, blieb mit 67% konstant
[34].
Eine der jährlich durchgeführten Univox-Umfragen ergab, dass die
Kritik der Bürgerinnen
an den Behörden und ihrer Politik zugenommen hat. Der Anteil derjenigen, welche mit der Politik von Bundesrat und Parlament nicht zufrieden sind, stieg 1997 im Vergleich zum Vorjahr von 35% auf 44%, während der Anteil der Zufriedenen von 44% auf 40% sank. Die Umfrage zeigte, dass die Kritik massgeblich mit der politischen Einstellung der Befragten zusammenhängt. Sowohl bei den Sympathisanten rechtsbürgerlicher Parteien (SVP, SD und FP) als auch bei den Anhängern linker und grüner Parteien lag der Anteil der Unzufriedenen mit rund 50% deutlich über dem Mittel
[35].
Etwas besser schnitt die Landesregierung in einer weiteren Univox-Umfrage zur
aussenpolitischen Orientierung der Bürgerinnen und Bürger ab. Fast 80% erklärten sich mit der schweizerischen Aussenpolitik grundsätzlich einverstanden. Am wenigsten Zustimmung erhielt der Bundesrat für seine Europapolitik (31%); nicht ganz die Hälfte der Befragten (45%) würden sich ein stärkeres Engagement wünschen. Die Umfrage zeigte ferner auf, dass die von kritischen Beobachtern oft beklagten Mythen über die Schweiz in der Bevölkerung gar nicht mehr besonders stark verbreitet sind. Wohl waren 60% der Befragten stolz auf die demokratischen Institutionen und das Zusammenleben mehrerer Kulturen, aber drei von vier Personen waren der Ansicht, dass die
Schweiz ein gewöhnlicher Staat und "
kein Sonderfall" sei
[36].
Eine weitere, von Politologen der Universität Genf im Jahr 1996 durchgeführte Befragung stellte fest, dass das
Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger im Vergleich zu 1989 sowohl
gegenüber den politischen Institutionen, als auch gegenüber Verbänden, Medien und internationalen Organisationen massiv abgenommen hat. Am geringsten war der Vertrauensverlust in bezug auf die Polizei, welche mit einem Anteil von 69% positiver Antworten den Spitzenrang einnahm (1989: 80%). Am heftigsten fiel der Vertrauensverlust beim Parlament und beim Bundesrat aus (von 76% auf 44% resp. von 81% auf 52%). Diese Institutionen klassierten sich aber immer noch deutlich vor internationalen Organisationen wie UNO (43%; -17%) und EU (43%; -15%), Grossunternehmen (40%; -12%), Gewerkschaften (38%; -15%) oder Presse (22%; -23%)
[37].
[34]
Bund und
SGT, 13.8.97. Für eine andere Befragung zu diesem Themenkreis siehe
BaZ, 28.1.97.34
[37]
Lit. Brunner;
AZ, 29.10.97.37
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