Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Verwaltung
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, die bisher mit Verordnungen geregelten Pflichten und Rechte in bezug auf Archivierung von Dokumenten der Bundesverwaltung in ein neues Gesetz zu fassen. Der Geltungsbereich soll gegenüber den bestehenden Bestimmungen ausgeweitet werden und neben der allgemeinen Bundesverwaltung auch die eidgenössischen Gerichte, die eidgenössischen Schlichtungs- und Rekurskommissionen, die Nationalbank sowie autonome Anstalten (Hochschulen, PTT, SBB und SUVA), nicht aber die Kantone umfassen. Als wichtige materielle Neuerung sieht der Entwurf vor, dass die - kaum mehr praktikable -
Ablieferungspflicht aller Akten an das Bundesarchiv durch eine Anbietepflicht abgelöst wird. Das Bundesarchiv soll dann, in Zusammenarbeit mit den Anbietern, die archivwürdigen Bestände selektionieren. Die 1973 von 50 auf 35 Jahre reduzierte
Sperrfrist soll um weitere fünf Jahre verkürzt werden. Nach Ablauf dieser
dreissig Jahre sollen die Bestände frei und unentgeltlich zugänglich sein. Um den Bestimmungen des Datenschutzgesetzes zu genügen, wird für identifizierbare und besonders schützenswerte Daten sowie für Profile von lebenden Personen eine Sperrfrist von 50 Jahren festgelegt, welche allerdings, zum Beispiel im Zusammenhang mit nicht personenbezogenen Nachforschungen, verkürzt werden kann. Der Bundesrat soll zudem für bestimmte, nicht personenbezogene Daten - zum Beispiel Bundesratsprotokolle und militärische Akten - eine über die generellen dreissig Jahre hinausgehende Sperrfrist erlassen können
[42].
Der
Ständerat beschloss ohne Gegenstimme Eintreten. Mit der Begründung, dass für die Archivierung von Prozessakten einige Besonderheiten zu beachten sind, nahm er das Bundesgericht und das Eidgenössische Versicherungsgericht vom Geltungsbereich des neuen Gesetzes aus, hielt aber fest, dass sich diese beiden Institutionen an die selben Grundsätze zu halten hätten. Bei der Sperrfrist für identifizierbare und besonders schützenswerte Personendaten und -profile entschied sich der Ständerat mit 30 zu 7 Stimmen für eine
restriktivere Lösung als der Bundesrat. Die für derartige Dokumente vorgesehene Sperrfrist von 50 Jahren soll auch über den Tod der betroffenen Person hinaus gelten. Auch bei der Erlaubnis um Einsichtnahme während der Schutzfrist ging der Ständerat weniger weit als der Bundesrat. Diese soll nicht bereits gewährt werden können, wenn keine gesetzlichen Gründe oder besonders schützenswerte Interessen dagegen sprechen, sondern erst dann, wenn der Gesuchsteller einen Rechtfertigungsgrund wie z.B. eine wissenschaftliche Forschung angeben kann
[43].
Die Verwaltungskontrolle des Bundesrates kam in einem Bericht zum Schluss, dass
computergestützte Verwaltungssysteme in der Bundesverwaltung
die Archivierung und die spätere historische Aufarbeitung erschweren. Die Akten seien heute auf mehrere Personen bzw. Computer verteilt und blieben deshalb vielfach unvollständig. Mit solchen Akten könnten die Registraturen und das Bundesarchiv ihren Auftrag nicht mehr sachgerecht erfüllen. Resultat sei ein "Gedächtnisverlust" in der Verwaltung. Dieser Zustand verhindere die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung, verunmögliche eine lückenlose Geschäftskontrolle und leiste Rechtsunsicherheiten Vorschub. Ungenügend geregelt ist gemäss Verwaltungskontrollstelle zudem die Rechtsgültigkeit digitalisierter Dokumente und Unterschriften
[44].
[42]
BBl, 1997, II, S. 941 ff. Vgl. kritisch dazu S. Macciacchini, "Akteneinsicht im Jahr 2027", in
Medialex, 1997, S. 183 f.42
[43]
Amtl. Bull. StR, 1997, S. 751 ff.43
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