Année politique Suisse 1997 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
 
Territorialfragen
In der französischsprachigen Schweiz machten prominente Politiker mit Vorschlägen über Kantonsfusionen resp. neue, zwischen die Kantone und den Bund eingeschobene Strukturen von sich reden. Der Waadtländer Nationalrat Pidoux (fdp) lancierte die Idee einer Fusion der Kantone Genf und Waadt. Sein Vorschlag stiess aber gerade beim Waadtländer Grossen Rat auf wenig Gegenliebe, wurde doch betont, dass eine enge Zusammenarbeit nicht nur mit Genf, sondern auch mit den Nachbarkantonen im Osten und Norden gepflegt werden müsse. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich die Regierungen der beiden Kantone gegen eine Fusion aus [9]. Kurz nach Pidoux' Vorstoss schlug der Genfer Regierungsrat Segond (fdp) vor, die sechs mehrheitlich französischsprachigen Kantone ein gemeinsames Parlament und eine Regierung wählen zu lassen, welche die Kompetenz hätten, über grosse Infrastrukturprojekte und überregionale Aufgaben (z.B. Wirtschaftsförderung) zu entscheiden. Einige Kritiker warnten, dass von Segonds Plänen das Aufkommen eines Sprachnationalismus begünstigt würde, welcher sich für den Fortbestand der Schweiz verheerend auswirken könnte. Sie schlugen deshalb den Einbezug des historisch und wirtschaftlich eng mit der übrigen Westschweiz verbundenen Kantons Bern vor [10].
In Basel-Stadt empfahl die Regierung die Ablehnung der 1994 eingereichten Volksinitiative für die Aufwertung zu einem Vollkanton. Sie argumentierte dabei nicht mehr wie früher, dass damit eine Wiedervereinigung mit Basel-Land verunmöglicht würde, sondern mit den geringen Erfolgschancen eines derartigen Vorstosses auf eidgenössischer Ebene [11].
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Jura
Die Sezessionsbestrebungen der Behörden der Stadt Moutier konkretisierten sich. Stadtpräsident Maxime Zuber (psa) kündigte an, dass er noch vor Ende 1998 ein kommunales Plebiszit durchführen wolle. Er erhielt dabei auch Unterstützung durch den jurassischen Regierungsrat Roth (CVP) sowie die CVP und die SP des Kantons Jura [12]. Alle Parteien des Kantons Jura und kurz danach auch das Parlament verabschiedeten Resolutionen, in welchen sie sich bereit erklärten, Moutier - nach einer im Rahmen der Gesetze verlaufenen Loslösung von Bern - in den Kanton aufzunehmen [13]. Die Gemeindeexekutive von Moutier beschloss im Dezember, im Jahr 1998 eine Konsultativabstimmung durchzuführen. Der bernische Regierungsrat Annoni (fdp) stellte dazu fest, dass es der Gemeinde frei stehe, eine solche rechtlich nicht verpflichtende Konsultation abzuhalten [14]. Eine rechtlich bindende Volksabstimmung über einen Kantonswechsel lehnten die Berner Behörden jedoch ab. Der Regierungsrat liess am 28. Mai die Behörden der Stadt Moutier wissen, dass er die von ihr geforderten rechtlichen Grundlagen nicht schaffen werde. Er verwies dabei die Stadtbehörden auf die Bedeutung der Pflege der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als Alternative zu einem Kantonswechsel. Zudem gab er zu verstehen, dass er eine Sezession der Stadt Moutier allein nicht akzeptieren würde, da diese auch Verwaltungszentrum für den rund 23 000 Einwohner zählenden und mehrheitlich einen Übertritt zum Kanton Jura ablehnenden Bezirk ist [15].
Von Nationalrat Rennwald (sp, JU) in einer Einfachen Anfrage um seine Meinung dazu gefragt, antwortete der Bundesrat, dass dies eine interne Angelegenheit des Kantons Bern sei. Er habe aber den Regierungen der Kantone Bern und Jura mitgeteilt, dass er bereit sei, sie zu einem Gespräch in dieser Sache zu empfangen. In bezug auf Rennwalds Gesuch, der Bundesrat solle die Sache selbst in die Hand nehmen und die rechtlichen Voraussetzungen für einen Kantonswechsel von Gemeinden schaffen, verwies er auf die laufenden Parlamentsdebatten. Da beide Ratskammern im Vorjahr einer 1995 vom Kanton Jura eingereichten Standesinitiative, welche eine eidgenössische Regelung verlangt hatte, Folge gegeben hatten, sei es nun an ihnen, einen entsprechenden Artikel in die neue Bundesverfassung aufzunehmen. Er selbst habe im Rahmen der Nachführung der Verfassung darauf verzichtet, um diese nicht mit materiellen Neuerungen zu belasten [16]. Die Kommissionen beider Räte zur Totalrevision der Bundesverfassung kamen dieser Aufforderung nach. Sie beschlossen, dass bei Gebietsveränderungen zwischen Kantonen in Zukunft nur noch die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der beteiligten Kantone sowie die Genehmigung durch die Bundesversammlung in Form eines Bundesbeschlusses erforderlich ist. Eine obligatorische eidgenössische Volksabstimmung, wie dies noch im Fall von Vellerat vorgeschrieben war, müsste hingegen nicht mehr durchgeführt werden [17].
Die 1994 geschaffene und seit Jahresbeginn vom Waadtländer Nationalrat Leuba (lp) präsidierte Interjurassische Versammlung beschloss, sich mit der Frage eines neuen, aus allen sechs Bezirken bestehenden Kantons auseinanderzusetzen [18]. Auch wenn diese Kommission noch keine konkreten Lösungsvorschläge vorzulegen vermochte, könnte sich ihre Arbeit auf das politische Klima positiv auswirken. In diesem Sinne wurde von den Medien auf jeden Fall eine gemeinsame Veranstaltung von Exponenten der beiden Lager gewertet, an der man übereinstimmte, dass die von der bernischen Verfassung gegebenen Möglichkeiten zur Schaffung von regionalen Instanzen mit eigenen Kompetenzen und Finanzmitteln (z.B. im Kulturbereich) besser genutzt werden sollten [19].
 
[9] Ph. Pidoux, "Vaud-Genève: fusionons pendant qu'il est temps", in JdG, 5.6.97 (deutsche Version in NZZ, 5.6.97); JdG, 6.6. und 11.6.97 (Grosser Rat); Lib., 7.6.97; NQ, 11.6., 17.6. und 20.6.97; 24 Heures, 5.7.97 (Regierungen). Vgl. auch eine Meinungsumfrage zu verschiedenen Optionen in 24 Heures, 8.7.97.9
[10] L'Hebdo, 21.6.97 (Segond). Zur Kritik siehe François Cherix (NQ, 23.6.97) sowie StR Cavadini (lp, NE), der sich für eine enge Zusammenarbeit zwischen Neuenburg, Bern und Freiburg aussprach (Express, 6.8.97).10
[11] BaZ, 18.6.97. Vgl. SPJ 1994, S. 47 f. sowie 1995, S. 48.11
[12] QJ, 21.2. (SP) und 9.5.97 (CVP); NQ, 6.5.97 (Roth); Lib., 12.6.97 (Zuber).12
[13] QJ, 24.6. (Parteien) und 26.6.97 (Parlament).13
[14] QJ, 5.12.97 (Gemeindeparlament); BZ, 5.12.97 (Annoni).14
[15] Bund und QJ, 30.5.97.15
[16] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2923 f. Siehe zum Verfassungsentwurf und zur Standesinitiative SPJ 1996, S. 45 f. Vgl. auch den expliziten Verzicht des BR auf eine Beurteilung der Politik der Berner Regierung in Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2330 (Einfache Anfrage Teuscher, gb, BE).16
[17] BBl, 1998, S. 383 und 450 (Art. 44.3).17
[18] Bund und NZZ, 10.2.97. Zur Tätigkeit 1997 siehe QJ, 12.12.97. Zur Kommission siehe auch SPJ 1995, S. 48.18
[19] Presse vom 8.12.97. Vgl. dazu auch die Erklärung der berntreuen Kräfte in QJ, 11.12.97. Siehe auch A. Koller, "L'avenir du Jura: le défi d'une société suisse en mutation", in Documenta, 1997, Nr. 3, S. 3 ff.19