Année politique Suisse 1997 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Wohnungsbau und Wohneigentumsförderung
In der Sommersession hatte als Zweitrat der Nationalrat die
Volksinitiative "Wohneigentum für alle" des Hauseigentümerverbandes (SHEV)
[22] zu behandeln, die Steuererleichterungen zur Förderung des Bausparens und markante Ermässigungen bei den Eigenmietwerten verlangt. Die
Linke stemmte sich gegen Steuerprivilegien und propagierte als effizienteste Massnahme zur Förderung des Wohneigentums das Vorkaufsrecht für Mieter. Eine entsprechende Motion von Mieterverbandspräsident Rudolf Strahm (sp, BE) lehnte der Nationalrat mit 75 zu 60 Stimmen aber ab. Bundesrat Kaspar Villiger warnte zusätzlich davor, dass mit der Volksinitiative nicht neues, sondern bestehendes Wohneigentum begünstigt werde. Dagegen forderten die Bürgerlichen Taten statt Worte. Zwar äusserten sie wie der Ständerat Bedenken zu mutmasslichen Steuerausfällen von 1,5 bis 2 Mia Fr. für Bund und Kantone und nahmen die Volksinitiative, der sie wenig Chancen einräumten, ebenfalls nicht an. Sie wiesen sie mit 97 zu 70 Stimmen zurück, beauftragten die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) aber mit der
Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlages. Einen solchen hatte im letzten Jahr auch der Ständerat angestrebt, er scheiterte aber am Anspruch der Kostenneutralität. Als Leitplanken für den indirekten Gegenvorschlag überwies eine bürgerliche Mehrheit des Nationalrates zwei Motionen der ständerätlichen WAK, die im letzten Jahr bereits vom Ständerat angenommen worden waren: Die erste verlangt den
Verzicht auf die Dumont-Praxis, womit Renovationskosten neu auch in den ersten fünf Jahren nach dem Erwerb einer Liegenschaft steuerlich abgezogen werden könnten. Bund und Kantonen gingen so rund 50 Mio Fr. an jährlichen Steuereinnahmen verloren. Die zweite Motion, die mit 78 zu 55 Stimmen überwiesen wurde, will den Handlungsspielraum der Kantone bei der Festlegung der
Eigenmietwerte erweitern. Zusätzlich überwies der Nationalrat mit 69 zu 61 Stimmen eine Motion seiner WAK, wonach der Bund künftig bei der direkten Bundessteuer die kantonalen Eigenmietwerte übernehmen muss, soweit sie nicht mehr als 25% vom schweizerischen Mittel abweichen
[23].
Die WAK des Nationalrates legte gleich
zwei Konzepte als indirekten Gegenvorschlag zur Hauseigentümer-Initiative vor. Die Mehrheitsvariante übernahm die Forderungen der drei obigen Motionen fast gänzlich. Anstelle der direkten Übernahme der kantonalen Eigenmietwerte schlug sie aus Praktikabilitätsgründen aber die Festlegung eines
steuerbaren Eigenmietwerts von 60% des Marktmietwertes im Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vor. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft vom Mai 1995 ein Absenken der Eigenmietwerte unter 70% des Marktwertes abgelehnt, da sonst eine rechtsgleiche Besteuerung im Verhältnis zu den Mietern - die keinen Abzug des Mietzinses geltend machen können - nicht mehr gewährleistet sei. Die Mehrheitsvariante geht aber davon aus, dass je nach Auslegung des geänderten Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern den Kantonen und Gemeinden Einnahmeausfälle von 400 Mio Fr. entstehen. Dem Bund würden jährlich geschätzte 100 Mio Fr. an Steuern verloren gehen. Die Minderheitsvariante der WAK rund um Eugen David (cvp, SG) schlug vor, einen Systemwechsel vorzunehmen und die
Eigenmietwertbesteuerung für selbstbewohnte Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen
abzuschaffen. Damit verbunden wäre auch die Abschaffung des Unterhaltsabzuges und der Schuldzinsabzüge (insbesondere Hypothekarzinsen). Neuerwerber würden einer gewissen Schonfrist unterliegen und könnten während zehn Jahren die Schuldzinsen abziehen. Mit diesem Modell würden Eigentümer, deren Hypothek ganz oder überwiegend amortisiert ist, profitieren, während Jungeigentümer mit Schulden auf dem Haus, die über dem Mietwert liegen, trotz des zehnjährigen Einführungsrabatts schlechter fahren würden. David wies jedoch darauf hin, dass das heutige System, welches das Schuldenmachen steuerlich interessant mache und damit gezielt fördere, wenig sinnvoll sei. Das Minderheitskonzept wäre haushaltsneutral oder hätte gar zusätzliche Steuereinnahmen zur Folge; die diesbezüglichen Berechnungen varieren aber beträchtlich
[24].
In der Herbstsession stimmte der
Nationalrat mit 92 zu 79 Stimmen dem Mehrheitskonzept zu, das einen Eigenmietwert von neu nur noch 60% des Marktmietwerts und die Abschaffung der Dumont-Praxis vorsieht. Gegen den Willen von Finanzminister Villiger sprach er sich damit
für hohe Steuergeschenke an die Eigenheimbesitzer aus. Das Minderheitskonzept, das einen Systemwechsel vorschlug und das SP, Grüne, LdU/EVP sowie CVP-Exponenten unterstützten, während ihm Villiger "eine gewisse Sympathie" entgegenbrachte, unterlag. Der Nationalrat schickte jedoch beide Vorschläge in eine Vernehmlassung an die Kantone. Die Behandlungsfrist für die Initiative "Wohneigentum für alle" wurde um ein Jahr verschoben
[25].
[22] Zum neuen Präsidenten des SHEV wurde NR Toni Dettling (fdp, SZ) als Nachfolger von Hans Feldmann gewählt (
NZZ, 16.6.97). Eine vom SHEV in Auftrag gegebene, nicht unumstrittene Studie von Prof. Tobias Studer kam zum Schluss, dass Wohneigentumsförderung im Sinne der Initiative beschäftigungs- und fiskalpolitisch erhebliche Impulse auslösen würde. Bereits eine jährlich 0,5% höhere Wohneigentumsquote brächte für Bundes- und Kantonssteuern einen positiven MIttelrückfluss von netto 2 Mia Fr. Eine jährliche Steigerung um 0,5% von der heutigen Wohneigentumsquote (33%) auf das deutsche Niveau würde innert 18 Jahren ein Bauvolumen von 86 Mia Fr. auslösen, nötig dazu seien aber starke fiskalische Anreize (
BaZ, 22.4.97;
NZZ, 11.6.97;
Lit. Studer).22
[23]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1180 ff., 1389 ff. und 1399 f. (Strahm); Presse vom 13.6. und 20.6.97. Vgl.
SPJ 1996, S. 207 f. Zu parl. Vorstössen, die den Verzicht auf die Dumont-Praxis verlangten, siehe auch oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern).23
[24] Presse vom 5.9.97. Das heutige Schweizer System ist in Europa fast einmalig, nachdem etwa auch Deutschland, Österreich und Italien das Eigenmietwertsystem abgeschafft haben.24
[25]
Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2134 ff.; Presse vom 10.10.97.25
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