Année politique Suisse 1997 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit / Arbeitszeit
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Revision Arbeitsgesetz
Bereits in seiner Stellungnahme zur Volksabstimmung vom 1. Dezember 1996, in welcher das revidierte Arbeitsgesetz mit 67% der Stimmen abgelehnt wurde, hatte der Bundesrat klar gemacht, dass er eine Modernisierung des Arbeitsgesetzes im Interesse der Wirtschaft nach wie vor als notwendig und zeitlich dringend erachte, weshalb sich eine rasche Wiederaufnahme der Revisionsarbeiten aufdränge. Die Sozialpartner äusserten sich positiv zu den Absichten des Bundesrates. Ein Ausschuss der Eidg. Arbeitskommission, bestehend aus Vertretern der Sozialpartner, der Kantone, der Wissenschaft, der Frauenorganisationen sowie des BIGA, welches die Arbeiten auch leitete, erhielt den Auftrag, in Anlehnung an den ursprünglichen Entwurf, aber unter klarer Berücksichtigung des Abstimmungsergebnisses Lösungsvorschläge für eine Neuauflage der Revision zu erarbeiten [33].
Nach monatelangen Verhandlungen zeichnete sich eine deutliche Annäherung der Standpunkte ab. Im September lag ein Vermittlungsvorschlag auf dem Tisch, der dem gesuchten Kompromiss sehr nahe kam. Der Vorstand des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes akzeptierte Zeitzuschläge für regelmässige Nachtarbeit und verzichtete auf die bewilligungsfreie Ladenöffnung an sechs Sonntagen pro Jahr. In diesem Moment scherte der Gewerbeverband aus und und brach die Verhandlungen ab. Aus Solidarität sistierte auch der Abeitgeberverband die Gespräche. Der zweite Anlauf für die Revision des Arbeitsgesetzes schien damit gescheitert zu sein. Nach einigem Hin und Her signalisierten Gewerbe- und Arbeitgeberverband wieder Gesprächsbereitschaft, wobei allerdings der Gewerbeverband bereits mit dem Referendum drohte für den Fall, dass die definitive Fassung des Gesetzes nicht seinen Vorstellungen entspreche. An der abschliessenden Sitzung der Arbeitskommission wurde erwartungsgemäss keine Einigung erzielt [34].
Angesichts der verfahrenen Situation beschloss der Bundesrat, die Revisionsarbeiten in eigener Regie voranzutreiben. Seiner Ansicht nach trug nämlich der im September erarbeitete Vorentwurf dem Resultat der Volksabstimmung Rechnung, indem er einerseits die Interessen der Wirtschaft nach Flexibilisierung, andererseits die Interessen der Beschäftigten nach Schutzmassnahmen ausgewogen berücksichtigte. Um das Revisionsverfahren zu beschleunigen, beschloss der Bundesrat, auf ein erneutes Vernehmlassungsverfahren und auf die Ausarbeitung einer Botschaft zu verzichten. Statt dessen verabschiedete er anfangs November einen Bericht zuhanden der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrats. Dieses Vorgehen drängte sich auch deshalb auf, weil die WAK zu jenem Zeitpunkt die Behandlung zweier parlamentarischer Initiativen zur Revision des Arbeitsgesetzes bereits traktandiert hatte.
Der Bericht des Bundesrates enthielt einen Gesetzesentwurf, der identisch war mit dem Vermittlungsvorschlag, der beim letzten Treffen der Sozialpartner ausgearbeitet worden war. Er umfasste zum einen jene Bestimmungen aus der Revisionsvorlage 1996, die in der parlamentarischen Behandlung sowie im Vorfeld der Abstimmung ganz oder weitgehend unbestritten blieben. Es sind dies insbesondere die Gleichstellung von Frau und Mann in bezug auf die Arbeits- und Ruhezeiten (namentlich hinsichtlich Nacht- und Sonntagsarbeit), die medizinische Betreuung der in der Nacht Beschäftigten sowie der Sonderschutz bei Mutterschaft jener Frauen, die Nachtarbeit verrichten. Zum anderen beinhaltete der Gesetzesentwurf neue Vorschläge für jene Bestimmungen, die gemäss Abstimmungsanalyse in der Hauptsache zur Ablehnung der ersten Vorlage geführt hatten. In diesem Sinn wurden neue Lösungen vorgeschlagen für die Abendarbeit (ab 20 Uhr und nicht mehr ab 23 Uhr, allerdings bis 23 Uhr nicht bewilligungspflichtig, sondern in Absprache mit den Arbeitnehmern zu regeln), die Überzeit (maximal noch 130-160 Stunden pro Arbeitnehmer und Jahr anstatt wie bisher 220 bis 260 Stunden) und die Abgeltung von regelmässig geleisteter Nachtarbeit (10% Zeitzuschlag). Ersatzlos gestrichen wurde die Liberalisierung der Sonntagsarbeit in Verkaufsgeschäften. Die Vorschläge des Bundesrates wurden von der WAK überaus positiv aufgenommen. Mit nur leichten Retouchen bei der Überstundenregelung (maximal 170 Stunden pro Jahr bei der 45-Stunden-Woche und 140 Stunden bei der 50-Stunden-Woche) übernahm sie den bundesrätlichen Gesetzesentwurf und kleidete ihn in die Form einer Kommissionsinitiative [35].
In der Dezembersession behandelte das Plenum des Nationalrates den gemeinsamen Vorschlag von Bundesrat und WAK. Kommissionsberichterstatter David (cvp, SG) bezeichnete es als Pflicht und Schuldigkeit des Parlaments, den Willen des Volkes zu vollziehen, und er warnte alle Gegner der Vorlage vor einer neuerlichen Niederlage. Dass es sehr wohl dazu kommen könnte, liess die kaum verdeckte Referendumsdrohung von Rennwald (sp, JU) gegen eine allfällige Modifizierung dieses Entwurfs erahnen. Auch CNG-Präsident Fasel (csp, FR) zeigte sich gewiss, dass die Gewerkschaften den Abstimmungssieg von 1996 jederzeit wiederholen könnten. Bonny (fdp, BE) räumte ein, dass die Bürgerlichen mit der ersten Vorlage ein jämmerliches Fiasko erlitten hätten. Der ehemalige BIGA-Direktor forderte seine bürgerlichen Ratskollegen dazu auf, den Vorschlag zu akzeptieren. Maitre (cvp, GE) wehrte sich gegen die Einteilung in Sieger und Besiegte, sprach sich aber ebenfalls für den Vermittlungsvorschlag aus. Aus dem Kompromiss scherten SVP und FP sowie Gewerbe- und Industrievertreter von FDP und CVP aus. Hart gerungen wurde in der Detailberatung um die Zahl der zulässigen Überstunden und die Kompensationen für dauernde oder regelmässige Nachtarbeit. Bei den Überstunden verlangten SVP und FP 230 respektive 200 Stunden, unterlagen jedoch mit 109 zu 38 Stimmen. Abgeblockt wurden auch die Versuche eine Minderheit im bürgerlichen Lager, den Zeitzuschlag mit Lohnzuschlägen zu ersetzen und die auf sieben Stunden festgelegte, teurere Nachtarbeit zu verkürzen. Ohne eine einzige Änderung an dem von WAK vorgelegten Entwurf nahm der Nationalrat das revidierte Arbeitsgesetz mit 115 zu 21 Stimmen (bei 15 Enthaltungen) an  [36].
 
[33] SPJ 1996, S. 229 ff.33
[34] SGT, 24.5.97; Presse vom 27.5., 3.7., 16.9., 19.9., 24.9., 1.10., 6.10., 7.10., 14.10. und 8.11.97; Bund, 28.7.97. Siehe SPJ 1996, S. 229 ff.34
[35] BBl, 1998, S. 1394 ff. (Bericht und Gesetzesentwurf der WAK); Presse vom 30.10. (WAK) und 6.11.97 (BR). Bei den beiden Pa.Iv. handelte es sich um jene der Fraktionen von CVP und SP, welche direkt nach der Abstimmung vom 1.12.96 eingereicht worden waren mit dem Ziel, möglichst rasch eine neue Vorlage auszuarbeiten. Die Forderungen der SP waren bedeutend radikaler als jene der CVP (Verhandl. B.vers., 1997, IV, Teil II, S. 27 f.).35
[36] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2785 ff.36