Année politique Suisse 1997 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
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Organ- und Blutspenden
Nach einer durchaus positiv verlaufenen Vernehmlassung leitete der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft zu einem neuen Verfassungsartikel (Art. 24decies) zu, welcher dem Bund gestatten wird, für die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen Gesetze zu erlassen und somit Leitplanken zu setzen. Heute gelten hier lediglich die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften sowie unterschiedliche kantonale Bestimmungen. Als Grundmaxime des staatlichen Handelns in diesem Bereich postuliert der Bundesrat den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Gesundheit sowie eine gerechte Zuteilung von Organen. Der Handel mit menschlichen Organen soll verboten, der Umgang mit allen anderen Spenden streng reglementiert werden [36].
Der Nationalrat behandelte die Vorlage in seiner Wintersession und folgte dabei den Vorschlägen der Landesregierung, verankerte aber zusätzlich explizit die Unentgeltlichkeit der menschlichen Organspende. Ein von den Grünen unterstützter Rückweisungsantrag von Felten (sp, BS), welche befürchtete, dass der Bund damit einen Blankocheck für die zentralisierte Organbeschaffung erhalte, wurde sehr deutlich abgelehnt. Ebenfalls keine Chance hatte der Antrag der SP auf ein Festschreiben der Freiwilligkeit der Spende. Das Wort Spende enthalte per definitionem den Begriff der Freiwilligkeit, argumentierten vor allem bürgerliche Kreise, weshalb es nicht nötig sei, diese noch speziell festzuschreiben. Die von den Grünen unterstützte SP hatte mit ihrem Antrag verhindern wollen, dass auf Gesetzesstufe die sogenannte "Widerspruchslösung" eingeführt wird, bei der eine Organentnahme möglich ist, wenn diese vom Verstorbenen oder seinen Angehörigen nicht ausdrücklich verweigert wird. Ein weiterer Antrag der SP und der Grünen für ein Moratorium zur Xenotransplantation (Übertragung gentechnisch veränderter tierischer Organe auf den Menschen) bis ins Jahr 2010 wurde ebenfalls verworfen. Die Gegner befürchteten vor allem eine Behinderung der Forschung in der Schweiz [37].
Der Nationalrat hatte sich bereits in der Herbstsession mit der Frage der Xenotransplantation befasst. Mit 94 zu 61 Stimmen lehnte er eine diesbezügliche parlamentarische Initiative von Felten (sp, BS) ab, überwies aber mit deutlichem Mehr eine Motion seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur, welche die Übertragung tierischer Transplantate auf den Menschen einer Bewilligungspflicht unterstellen will [38].
1972 hatte das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit der Widerspruchslösung bei Organentnahmen anerkannt. Im Berichtsjahr mussten die Lausanner Richter anhand eines neuen Gesetzes des Kantons Genf, welcher von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung übergehen möchte, erneut in dieser Frage Stellung beziehen. Die Billigung der Widerspruchslösung erfolgte nur noch knapp mit 3:2 Stimmen. Gleichzeitig wurden die Bedingungen für dieses Vorgehen in einengendem Sinn präzisiert. Das Bundesgericht erachtete den Genfer Vorschlag, der - falls sich der Verstorbene nicht klar geäussert hat - von einer Einwilligung der Angehörigen ausgehen wollte, wenn sich diese nicht innerhalb von sechs Stunden klar dagegen aussprechen, als ungenügend und verlangte, dass die Angehörigen umfassend zu informieren seien. Können sie nicht erreicht werden, ist eine Organentnahme nicht zulässig. Nur wenn die Angehörigen nach entsprechender Konsultation schweigen oder zustimmen, darf das Organ verpflanzt werden. Ungeachtet der Haltung der Angehörigen ist die Organentnahme zwingend ausgeschlossen, wenn sich der Verstorbene zu seinen Lebzeiten dagegen ausgesprochen hat; selbst in Notfällen und bei Todesgefahr eines potentiellen Organempfängers darf der Wille des Verstorbenen nicht missachtet werden [39].
Obgleich die Weltgesundheitsorganisation WHO darauf hinwies, dass die mit dem Rinderwahnsinn verwandte Creuzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) möglicherweise über Bluttransfusionen übertragen werden kann, beschlossen die Behörden in der Schweiz keine zusätzlichen Massnahmen. Erst als ein regelmässiger Blutspender nachweislich an CJK verstarb, wies das BAG das Schweizerische Rote Kreuz an, jene zur Transfusion bestimmten Blutprodukte, die möglicherweise mit dem Blut des verstorbenen Spenders in Kontakt gekommen waren, vom Markt zurückzuziehen [40]. Zu weiteren Massnahmen im Bereich des Rinderwahnsinns siehe oben, Teil I, 4c (Production animale).
Eine Motion Stump (sp, AG), welche den Bundesrat aufforderte, die gesetzlichen Grundlagen zum Verbot der Einsetzung von gesundheitsschädigenden Implantaten (z.B. Silikon) in den menschlichen Körper zu schaffen, wurde auf dessen Antrag als Postulat überwiesen [41].
 
[36] BBl, 1997, III, 653 ff.; Presse vom 7.2. und 24.4.97. Siehe auch SPJ 1996, S. 240.36
[37] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2410 ff. Als Übergangslösung bis zum Vorliegen eines eigentlichen Transplantationsgesetzes kündigte BR Dreifuss an, dass sie in Kürze dem Parlament beantragen werde, die Bewilligungspflicht für allfällige Xenotransplantationen in den dringlichen Beschluss über die Kontrolle von Blut, Blutprodukten und Transplantaten aufzunehmen. Zu Spezialfällen von Blut- oder Organtransplantationen siehe auch die Darlegungen des BR zu zwei Interpellationen von Felten (sp, BS) in Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2249 ff. Siehe auch SPJ 1996, S. 239 ff.37
[38] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2182 ff. Vgl. SPJ 1996, S. 240 f.38
[39] JdG, 20.3.97; Presse vom 17.4. und 28.6.97; NZZ, 30.6.97.39
[40] JdG, 3.4.97; Presse vom 19.7.97. Seit mehreren Jahren werden in ganz Europa Personen, welche Transplantate bzw. Wachstums- sowie Fruchtbarkeitshormone aus menschlichem Hirngewebe erhalten haben oder deren Angehörige an CJK litten, nicht mehr zur Blutspende zugelassen. Es gibt aber nach wie vor keinen Früherkennungstest für Träger von CJ-Erregern (Presse vom 22.7.97).40
[41] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1461.41