Année politique Suisse 1997 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Mutterschaftsversicherung
Im September des Vorjahres hatte der Bundesrat erklärt, er wolle noch vor Abschluss der Arbeiten von IDA-FiSo-2 die 4. IV-Revision, die 6. EO-Revision sowie die Einführung einer Mutterschaftsversicherung vorantreiben und dabei mögliche finanzielle Interdependenzen berücksichtigen sowie die drei Vorlagen zeitlich aufeinander abstimmen. Während die Verknüpfung zwischen IV und EO beibehalten wurde (siehe oben), beschloss der Bundesrat, die Vorlage zur Mutterschaftsversicherung nicht mit den beiden anderen Vorlagen zu koppeln. Aufgrund der in der Vernehmlassung zu einem ersten Entwurf gemachten Einwände wurden dabei neue Ausrichtungen für die Finanzierung und die vorgesehenen Leistungen vorgenommen. Entgegen den früheren Vorschlägen soll die Mutterschaftsversicherung nun doch allen Frauen zugute kommen, unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht. Eine Grundleistung von maximal 3980 Fr. wird allen Müttern ausgerichtet, allerdings abhängig vom Familieneinkommen; bei einem Einkommen von 71 640 Fr. (sechsfache AHV-Mindestrente) sinkt sie auf null. Diese Grundleistung, welche auf 58 Mio Fr. pro Jahr geschätzt wurde, soll aus allgemeinen Bundesmitteln finanziert werden. Zusätzlich dazu erhalten erwerbstätige Frauen einen Erwerbsersatz. Um Kosten zu sparen und die Wirtschaft nicht allzu sehr zu belasten, wurde der Mutterschaftsurlaub von 16 auf 14 Wochen verkürzt und die Ersatzquote von 100% auf 80% des versicherten Verdienstes herabgesetzt; diese deckt maximal den für die Unfallversicherung geltenden Höchstbetrag des versicherten Verdienstes ab (momentan 97 200 Franken). Finanziert werden soll der Erwerbsersatz paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit je 0,1 Lohnprozenten. Die Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub in den Gesamtverträgen sollen in Kraft bleiben, allerdings nur, wenn sie sich für die Frauen günstiger auswirken als die gesetzliche Regelung [55].
Die Reaktionen fielen erwartungsgemäss sehr unterschiedlich aus. Während sich die SP erleichtert darüber zeigte, dass endlich eine Vorlage auf dem Tisch liegt, wenn auch die Beschränkung auf 14 Wochen bedauert wurde, stiess der Entwurf bei den bürgerlichen Parteien - mit Ausnahme der CVP, die den Grundsatz bejahte, die Finanzierung via Lohnprozente aber ablehnte - auf vehemente Kritik. Die SVP erklärte, im Augenblick sei eine neue Sozialversicherung schlichtweg nicht finanzierbar. Und die FDP drohte gar mit dem Referendum, falls der Bundesrat an der teilweisen Finanzierung über Lohnprozente festhalte. Die Frauen der bürgerlichen Bundesratsparteien nahmen mit Genugtuung zur Kenntnis, dass ihre Forderungen nach Mutterschaftsleistungen für alle Frauen aufgenommen worden waren, und sie begrüssten, dass besonders die tieferen Einkommen bevorzugt behandelt werden sollen und der Bundesrat vom Gieskannenprinzip abgekommen sei. Allerdings verlangten auch sie einen anderen Finanzierungsmodus [56].
 
[55] BBl, 1997, IV, S. 981 ff.; CHSS, 1997, S. 182 ff. Siehe SPJ 1996, S. 264.55
[56] Presse vom 25.6.-28.6.97. In der Vernehmlassung hatten sich zehn Kantone, FDP, SVP und LPS sowie die Spitzenverbände der Wirtschaft für eine eigenständige Finanzierung einer allfälligen Mutterschaftsversicherung ausgesprochen. Demgegenüber standen ein Kanton, CVP, SP, PdA und die Gewerkschaften einem Einbezug von Mitteln aus der EO positiv gegenüber (CHSS, 1997, S. 188). Zum Drängen links-grüner Kreise auf die umgehende Einführung der Mutterschaftsversicherung siehe auch die nationalrätliche Fragestunde vom 16.6.97 in Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1188 ff.56