Année politique Suisse 1997 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Frauen
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Arbeitswelt
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes am 1. Juli 1996 konnte eine durchmischte Bilanz gezogen werden. Wie die Leiterin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) erläuterte, stellt das Gesetz einen wichtigen, aber nicht ausreichenden Schritt auf dem langen Weg zur faktischen Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben dar. Insbesondere erschwere die aktuelle Wirtschaftssituation die Durchsetzung des Gesetzes. Diese habe für die Frauen ohnehin besorgniserregende Folgen: Ihre Anstellungsbedingungen würden prekärer, die Arbeit auf Abruf ausgedehnt; manchmal würde ihnen das Recht auf eine eigene Erwerbstätigkeit sogar rundweg abgesprochen. Es habe sich gezeigt, dass in wirtschaftlich angespannten Zeiten der bei Lohnklagen garantierte Kündigungsschutz von sechs Monaten völlig ungenügend sei, da die Frauen es vorzögen, überhaupt eine - wenn auch schlecht bezahlte - Arbeit zu haben, als diese mittelfristig wegen eines Prozesses zu verlieren. Dieser Mangel zeigt sich laut EBG auch darin, dass bisher Lohngleichheitsprozesse praktisch nur Lohnklagen aus dem öffentlichen Dienst betrafen. Die von den Arbeitgebern der Privatindustrie befürchtete Prozessflut sei jedenfalls ausgeblieben. Insofern sei es auch ein Schwachpunkt des Gesetzes, dass das EBG keine Interventionsmöglichkeiten habe, wenn in einem Betrieb eine Ungleichbehandlung festgestellt werde. Generell gesehen habe das Gleichstellungsgesetz vor allem präventive Wirkung [56].
Im Kanton Zürich gingen die Kindergärtnerinnen mit einer Verbandsklage gegen die Lohnpolitik von Stadt und Kanton vor. Gemäss einer Arbeitsplatzbewertung aus dem Jahr 1991 wurde für Kindergärtnerinnen die Lohnklasse 18 und für Primarlehrer die Lohnklasse 19 ermittelt. Die Kindergärtnerinnen argwöhnten nun, der Kanton habe, um die Lohndifferenz zwischen diesen beiden Kategorien aufrecht zu erhalten, den Gemeinden die Empfehlung gemacht, Kindergärtnerinnen generell nur zu 80% (für eine volle Stelle) anzustellen. Obgleich eine Arbeitszeitstudie 1995 klar ergeben habe, dass die Kindergärtnerinnen ein Vollpensum leisten, hätten sich doch die meisten Gemeinden an die Empfehlung des Kantons gehalten, was unter dem Strich einer Einstufung in eine deutlich tiefere Lohnklasse gleichkomme [57].
Eine Studie des Bundesamtes für Statistik, die sich auf die Ergebnisse der Volkszählungen 1970 und 1990 stützte, zeigte, dass immer mehr Frauen berufstätig sind. Im genannten Zeitraum nahm ihre Erwerbsquote von 49% auf 62% zu. Das BFS führte diese Zunahme auf den Wandel in der Einstellung der Frauen zu Partnerschaft und Familie zurück. Zum einen blieben Frauen länger ledig und berufstätig, zum anderen gingen Ehen häufiger und früher zu Bruch, was die geschiedenen Frauen zu mehr Erwerbstätigkeit zwinge. Hauptverantwortlich für den Anstieg der Quote ist gemäss BFS jedoch die Tatsache, dass die Erwerbsneigung bei den Verheiratenen gestiegen ist. 1990 waren mehr als die Hälfte der in einer Paarbeziehung lebenden Frauen am Erwerbsleben beteiligt, 1970 erst ein Drittel. Vor allem die Teilzeitarbeit nahm rapide zu. In den 20 Jahren stieg ihr Anteil in der weiblichen Bevölkerung von 16% auf 31%. Generell ist es aber nach wie vor so, dass die Frauen mit der Geburt eines oderer mehrerer Kinder einen Einbruch in ihrer Erwerbsarbeit auf sich nehmen. Dabei wirkt sich das Alter der Kinder stärker auf die Erwerbsquote der verheirateten Frauen aus als die Zahl der Kinder. Je höher der Bildungsstand, desto grösser ist die Erwerbsneigung. Von den 1990 in Paarbeziehungen lebenden Frauen waren jene, die lediglich die obligatorische Schulpflicht absolviert hatten, zu weniger als der Hälfte nicht am Erwerbsleben beteiligt; bei den Absolventinnen einer universitären oder einer höheren Berufsbildung betrug ihr Anteil dagegen zwei Drittel [58].
Berufstätige Frauen in der Schweiz verdienen durchschnittlich 23% weniger als Männer. Knapp die Hälfte des Lohngefälles ist dabei nicht mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in Bildung und Berufserfahrung zu erklären und somit Folge effektiver Lohndiskriminierung. Zu diesem Schluss gelangte eine Nationalfonds-Studie der Universität Bern. Neben der direkten Diskriminierung könnten für die Unterschiede auch eine unterschiedliche Beförderungspraxis und ein erschwerter Zugang zu gutbezahlten Stellen für Frauen eine Rolle spielen. Ebenfalls untersucht wurde der Einfluss von Zivilstand und Mutterschaft auf die Frauenlöhne. Sowohl verheiratete und geschiedene Frauen als auch Frauen mit Kindern schnitten schlechter ab als ledige und kinderlose [59].
Mit zwei Studien wollte die Eidg. Kommission für Frauenfragen die öffentliche Diskussion über eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen neu beleben. Die beiden Untersuchungen befassten sich mit neuen Arbeitszeitmodellen und mit den Auswirkungen der Deregulierungspolitik auf Frauen. Die erste Studie stellte fest, dass derartige Umverteilungskonzepte momentan offenbar keine Konjunktur haben. Auf die 60 Anfragen bei verschiedenen Organisationen gingen nur gerade 22 auswertbare Antworten ein, und diese kamen erst noch von linken Parteien, Frauenorganisationen und Gewerkschaften, während die Arbeitgeber an der Fragestellung kaum Interesse zeigten. Die Autorin stellte fest, dass die sogenannte grosse Umverteilung von Erwerbs- wie Nichterwerbsarbeit zwischen Mann und Frau derzeit völlig im Schatten der Arbeitsplatzproblematik steht [60].
Die zweite Untersuchung stellte anhand eines Ländervergleichs fest, dass die Deregulierung zwar zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen kann, dass dies aber eher durch eine Verschlechterung der Erwerbssituation der Männer als durch eine Verbesserung für die Frauen zustande kommt. Die öknomische Last der Frauen, die im Gegensatz zu früheren Rezessionen nicht mehr eine Art Reservearmee darstellten, sei eindeutig grösser geworden. Die Autorin sprach denn auch von einem gewaltigen Umbau in der Zusammensetzung der Haushalteinkommen: Nicht nur arbeitsmässig, sondern auch finanziell seien die Frauen mehr und mehr zuständig für den Haushalt, und das Ernährermodell mit dem allein erwerbstätigen Vater werde zunehmend zu einem Minderheitsmodell  [61].
Dem Tatbestand der sexuellen Belästigung in der Bundesverwaltung wollte Nationalrätin Teuscher (gb, BE) zu Leibe zu rücken. In einer von 57 weiteren Parlamentariern und Parlamentarierinnen mitunterzeichneten Motion listete sie die vom Bundesrat zu ergreifenden Massnahmen auf, welche über die Bezeichnung von Ansprechpersonen, von verbindlichen Richtlinien zur Prävention bis zur gezielten Schulung bezüglich dieser Frage reichten. Der Bundesrat unterstrich seinen unmissverständlichen Willen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auf keinen Fall zu dulden. Im einzelnen legte er die bereits unternommenen Anstrengungen dar. Auf seinen Antrag wurde die Motion als Postulat überwiesen [62].
Mit einer Motion wollte Nationalrätin Vermot (sp, BE) den Bundesrat beauftragen, die gesetzlichen Möglichkeiten zu schaffen, damit Tänzerinnen aus dem Ausland, die bereits in der Schweiz sind, nicht nur als Artistinnen arbeiten können, sondern auch die Möglichkeit erhalten, in anderen Berufen Arbeit zu finden. Der Bundesrat verwies auf die bereits getroffenen Massnahmen und vertrat die Ansicht, die Möglichkeit des Berufswechsels würde dazu führen, dass diese Frauen bei der Zulassung gegenüber anderen ausländischen Personen bevorzugt wären, weshalb er beantragte, die Motion zu verwerfen. Die Ablehnung erfolgte allerdings nur knapp mit 59 zu 55 Stimmen [63].
 
[56] Presse vom 12.7.97. Siehe SPJ 1994, S. 238 ff., 1995, S. 265 f. und 1996, S. 280. Dem SMUV waren anfangs Juli nur gerade zwei Lohnklagen aus der Privatwirtschaft bekannt (Presse vom 1.7.97).56
[57] TA, 3.4.97. Im Kanton Basel-Stadt fochten die Hauswirtschaftslehrerinnen und die Kindergärtnerinnen den Entscheid des Kantons an, nur den 19 Klägerinnen der 1993 erfolgreich abgeschlossenen Lohnklage die Lohndifferenz für die letzten fünf Jahre nachzubezahlen, nicht aber den 518 Berufskolleginnnen, welche nur für sechs Monate Lohnnachzahlung erhalten sollten (TA, 20.6.97). Siehe SPJ 1993, S. 237.57
[58] NZZ, 7.2.97. Siehe dazu auch Lit. Widmer. Vgl. SPJ 1996, S. 280.58
[59] Lit. Bonjour. Siehe SPJ 1996, S. 281.59
[60] Lit. Nadai. Gemäss einer Studie der WoZ leisten die Frauen in der Schweiz jährlich Gratisarbeit im Wert von 120 Mia Fr., die Männer lediglich von 42 Mia Fr. (WoZ, 13.6.97). Vgl. SPJ 1994, S. 240 und 1996, S. 282. Für eine Volksinitiative "für eine gerechtere Verteilung der Arbeit" siehe oben, Teil I, 7a (Arbeitswelt).60
[61] Lit. Madörin. Für eine Berücksichtigung der Wiedereinstiegskosten von Frauen im Steuerrecht, siehe oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern).61
[62] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1469 f.62
[63] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 56 ff. Siehe dazu auch die Ausführungen des BR zu einer Interpellation Bühlmann (gp, LU) in Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1562 ff. Vgl. SPJ 1993, S. 237 und 1995, S. 259 f.63